Citizen Developer: Softwareentwicklung als Self Service

Citizen Developer und Self-Service-Portale können die Softwareentwicklung agiler und innovativer gestalten. Lesen Sie, wie. [...]

Ähnlich wie bei einer Self-Service-Kaffee-Area erzeugen Citizen Developer mit Hilfe vorgefertigter Software-Bausteine ihr eigenes (App-)Gebräu (c) pixabay.com

Prozesse verbessern, neue Lösungen entwickeln – auch solche Aufgaben übernehmen Mitarbeitende zunehmend in Eigenregie. Sie gestalten Abläufe aktiv und entwickeln ihre Aufgabenfelder kontinuierlich weiter. Robotic Process Automation (RPA), intelligentes Workflow Management oder Low-Code– und No-Code-Plattformen machen solche Self Services möglich, sodass Technologien und Fortschritt im Unternehmen nicht mehr wenigen Mitarbeitenden vorbehalten sind, sondern allen offenstehen.

Dabei sorgen klar definierte Arbeitsabläufe und Verantwortlichkeiten dafür, dass Sicherheit und Konformitätsanforderungen jederzeit gewährleistet werden. Mehr Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit für alle zum Vorteil der gesamten Organisation – eine Entwicklung, die sich in deutschen Unternehmen immer stärker durchsetzt, wie eine Accenture-Studie ermittelte: Für 85 Prozent der Führungskräfte lassen sich Innovationen künftig allein über mehr unternehmensinterne Demokratisierung vorantreiben, weil Unternehmen nur so auf Dauer die Chance haben, den Wandel und die Zukunft ihrer Branche entscheidend mitzugestalten.

Low Code und No Code: Citizen Development Enabler

Viele Softwareanbieter haben diesen Trend bereits erkannt und fördern die Tech-Demokratisierung nicht nur für alle Mitarbeiter, sondern auch unter Einbeziehung ihrer Kunden. Zum Beispiel indem sie diesen unkomplizierten Zugang zu modernen Methoden und Technologien wie Low Code und No Code ermöglichen. Also Zugriff auf Software-Entwicklungsplattformen und -Tools, mit denen die Mitarbeitenden über grafische Benutzeroberflächen intuitiv und schnell eigene Applikationen entwickeln können. Bei No Code gelingt das ohne Programmierkenntnisse, bei Low Code ist moderates Entwickler-Knowhow gefragt.

Ihre Stärken bewiesen No-Code- und Low-Code-Lösungen zuletzt während der Pandemie: Viele Unternehmen haben diese Phase genutzt, um Prozesse zu digitalisieren – weil Mitarbeitende ins Home-Office wechselten oder neue Geschäftsmodelle gefragt waren. Hier galt es, schnell Remote-Arbeitsplätze, virtuelle Onboarding-Prozesse oder neue Liefer-Apps für Einzelhandel und Gastronomie zu etablieren. Quasi über Nacht ist der Bedarf an zusätzlichen digitalen Prozessen explodiert, allerdings konnten nicht alle IT-Abteilungen dieses Tempo mitgehen. Die Folge: Gerade in den letzten Monaten blähten sich in den agilen Teams die Backlogs immer weiter auf – lange Aufgabenlisten, die nun mühsam abgearbeitet werden müssen.

Um die IT zu entlasten, bietet sich der Einsatz von Low- oder No-Code-Tools an. Am besten im Tandem mit robotergestützter Prozessautomatisierung (RPA). Eine Technologie, die laut Gartner „90 Prozent der großen Unternehmen weltweit bis 2022 in irgendeiner Form einsetzen werden“. Damit können Nutzerinnen und Nutzer ihre Arbeitsschritte selbst automatisieren und digitalisieren. Ein Beispiel: Dauerte es bisher oft mehrere Wochen, bis die IT neue Anforderungen der Fachbereiche abbilden konnte, gelingt dies mit Low-Code- und No-Code-Plattformen und RPA innerhalb weniger Stunden. Dieses Vorgehen ist eng an das sogenannte Citizen Development angelehnt.

Citizen Developer sind technisch versierte Mitarbeitende, die selbstständig Anwendungen für ihren Fachbereich entwickeln. Da sie meist keine IT- oder Programmierkenntnisse besitzen, sind sie auf einfache und intuitive Hilfsmittel angewiesen. In der Regel sind das Low-Code-Plattformen, mit denen sich neue Apps nach dem Baukastenprinzip erstellen lassen. Der Vorteil: Durch Citizen Development werden nicht nur die User, sondern das ganze Unternehmen flexibler.

Unternehmen, die mit Citizen Developern arbeiten möchten sollten sich folgende Fragen stellen:

  • Wie lassen sich Mitarbeitenden und Fachbereichen die Methoden und Tools von Low Code/No Code am besten vermitteln?
  • Wie werden weiterhin alle Compliance-Richtlinien – zum Beispiel hinsichtlich Data Governance und Sicherheit – eingehalten?
  • Wie arbeiten IT und Citizen Developer fließend zusammen?
  • Wie sorgen Unternehmen für die nötige Transparenz, um Schatten-IT und Datensilos zu vermeiden?
  • Worauf gilt es bei der Integration neuer Apps und Bots in die vorhandene Daten- und Systemlandschaft besonders zu achten?

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Citizen-Developer-Vorteile: IT-Refokussierung und mehr

Citizen Development ermöglicht es den Mitarbeitenden also jederzeit, eigene Apps oder Bots zu entwickeln, einzuführen und zu betreiben. Das bringt mehrere Vorteile mit sich: App-Entwicklung lässt sich skalieren, die IT wird nicht mehr zum Flaschenhals. Außerdem kennen Citizen Developer die Anforderungen ihrer Abteilung im Detail, wissen also um die aktuellen Bedürfnisse ihrer Kollegen. Befähigen Unternehmen die Nutzer eigene digitale Prozesse zu installieren, entlasten sie ihre IT-Abteilung. Kleinteilige Aufträge der Fachabteilungen sind für die hauptberuflichen Entwickler jetzt passé. Stattdessen können sie wichtige Kernprozesse weiterentwickeln und dazu beitragen, das Unternehmen innovativer und zukunftssicher aufzustellen. Nicht selten greifen die Profi-Entwickler sogar selbst auf Low-Code- oder No-Code-Tools zurück, um die Programmierung zu beschleunigen.

Um sowohl traditionellen Entwicklern als auch Citizen Developers das Leben leichter zu machen, lässt sich Pre-built Content nutzen. Das können beispielsweise vordefinierte Prozess-Templates oder Bots sein, die sich unmittelbar in bestehende Systeme integrieren lassen. Solche Lösungen basieren häufig auf Best Practices und haben sich als Branchenstandards bewährt. Wenn Unternehmen ihren Pre-built Content in Business-Netzwerke oder Marktplätze einbringen, können sie damit neue Geschäftsmodelle erschaffen und vermarkten.

Im Zuge eines verstärkten Einsatzes von Citizen Development sollten Unternehmen genau definieren, an welchen Stellen die IT im Boot bleibt:

  • Wie umfangreich müssen Fachabteilungen die IT über neue Apps oder Bots informieren?
  • An welcher Stelle gilt es, die IT einzubinden und wo wird sie überhaupt nicht mehr gebraucht?

Entscheider sind gut damit beraten, Demokratisierung und Self Services in geordneten Bahnen voranzutreiben, um Schatten-IT, App-Wildwuchs oder Datensilos zu vermeiden und gleichzeitig für IT-Sicherheit, Data Governance und Compliance zu sorgen. Außerdem müssen sie sicherstellen, dass sich neue Apps nicht negativ auf die Performance der Infrastruktur auswirken. In der Praxis haben sich sogenannte Citizen Developer Center of Excellence bewährt. In ihnen können sich Mitarbeitende weiterbilden und zertifizieren lassen, um für ihren Bereich regelkonforme Apps oder Prozesse erstellen zu können. Um die Aufgaben zwischen IT und Citizen Developern aufzuteilen, empfehlen die Analysten von Gartner folgendes Vorgehen:

  • Unternehmen sollten klar festlegen, welche Geschäftsprozesse die Fachabteilungen mit eigenen Apps oder Bots digitalisieren dürfen.
  • Geht es um firmenübergreifende Belange, sollte die IT-Abteilung stets involviert sein, die App-Entwicklung beaufsichtigen und an manchen Stellen auch mitgestalten können.
  • Sind kritische Kernprozesse des Unternehmens betroffen, entwickelt wie gehabt ausschließlich die IT alle erforderlichen, digitalen Apps.

Self Service: Softwareentwicklung ohne Grenzen

Prinzipiell sind Self Services in der Softwareentwicklung keine Grenzen gesetzt. Mit selbst entwickelten Apps können etwa Finanzabteilungen ihre Rechnungsfreigaben besser steuern. Lässt sich eine Rechnung keiner Bestellung zuordnen, muss sie von verschiedenen Mitarbeitenden gesichtet, abgeglichen und freigegeben werden. Bisher verschickten die Teams solche Rechnungen meist umständlich per Mail. Dank neuer, selbst entworfener Digitallösung lassen sich die offenen Posten nun mit wenigen Klicks verarbeiten und freigeben.

Anderes Beispiel: Größere Unternehmen nutzen digitale Plattformen, um Büromaterialien und Services zu beschaffen. Für seltene, teure Anschaffungen – wie beispielsweise eine neue Küchenzeile für die Kantine – gibt es jedoch meist keinen festen Prozess. Um solche Projekte zu beantragen, arbeiten viele Firmen noch mit Excel-Blättern. Das verkompliziert die Abstimmung und provoziert viele Fehler, da die Mitarbeitenden die Datei hin und her senden und alle Informationen in unübersichtlichen Tabellen prüfen müssen. Mittels RPA kann die Fachabteilung den Ablauf digitalisieren und in einer App unternehmensweit bereitstellen, sodass sich Investitionen jederzeit schnell beantragen lassen. Das spart Zeit und sorgt für transparente Einblicke aller Beteiligten.

*Christian Mehrtens ist seit August 2017 Leiter des Geschäftsbereichs Mittelstand und Partner bei der SAP Deutschland SE & Co. KG.


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