Der Einsatz einer Cloud-ERP-Lösung ist heute ein wichtiger Bestandteil bei der digitalen Unternehmenstransformation. Doch es gibt auch noch viele Vorbehalte. [...]
Die Zeit der zentralen und monolithischen ERP-Systeme ist vorbei. Die digitale Transformation zwingt die Firmen, diese umzugestalten. Dabei kommen Cloud-Computing-Angebote sowie Cloud-ERP-Lösungen ins Spiel, die als Software-as-a-Service (SaaS) entweder in Form einer Single- oder einer Multi-Tenant-Lösung bereitgestellt werden. Sie bilden inzwischen einen wichtigen Bestandteil in der Digitalisierungsstrategie der Firmen.
Bei 70 Prozent der Unternehmen hat die Nutzung von Cloud-Computing-Angeboten eine hohe bis sehr hohe Priorität, und 40 Prozent setzen bereits eine native SaaS-Cloud-ERP-Lösung ein. 45 Prozent planen zudem die Einführung eines Cloud-ERP beziehungsweise den Aufbau einer hybriden ERP-Landschaft innerhalb der nächsten zwölf Monate oder mittelfristig. Dieser Anteil steigt sogar auf mehr als zwei Drittel (68 Prozent), wenn die Firmen dazugezählt werden, die auf lange Sicht den Einsatz eines Cloud-ERP planen.
Das sind zentrale Ergebnisse der aktuellen Studie zu Cloud-ERP, die CIO und COMPUTERWOCHE zusammen mit den Partnern lexbizz, All for One Steeb, Oracle, Unit4 und e.bootis realisiert haben. An der Studie haben 365 Geschäfts- und IT-Entscheider aus deutschen Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen teilgenommen.
Investitionsfreude – trotz Corona
Interessant ist, dass 63 Prozent der Firmen, die ein cloud-basiertes ERP einsetzen, diese Lösung in den nächsten zwölf Monaten ausbauen wollen. Besonders investitionsfreudig sind kleinere Unternehmen mit weniger als 500 Beschäftigten, von denen 28 Prozent auf jeden Fall Geld für ihr Cloud-ERP ausgeben wollen. Bei mittelständischen Unternehmen mit 500 bis 999 Beschäftigten sind es 23 Prozent, bei größeren Unternehmen mit 1.000 Mitarbeitern und mehr 22 Prozent.
Vor dem Hintergrund, dass in der Corona-Pandemie nur zehn Prozent der Unternehmen ihr Investitionsbudget etwas oder stark erhöht und genauso viele einen kompletten Ausgabenstopp verfügt haben, ist diese Bereitschaft erstaunlich. Sie hängt möglicherweise damit zusammen, dass der konkrete Nutzen eines Cloud–ERP umgehend ersichtlich ist – sei es durch die Verbesserung und eine höhere Digitalisierung der Prozesse oder durch die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. Es ist aber auch denkbar, dass in den Ausbau investiert wird, weil ein Großteil der Befragten, nämlich 60 Prozent, mit der eingesetzten Cloud-ERP-Lösung zufrieden ist. 13 Prozent sehen ihre Erwartungen sogar übertroffen.
Dass der Umstieg von einem On-Premises–ERP auf eine cloud-basierte ERP-Lösung in der überwiegenden Anzahl der Fälle glatt verläuft, ist ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie. 69 Prozent aller Befragten verbuchen die Migration als Erfolg. Diese hohe Zufriedenheitsquote, die bei kleinen Firmen sogar 77 Prozent beträgt, könnte darauf zurückzuführen sein, dass kaum ein Unternehmen (3,3 Prozent) ein solches Projekt ohne die Hilfe externer Spezialisten umgesetzt hat.
Cloud-ERP-Mehrwerte
Doch worin genau liegt der Mehrwert eines Cloud–ERP für die Unternehmen? Als Hauptnutzen bezeichnen 27 Prozent die Möglichkeit zur – standortübergreifenden – Prozessvereinheitlichung in einem integrierten IT-System mit zentraler Datenhaltung in der Cloud (Single Source of Truth). Für ein Viertel der Umfrageteilnehmer stehen Produktivitätssteigerungen an erster Stelle.
Für jeweils 24 Prozent sind die hohe Zeitersparnis beim Auffinden von Informationen – Stichwort zentrale Datenhaltung in der Cloud -, der geringere Aufwand bei der Datenverwaltung und die Kostenkontrolle die größten Pluspunkte. Apropos Kosten: 34 Prozent der Befragten sagen, dass es gegenwärtig noch an der Cloud-Readiness der Abrechnungsmodelle hapert und die Bezahlung nach dem Pay-per-Use-Konzept bislang kaum möglich ist.
Das nötige Geld für ein Cloud–ERP stellen in den meisten Fällen noch die Geschäftsführung oder der CEO sowie die kaufmännische Leitung, der CFO oder der COO bereit. Der Anteil beträgt zusammengerechnet 57 Prozent. Allerdings scheint sich die IT mittlerweile vom Business zu emanzipieren, denn der kumulierte Anteil von IT-Leitern und CTOs beziehungsweise Leitern der IT-Organisation, die über ein eigenes ERP-Budget verfügen, liegt bei 53 Prozent.
Kostensenkung als oberste Priorität
Das primäre Ziel beim Einsatz eines Cloud–ERP ist, die Kosten vor allem bei der IT-Infrastruktur (35 Prozent) und beim Systemmanagement (34 Prozent) zu senken. Die hohe Bedeutung des Kostenaspekts ist nachvollziehbar, verschlingen die Einführung und der laufende Betrieb eines On-Premises-ERP doch in der Regel einen Großteil des IT-Budgets. Bei einem nativen SaaS-Cloud-ERP erhalten Unternehmen dagegen Zugang zu einer weitgehend vorinstallierten Lösung, deren Pflege, Betrieb, Support und Weiterentwicklung der Anbieter übernimmt.
Es ist daher nur folgerichtig, dass 32 Prozent die einfachere, schnellere und damit preiswertere Implementierung eines Cloud–ERP im Vergleich zu einem On-Premises-ERP schätzen. 56 Prozent aller Befragten nennen dies sogar als Hauptgrund für den Einsatz eines Cloud-ERP. Bei Unternehmen aus dem klassischen Mittelstand mit 500 bis 999 Beschäftigten sind es sogar knapp zwei Drittel.
Weitere wichtige Gründe, sich für ein Cloud–ERP zu entscheiden, sind die Migration vorhandener Unternehmensprozesse in die Cloud (52 Prozent) und die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und interner Compliance-Regeln (40 Prozent). 62 Prozent der Unternehmen machen den Umstieg auf ein Cloud-ERP auch von seiner Flexibilität in Bezug auf die Anpassung an individuelle Prozessanforderungen abhängig. Da 71 Prozent mit den Anpassungsmöglichkeiten sehr zufrieden oder zufrieden sind, haben die ERP-Anbieter im Großen und Ganzen offenbar einen guten Job gemacht.
Entscheidet sich ein Unternehmen für den Einsatz eines Cloud–ERP, gilt es im Rahmen einer endgültigen Auswahl die passende Lösung zu finden. Dass eine langfristige Verfügbarkeit (34 Prozent) und ein umfassender Funktionsumfang (30 Prozent) zwei zentrale Entscheidungskriterien sind, ist kein Zufall. Auf die Frage nach der Wichtigkeit bestimmter Aspekte im Umfeld der eingesetzten Cloud-ERP-Systeme stuft nämlich fast die Hälfte der Befragten die finanzielle Stabilität des ERP-Anbieters als „sehr wichtig“ oder „wichtig“ ein, denn sie gewährleistet den Unternehmen die gewünschte Investitionssicherheit.
Nahezu keine Rolle für die Auswahl eines Cloud-ERP spielen dagegen Reporting-Funktionen und BI-Dashboards sowie die internationale Einsatzfähigkeit. Das überrascht, denn zur gleichen Zeit fordert ein Drittel der Unternehmen, Analytics müsse deutlich stärker Einzug in Cloud-ERP finden, und 43 Prozent erachten eine globale Verfügbarkeit in Bezug auf Sprachen und rechtliche Anforderungen als „sehr wichtig“ oder „wichtig“.
Was ein Cloud-ERP leisten sollte
Auf die Frage, was im Kontext mit ihrem Cloud–ERP-System sehr wichtig ist, sagen über zwei Drittel der Unternehmen: die Möglichkeit, über verschiedene IT-Systeme hinweg digitale Workflows etablieren zu können. In erster Linie wollen sie ihr Cloud-ERP dabei mit einer CRM-Lösung (49 Prozent), einem Warenwirtschaftssystem (46 Prozent) oder Fachprozessen (Workflows) verknüpfen. Von Bedeutung ist aber auch die Vernetzung mit einem KI-System (30 Prozent), einer Robotic-Process-Automation-Software, kurz RPA, (23 Prozent) oder einer Blockchain-Lösung (22 Prozent). Gerade die letztgenannten drei IT-Tools sind wichtige Bausteine zur Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen.
Für 62 Prozent der Unternehmen ist darüber hinaus die mobile Nutzung per Smartphone, Tablet oder Laptop eine zwingende Voraussetzung für den Einsatz eines Cloud–ERP-Systems. Schließlich erhöht der Datenzugriff von unterwegs die Flexibilität und den Digitalisierungsgrad. In Zeiten, in denen sich die Geschäftswelt dynamisch verändert, ist das ein kritischer Faktor. Passend dazu halten 58 Prozent ferner einen digitalen Assistenten für sehr wichtig, der via Sprach- oder Texteingabe mit dem Cloud-ERP kommuniziert und für direkten Zugang zu ERP-Daten sorgt.
Stichwort Daten: Sie sind das strategische Asset in der digitalen Geschäftswelt und damit wettbewerbsrelevant. Darüber sind sich offenbar auch die Unternehmen im Klaren, da vier Fünftel parallel zur Einführung eines Cloud–ERP Maßnahmen zur Verbesserung der Datenqualität ergreifen. Hohe Priorität genießt das Thema Datenqualität besonders in Firmen mit 1.000 und mehr Beschäftigten, von denen 84 Prozent entsprechende Initiativen veranlasst haben. Bei Mittelständlern mit 500 bis 999 Beschäftigten sind es mit 73 Prozent deutlich weniger.
Woran Cloud-ERP (noch) scheitert
Die aktuelle Studie zu Cloud–ERP förderte aber auch Erkenntnisse zutage, die nachdenklich stimmen. Dazu zählt in erster Linie, dass immerhin noch 36 Prozent der Befragten grundsätzliche Vorbehalte gegenüber der Nutzung von Cloud-Services und 14 Prozent gegen ein Cloud-ERP haben. Bedenken gegen den Einsatz einer ERP-Cloud-Lösung äußern dabei deutlich mehr Firmen mit weniger als 500 Beschäftigten (18 Prozent) als Firmen mit 500 bis 999 (elf Prozent) sowie 1.000 und mehr Beschäftigten (13 Prozent).
Die Vorbehalte hängen möglicherweise damit zusammen, dass bei Cloud–ERP neben Sicherheitsbedenken (26 Prozent) vor allem auch psychologische Aspekte eine wichtige Rolle spielen: zum Beispiel ein „Gefühl des Ausgeliefertseins“ (26 Prozent), „fehlende Eigenkontrolle“ (25 Prozent) oder „größere Abhängigkeit vom Anbieter“ (20 Prozent). 23 Prozent der Befragten sehen im unzureichenden oder gar fehlenden Support des Cloud-ERP-Anbieters und 17 Prozent in einer schlechten Software-Ergonomie und -Usability ein Hemmnis.
Als große Hürde auf dem Weg zu einer ERP–Cloud-Lösung erweist sich zudem ein fehlendes Fachwissen. Das sagen 29 Prozent der Befragten. 27 Prozent nennen unsichere Budgets, die eine flexible Nutzung von (Pay-per-Use-)Lizenzen erschweren könnten.
Auch in puncto Sicherheit und Datenschutz liegt den Ergebnissen der Studie zufolge einiges im Argen. Obwohl die Erfahrung zeigt, dass deutsche Unternehmen noch immer skeptisch sind, Geschäftsdaten einem Cloud–ERP-Anbieter zu überlassen, genießen die Sicherheit und der Schutz ihrer Geschäftsdaten nur bei etwas mehr als der Hälfte der Befragten Top-Priorität. 20 Prozent der Unternehmen geben sogar an, Cloud-ERP-Security sei ihnen nicht oder überhaupt nicht wichtig. Vor dem Hintergrund, dass ein Viertel der Studienteilnehmer die Daten- und Informationssicherheit zu den größten Herausforderungen im ERP-Bereich zählt, ist das ein Widerspruch.
„Cloud only“ ist keine Lösung
Alles in allem gestaltet sich die Entwicklung und Akzeptanz von Cloud–ERP jedoch positiv, und viele Firmen sind mittlerweile bereit, eine solche Lösung einzuführen oder von ihrem On-Premises-ERP auf ein cloud-basiertes ERP zu migrieren. Die Studie zeigt dabei ganz klar, dass die wenigsten Unternehmen auf eine „Cloud only“-Strategie setzen, sondern als bevorzugte Option ein hybrides Bereitstellungs- und Betriebsmodell wählen.
Das stabile ERP-Kernsystem wird dabei durch native Cloud-ERP-Funktionen etwa für den Vertrieb oder den Service flexibel erweitert und ausgebaut, was Gartner-Analysten als IT der zwei Geschwindigkeiten bezeichnen. Genau daran zeigt sich aber auch, dass das oft totgesagte ERP weiterhin quicklebendig ist und im Zuge der Digitalisierung – da schließt sich der Kreis – eine Transformation zur offenen IT- und Geschäftsprozessplattform durchläuft.
*Dr. Andreas Schaffry ist freiberuflicher IT-Fachjournalist und von 2006 bis 2015 für die CIO.de-Redaktion tätig. Die inhaltlichen Schwerpunkte seiner Berichterstattung liegen in den Bereichen ERP, Business Intelligence, CRM und SCM mit Schwerpunkt auf SAP und in der Darstellung aktueller IT-Trends wie SaaS, Cloud Computing oder Enterprise Mobility. Er schreibt insbesondere über die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen IT und Business und die damit verbundenen Transformationsprozesse in Unternehmen.
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