Die IT-Branche ist dabei, die Mobilität der Zukunft zu entwerfen – weshalb Softwareentwickler unbedingt dabei sein sollten. [...]
Die digitale Transformation ist endgültig in den Chefetagen der Automobilkonzerne angekommen: Vor wenigen Monaten kündigte Lutz Meschke, Vorstandsmitglied bei Porsche, in einem Interview mit der Automobilwoche an, die Zuffenhausener wollten in Zukunft einen zweistelligen Prozentsatz ihres Umsatzes mit digitalen Diensten generieren – und zwar bis zu 30 Prozent. BWM-CEO Harald Krüger spricht sogar davon, das Traditionsunternehmen bis 2025 zum „digitalisierten Mobilitätsanbieter“ umzubauen.
Das Bekenntnis zum IT-getriebenen Auto der Zukunft, dem Connected Car, ist jedoch keinesfalls nur der Stimulus für die Fantasien einiger Investoren oder gar eine neumodische Sprechblase – sondern schlichtweg eine notwendige Bedingung für das Überleben in sich ändernden Märkten. In Zeiten neuer Technologien und Anwenderbedürfnisse müssen auch die Automobilhersteller Schritt halten. Das Beispiel eines finnischen Anbieters von Mobiltelefonen, der vor knapp zehn Jahren den Boom um die damals aufkommenden Smartphones verpasste, sollte hier als hinreichend negatives Beispiel dienen. Auf Unternehmen, die den Umbruch entschieden anpacken, warten hingegen große Chancen.
Die IT rückt ins Zentrum der Automobil-Wertschöpfung Vor allem für die IT-Branche beginnt mit dem Innovationszyklus Connected Car eine spannende Zeit. Nicht nur die hauseigenen IT-Abteilungen der Automobilkonzerne erhalten mehr Gewicht. Auch externe Berater, Systemhäuser und Solution Provider werden zum immer wichtigeren Bestandteil der Wertschöpfungskette. Wohl schon bald sind sie auf Augenhöhe mit den klassischen Zulieferern für Motoren, Getrieben und die übrigen mechanischen Komponenten.
Und dies mit steigender Tendenz: Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung PwC werden Technologieanbieter und Zulieferer ihren Anteil an der Wertschöpfung der Automobilproduktion bis 2022 von 30 Prozent auf 50 Prozent ausbauen. Der Markt für vernetzte Mobilität wird laut Prognose dann insgesamt 140 Mrd. Euro an Umsatz generieren.
Doch nicht nur deshalb stellt die Automobilindustrie für erfahrene Softwareentwickler ein attraktives Betätigungsfeld dar. Denn gerade die technologischen Herausforderungen im Bereich Connected Car üben auf ideenreiche und ehrgeizige Entwickler einen großen Reiz aus. Denn am Ende sind sie es, die die Ideen der Automobildesigner zum Leben erwecken. Im Folgenden sollen die wichtigsten Funktionalitäten, die wir in der näheren Zukunft im Connected Car zu erwarten haben, kurz vorgestellt werden:
Multimodale Navigation: Navigationsgeräte sind heutzutage bereits Standard und leisten nützliche Dienste. Aber nicht in jedem Falls muss der Weg über die Straße der kürzeste und angenehmste sein. Beispielsweise, wenn es für den Fahrer mehr Sinn macht, das Fahrzeug auf einem Park&Ride-Platz abzustellen und die letzte Etappe in die Innenstadt mit einem öffentlichen Verkehrsmittel zurückzulegen. Multimodale Navigation berücksichtigt alle Verkehrswege und ist insbesondere im Kontext von Mobilitätsplattformen wie Carsharing-Anbietern attraktiv, da der Fahrer hier den Pkw nicht zwangsläufig über die ganze Strecke hinweg mitnehmen muss.
Parkplatz und Ladestationsuche: Sensoren auf zugewiesenen Parkflächen helfen dem Fahrer dabei, stets den nächsten Parkplatz zu finden. Diese Funktion sorgt nicht nur für Komfort beim Fahrer, sondern verringert den Stadtverkehr insgesamt. Denn unnötiges Parkplatzsuchen gehört damit der Vergangenheit an. Im anbrechenden Zeitalter der Elektromobilität wird außerdem die Ladestation zu einem wichtigen Mobilitätsfaktor. Die intelligente Vernetzung des Fahrzeugs mit den verfügbaren Ladestationen in der Umgebung verhindert unangenehme „Durststrecken“ und sorgt für einen reibungslosen und zeitsparenden Ladevorgang.
Assistenzservices: Das Connected Car begleitet seinen Besitzer wie ein persönlicher Assistent beziehungsweise Concierge. Ist beispielsweise bei winterlichen Temperaturen im Kalender ein Termin außer Haus vermerkt, heizt der Dienstwagen automatisch vor. Gibt der Fahrer an, mit einer Begleitperson abends in Theater gehen zu wollen, bucht das System zwei Eintrittskarten und sendet rechtzeitig vor Beginn eine Erinnerung.
Vernetzung mit der Umgebung und anderen Fahrzeugen: Die Königsklasse der Automobil-IT, das autonome Fahren, macht den Fahrer auf lange Sicht zum Passagier. Bereits heute stehen Einparkhilfen, Bremsassistenten und ähnliche Systeme zur Verfügung. Die Entwicklung wird sich auch weiterhin graduell dem künstlichen Chauffeur annähern. Ein erster Schritt dorthin lässt sich beispielsweise durch einen Car2X-gesteuerten Kolonnenverkehr bewerkstelligen. Die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander und mit Sensoren in der Umgebung ermöglicht es dann, dass sich der Verkehr ohne Zutun seiner Insassen flüssig und sicher bewegt.
Es ist ersichtlich, dass das Automobil der Zukunft nicht nur ein Fortbewegungsmittel ist, sondern auch ein Tool für die unterschiedlichsten Anwendungsfälle. Mit einem Augenzwinkern – das aber durchaus einen Kern Wahrheit enthält – lassen sich diese Connected-Car-Modelle der nächsten Generation auch als „Tablet auf Rädern“ beschreiben. Im Mittelpunkt steht die von digitalen Diensten geleitete Nutzererfahrung; mechanische Aspekte wie Drehmoment, PS oder Beschleunigung geraten bei den Autokäufern mehr und mehr in den Hintergrund des Interesses. Dies birgt vor allem für die zuliefernde IT-Branche große technische Herausforderungen. Denn schließlich erwarten die Autofahrer, dass alle Funktionalitäten sicher, zuverlässig und auf dem neuesten Stand der Technik und des Bedienkomforts ausgeliefert werden.
Was Entwickler erwartet – und was von ihnen erwartet wird Aus Sicht der Entwickler bewegen sich daher die Disziplinen Car und Mobile aufeinander zu. Dies hat den Grund, dass der Alltag der Menschen mehr und mehr von mobilen Geräten wie Tablets und Smartphones dominiert wird. Eine wichtige Erkenntnis für die Automobilbranche ist, dass die Kunden aus diesem Grund eine ähnliche „User Experience“ bei den digitalen Elementen ihres Automobils erwarten. Autokäufer fragen sich (und zwar zu Recht): Darf ein Premium-Mobiltelefon – das preislich im oberen dreistelligen Bereich rangiert – ein besseres Display, eine flüssigere und intuitivere Bedienung haben als die Armatur eines Premium-Fahrzeugs – mit einem Kaufpreis aus dem oberen fünfstelligen Bereich?
Eine große Herausforderung wird darin bestehen, die unterschiedlichen Lebenszyklen von mobilen Endgeräten und Automobilen aufeinander abzustimmen. Während bei ersteren eine Modellreihe üblicherweise maximal zwei Jahre Bestand hat, sind bei Automobilen Entwicklungszyklen von etwa sechs Jahren immer noch üblich. Bis dahin ist die Bordsoftware aber schon wieder völlig veraltet. Daher muss es möglich sein, Updates einzuspielen, die dem Benutzer wie bei Handys „over the air“ bereitgestellt werden und sicher eingespielt werden können.
Aber auch alle anderen Bereiche, die von Entwicklern derzeit hohe Innovationskraft erfordern, finden in der Umgebung des Connected Car ihren Niederschlag. Zum einen ist Agilität ein wichtiger Faktor, um die oben beschriebenen Kundenanforderungen zu erfüllen. Besonders im Infotainment-Bereich kommen alle modernen Technologien zur Geltung, die Entwickler sonst aus der App-Welt kennen.
Um Updates und neue Funktionalitäten zu ermöglichen sowie die Hardware-Anforderungen schlank zu halten, verzichtet die IT im Connected Car auf monolithische Architekturen. Vielmehr setzt sie auf Container-basierte Microservices. Neuere Technologie-Plattformen wie Smartphone-Betriebssysteme und Sprachassistenzsysteme gehören selbstverständlich dazu. Darüber hinaus sollten Softwareentwickler Verständnis der physischen Prozesse im Automobil mitbringen. Denn auch Software, die beispielsweise die Motorenleistung oder bestimmte andere mechanische Prozesse während der Fahrt steuert, wird immer wichtiger.
Gute Karrierechancen auch für Automotive-Neulinge Erfahrene Softwareentwickler sollten angesichts der exzellenten Aussichten nicht zögern, sich für den Bereich Connected Car zu engagieren. Sie haben dabei die einmalige Gelegenheit, den wohl größten Paradigmenwechsel in der Geschichte des Automobils aktiv mitzugestalten und voran zu treiben.
Ein weiteres Plus ist, dass nicht notwendigerweise Erfahrungen im Automobilbereich vonnöten sind; auch „Quereinsteiger“, die sich mit allen aktuellen Software-Trends bestens auskennen, erhalten ihre Chance. Denn wie oben beschrieben sind die digitale und die analoge Welt immer stärker dabei, zu verschmelzen. Softwareentwickler werden dabei eine fundamentale Rolle spielen, vor allem auch in der Rolle als externer Berater – beziehungsweise „Zulieferer“.
* Harald Haller ist Business Development Manager bei Pentasys.
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