Das Auto wird zum rollenden Computer

Noch vor zehn Jahren bestand die Software eines Autos aus rund zehn Millionen Codezeilen. Inzwischen sind es 100 Millionen. Das Fahrzeug von heute ist ein kleines Rechenzentrum. [...]

Foto: DenisDoukhan/Pixabay

Noch ist es ein seltener Anblick – aber wir werden uns bald daran gewöhnt haben: Der Fahrer eines Autos kümmert sich nicht um den Verkehr, sondern liest während der Fahrt seine Mails oder sieht sich ein Youtube-Video an.

Was bis vor Kurzem noch nach Zukunft klang, ist inzwischen Realität: Die aktuelle S-Klasse von Mercedes-Benz fährt auf freigegebenen Strecken und in bestimmten Verkehrssituationen selbstständig. Der Fahrer darf die Hände vom Steuer nehmen und sich anderen Dingen widmen.

Moderne Autos von heute sind rollende kleine Rechenzentren: Unzählige Sensoren registrieren zum Beispiel Regentropfen auf der Windschutzscheibe, erkennen Verkehrszeichen am Straßenrand, bremsen das Fahrzeug bei Hindernissen rechtzeitig ab oder rufen bei schweren Unfällen mit der Funktion „eCall“ selbstständig den Rettungsdienst.

Zahlreiche Sensoren sorgen dafür, dass sich die Oberklasse-Limousine sicher autonom fortbewegt.
Foto: Mercedes-Benz

So funktioniert die selbstfahrende S-Klasse von Mercedes-Benz

Mercedes-Benz erfüllte Anfang dieses Jahres als weltweit erster Auto­bauer die gesetzlichen Anforderungen der UN-Regelung R157 für autonomes Fahren. Auf rund 13.000 Autobahnkilometern in Deutschland fährt die Oberklasse-Limousine mit der Funktion Drive Pilot bei hohem Verkehrsaufkommen oder in Stausituationen selbstständig.

Wenn man das System aktiviert, dann regelt es bis 60 km/h die Geschwindigkeit und den Abstand zu anderen Fahrzeugen. Neben den ohnehin bereits zahlreichen serienmäßig verbauten Systemen basiert Drive Pilot auf weiteren Sensoren wie einem Lidar, einem Laserscanner zur Abstandsmessung. Hinzu kommen unter anderen eine Heckkamera und Mikrofone, um zum Beispiel Blaulicht und andere Sondersignale von Einsatzfahrzeugen zu erkennen.

Hochpräzises GPS

Wo sich das S-Klasse-Auto befindet, ermittelt ein hochgenaues GPS-System, das auf dem Dach montiert ist. Der von der Satellitennavigation ermittelte Standort wird in eine dreidimensionale Straßenkarte übertragen, die eine Genauigkeit im Zentimeterbereich aufweist. Die Kartendaten werden über ein Rechenzentrum ständig aktualisiert und liefern detaillierte Informationen über Strecken­eigenschaften, Verkehrszeichen sowie besondere Ereignisse wie Baustellen oder Unfälle.

Und die erwähnten Limousinen von Mercedes fahren nun auch schon ganz von allein. Mercedes-Benz erfüllt als weltweit erster Autohersteller die gesetzlichen Anforderungen für autonomes Fahren. Das System Drive Pilot ist ein sogenanntes Level-3-System, das ein hochautomatisiertes Fahren ermöglicht. Wenn man das System aktiviert, dann regelt es bis 60 km/h auf geeigneten Autobahnabschnitten und bei hohem Verkehrsaufkommen die Geschwindigkeit und den Abstand zu anderen Fahrzeugen. Dabei reagiert das Auto auch auf unerwartete Ereignisse, etwa durch Ausweichmanöver. Der Fahrer kann nebenbei machen, was er will – er muss allerdings zum Beispiel bei Baustellen innerhalb von Sekunden wieder die Kontrolle übernehmen können.

Möglich macht das Ganze moderne Computertechnik – viel Rechenleistung auf kleinem Raum. Doch ganz neu ist IT im Auto nicht. Bereits Ende der 1970er-Jahre brachte der Automobilzulieferer Bosch ein serientaug­liches Antiblockiersystem auf den Markt. Es verfügte über ein für damalige Verhältnisse hochmodernes Steuer­gerät mit Halbleitertechnik, das in Sekundenbruchteilen den Bremsdruck anpasste.

Auto-IT gestern und heute

Computertechnik im Auto gibt es also schon ziemlich lange. Was heute anders ist: Die Komponenten – also die Chips und Sensoren – werden einerseits immer performanter und umfangreicher und bieten somit ganz neue Möglichkeiten. Andererseits verändert sich deren Zusammenspiel. Früher verbaute man Insellösungen und die Technik war jeweils nur für einzelne Funktionen ausgelegt.

„In der Vergangenheit wurde das Fahrzeug primär durch die Hardware definiert, auf die die Software aufgesetzt wurde, jetzt verlagert sich der Schwerpunkt auf die andere Seite“, erklärt Harald Ruckriegel, Global Automotive Industry Lead and Chief Technologist beim Software-Spezialisten Red Hat. „Das heißt: Es bricht die Zeit des Software-definierten Fahrzeugs an.“ Dabei werde die Software von der Hardware entkoppelt. Die Vorteile sind Ruckriegel zufolge die Hardware-Unabhängigkeit, die Standardisierung sowie die höhere Skalierbarkeit und Flexibilität. Das unterstütze vor allem auch die schnelle Bereitstellung neuer Funktionen, die der Hersteller dynamisch nachladen und freischalten könne.

IT im Auto des 20. Jahrhunderts: Das 1978 auf den Markt gekommene Anti­blockier­system von Bosch kam mit für damalige Verhält­nisse viel Technik. (Quelle: Bosch )

Die große Herausforderung heute ist laut Magnus Östberg, Chief Software Officer bei der Mercedes-Benz Group, die Vernetzung im Fahrzeug und mit der Cloud. Hierbei gilt es, alle Funktionalitäten des Autos mit den Geräten des Kunden zu verknüpfen. Hinzu komme eine sichere End-to-End-Absicherung.

Vernetzte Autos als Datenkraken?

Autos von heute speichern riesige Informationsmengen. Das Problem: Autofahrer wissen nicht, welche Daten erhoben werden und welche davon zum Fahrzeughersteller fließen. Das bestätigt eine aktuelle Studie des Sicherheitsunternehmens Ultimaco.

52 Prozent der Verbraucher in Deutschland wissen nicht, wie die von den Fahrzeugen gesammelten Daten verwendet werden. Und ungefähr genauso viele befürchten im Fall einer Datenpanne die Nachverfolgung ihrer Bewegungen.

Wenn es um die Datenverarbeitung im Auto geht, dann hüllen sich die Automobilhersteller laut ADAC in Schwiegen. Der Automobilclub hat sich daher beliebte Automodelle näher angesehen und untersucht, welche Daten erhoben und an den Fahrzeughersteller übermittelt werden.

Für das E-Auto Renault Zoe zum Beispiel (erste Modellreihe 2012) wurden folgende auffälligen Befunde ermittelt:

  • Das Aufladen der Antriebsbatterie kann von Renault via Mobilfunkverbindung jederzeit unterbunden werden
  • Renault kann beliebige Informationen vom Datenbus des Fahrzeugs via Mobilfunkverbindung mit­lesen. Diese Ferndiagnose ist standardmäßig ausgeschaltet, kann aber vom Hersteller jederzeit aktiviert werden
  • Bei jeder Fahrt, spätestens jedoch alle 30 Minuten, wird ein Datenpaket an Renault gesendet, das mindestens enthält: Fahrzeug-Identifizierungsnummer (VIN), diverse Seriennummern, Datum, Uhrzeit, GPS-Position, Temperatur, Ladung und Zellspannung der Hochvolt-Antriebsbatterie. Diese Informationen können von Renault auch jederzeit angefordert werden
  • Neben den fest programmierten Funktionen der Kommunikation zwischen dem Renault-Server und dem Renault Zoe können diese Funktionen via Mobilfunkverbindung beliebig erweitert werden

Wie wichtig die Vernetzung moderner Fahrzeuge ist, unterstreicht auch Jochen Kirschbaum: „Beim Kauf eines Neufahrzeugs ist das digitale Erlebnis im Fahrzeug eines der wichtigsten Entscheidungskriterien geworden.“

Der Chief Operating Officer Onboard-Anwendungen bei Critical Tech Works, einem Joint Venture von BMW und Critical Software, ergänzt: „Dementsprechend elementar ist die Anbindung des Fahrzeugs an das digitale Ökosystem der Kunden.“ Als Beispiel nennt Kirschbaum das Smart­phone als Autoschlüssel oder Apple Car Play, um digitale Assistenten wie Siri nahtlos im Auto nutzen.


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