Die Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI) zeigt sich optimistisch: Aktuelle Einschränkungen können der Digitalisierung in Deutschland einen Schub geben. [...]
Die Corona-Krise macht deutlich, wo Deutschland Defizite bei der Digitalisierung aufweist. Die Defizite betreffen weite Teile der Wirtschaft, der staatlichen Verwaltung und der Hochschulen. Die Potenziale der Digitalisierung im Umgang mit der Krise und zur Abfederung ihrer Folgen werden hierzulande nicht ausgeschöpft. Dies wäre aber nötig, um zahlreiche Produktions-, Dienstleistungs- und Bildungsprozesse trotz der virusbedingten physischen Distanzierung effektiv ausführen zu können. Auch jetzt noch werden viele Tätigkeiten unter hohem Risiko wie gewohnt erledigt oder unterbleiben ganz, mit allen negativen wirtschaftlichen Konsequenzen.
Dieser unbefriedigende Zustand hat aber auch eine positive Seite: Er zeigt, wie wichtig die Digitalisierung für ein funktionierendes Gemeinwesen und eine funktionierende Wirtschaft ist und wie dringend Deutschland eine leistungsfähige digitale Infrastruktur braucht. Die Expertenkommission erwartet, dass diese Einsicht den Prozess der Digitalisierung in Deutschland deutlich beschleunigen und nach überstandener Krise nachhaltig voranbringen wird.
Verwaltung
Im Bereich der öffentlichen Verwaltung werden die Digitalisierungsdefizite besonders sichtbar. Anstatt Vorgänge digital abzuwickeln und staatliche Dienstleistungen und Handlungsfähigkeit trotz Kontaktsperre zu gewährleisten, kämpft das Verwaltungspersonal vielerorts mit beschränkten Möglichkeiten des Home Office. Effizientes und koordiniertes Behördenhandeln, insbesondere auch bei Maßnahmen zur Krisenbewältigung, ist dadurch massiv erschwert. Zugleich verhindert die fehlende digitale Durchgängigkeit vieler öffentlicher Dienstleistungsangebote, dass Bürgerinnen und Bürger auf dringend benötigte Unterstützungsangebote zugreifen können. Die Expertenkommission hat die Rückständigkeit Deutschlands im E-Government wiederholt angemahnt – leider bislang vergebens. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern liegt Deutschland bei der Digitalisierung seiner öffentlichen Verwaltung weit zurück und hat in den vergangenen Jahren sogar weiter an Boden verloren. Laut Digital Economy and Society Indicator (DESI) der EU-Kommission fiel Deutschland zwischen 2017 und 2019 in der Kategorie „Public Services“ von Platz 18 auf Platz 24 zurück. Ganz besonders schlecht schneidet Deutschland laut DESI-Bericht im Bereich E-Health ab.
Hochschulen
Auch die Hochschulen bekommen in der aktuellen Krise die Folgen ihrer Versäumnisse bei der Digitalisierung zu spüren. Zwar messen die Hochschulen der Digitalisierung nach eigener Aussage eine sehr hohe Bedeutung zu. Dies spiegelt sich jedoch im bisher erreichten Digitalisierungsstand, insbesondere von Verwaltung und Lehre, nicht wider. Entsprechend groß sind die aktuellen Probleme der Hochschulen, ihre überwiegend auf Präsenzveranstaltungen ausgerichtete Lehre innerhalb kürzester Zeit auf digitale Formate umzustellen und für bestehende Lehr- und Prüfungsformate digitale Alternativen aufzubauen. Für diese zeit- und personalaufwendigen Anforderungen müssen andere Aufgaben, insbesondere die Hochschulforschung, zurückgestellt werden. Dafür zeigen Hochschulangehörige, Studierende und Digital-Expertinnen und -Experten derzeit ein enormes Maß an Energie und Kreativität, um neue digitale Wege für die Lehre zu finden. Die Expertenkommission hofft, dass die neu entwickelten Lösungen über die Krise hinaus Bestand haben und das Lehrangebot der Hochschulen auf Dauer bereichern werden.
Unternehmen
Deutsche Unternehmen, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), haben sich mit dem digitalen Wandel bislang schwergetan. Nach wie vor gehören die für die Digitalisierung zentralen Technologien und Geschäftsmodelle nicht zu den Kernstärken des deutschen Forschungs- und Innovationssystems. Auch bei flexiblen Formen der Arbeitsorganisation, wie etwa bei der Nutzung von Home Office, war Deutschland bislang nicht Vorreiter. Durch die Corona-Krise und die damit verbundenen Umsatzeinbrüche drohen Finanzierungsbeschränkungen zu entstehen oder sich zu verschärfen. Damit könnte es für viele KMU noch schwieriger werden, längst notwendige digitale Veränderungen umzusetzen, was durch den bestehenden Mangel an IT-Fachkräften noch verstärkt wirdDas sich in der Krise zeigende persönliche Engagement und kreative Management kann aber den Anstoß geben, für die Zukunft digitale Infrastrukturen aufzubauen, Prozesse zu digitalisieren und neue, digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Expertenkommission fordert, hierfür unbürokratische staatliche Unterstützung bereitzustellen.
Infrastruktur
Ob und wie gut es der öffentlichen Verwaltung, den Hochschulen und den Unternehmen gelingt, ihre Prozesse zu digitalisieren und in der Praxis zu nutzen, hängt letztlich von der Leistungsfähigkeit der digitalen Infrastruktur ab. Dass es darum nicht zum Besten steht, erleben viele Bürgerinnen und Bürger derzeit täglich. Zur Verbesserung der in Krisen-Zeiten besonders belasteten digitalen Infrastruktur hat die Bundesregierung in ihrem Notfall-Paket nicht nur finanzielle Mittel in Aussicht gestellt, sondern auch angekündigt, Verfahrensvorgaben für den Glasfaserausbau zu reduzieren und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen. Die Expertenkommission mahnt an, diesen Ankündigungen schnellstmöglich Taten folgen zu lassen. Schließlich hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Geld allein wenig erreicht. Oftmals waren es bürokratische Hürden, die den Ausbau des schnellen Internets – insbesondere im ländlichen Raum – behindert haben.
Die Expertenkommission ist überzeugt, dass die Corona-Krise die Vorteile und Chancen der Digitalisierung für die öffentliche Verwaltung, die Hochschulen und die Unternehmen noch deutlicher macht und somit helfen kann, die dafür notwendigen Schritte jetzt umzusetzen.
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