Eine virtuelle Welt ohne (Landes)Grenzen aber mit Avataren, Krypotwährung und zahllosen Möglichkeiten – so wird uns aktuell das Metaverse angepriesen. Aber entspricht diese Vorstellung der Realität und was bedeutet das für unsere Geschäftswelt – insbesondere den Finanzsektor? Ein Interview mit Raphael Bianchi, CEO von Synpulse. [...]
Was haben Charles Darwins Finken mit dem Metaverse gemeinsam? Wenn man den Biologiebüchern glauben kann, waren die Finken der Beweis einer, wie wir heute wissen, evolutionären Anpassung und Weiterentwicklung durch Selektion.
Die verschiedenen Finkenarten stammten zwar von einem Urfinken ab, hatten sich jedoch den jeweiligen Bedürfnissen und Lebensumständen angepasst. Diese Erkenntnis bildete die Basis für Darwins Evolutionstheorie.
Anders als die Singvögel ist das Internet zwar menschgemacht, man kann allerdings auch hier gewisse natürliche Entwicklungen beobachten – das Metaverse ist hierbei die zuletzt aufgekommene, große Entwicklungsstufe.
Avatare, Pixel und Kryptowährung – es verwundert nicht, dass viele erwarten, dass die digitale Welt auf ein neues Level gehoben wird. Laut Gartners Einschätzung werden bis 2026 knapp 25 Prozent der Menschen mindestens eine Stunde pro Tag in einem Metaverse verbringen, um dort zu arbeiten, einzukaufen, sich weiterzubilden oder soziale Kontakte zu pflegen.
Aber ist das Metaverse wirklich das “Next Big Thing” und was bedeutet diese Entwicklung für einen Bereich wie den Finanzsektor?
Wir haben dazu mit Raphael Bianchi, Senior Partner und Managing Director Switzerland bei Synpulse gesprochen.
Herr Bianchi, wird das Metaverse das Internet wie wir es kennen von Grund auf ändern?
Raphael Bianchi: Viele Stimmen sprechen im Kontext des Metaverse von der “Revolution des Internets” – die Autoren Marc Ruberg, Andreas Dripke und Detlef Schmuck gehen in Ihrem Buch “Metaverse – Was es ist, wie es funktioniert, wann es kommt” sogar so weit zu sagen, dass es als bedeutender einzustufen ist als Internet und Buchdruck zusammen.
Ich würde hingegen sagen, dass man sich vom Begriff der Revolution distanzieren muss und es eher unter dem Aspekt der Evolution – also als eine Weiterentwicklung des Web 3.0 – betrachten sollte.
Das Metaverse basiert auf der Entwicklung, dass Menschen mit ihren Daten zu den Inhalten werden (und diese Daten sogar zur Währung werden). Die Möglichkeiten sind hierbei unbegrenzt, da in dieser komplexen virtuellen Welt die Realität der Nutzer mit einem unbegrenzten Maß an Kreativität verschmilzt.
Das Einbringen echter wirtschaftlicher und finanzieller Systeme sowie die Untermauerung durch Regularien schaffen hierbei den Bezug zur realen Welt, der dem Metaverse Bedeutung beimisst und zu mehr als nur einem virtuellen Spielplatz macht.
Was macht das Metaverse aus ökonomischer Sicht so interessant?
Raphael Bianchi: Es ist ein vielversprechender Faktor, dass ein Metaverse eine stärkere Dezentralisierung absehen lässt. Das dürfte es leichter machen Nutzerdaten zu kontrollieren, zu verarbeiten und zu kommerzialisieren.
Die Distributed-Ledger-Technologie (DLT) ermöglicht es die Eigentums- und Verfügungsrechte an persönlichen Daten, aber auch an digitalen oder digital repräsentierten physischen Gütern zu stärken – ein Beispiel wären hierbei NFTs.
Zudem bietet das Metaverse neue Investitionsmöglichkeiten – weniger in Form von finanziellem Engagement im Metaverse (zumindest noch nicht) aber in die Infrastruktur der dafür benötigten Technologien. Das können DLT-Plattformen, Server oder Applikationen für eine Interaktion im virtuellen Raum sein.
Was bedeutet diese Entwicklung für den Finanzsektor – sowohl hinsichtlich der Chancen als auch der Herausforderungen?
Raphael Bianchi: Zunächst sei hier gesagt, dass wir weder auf technischer noch auf regulativer Ebene weit genug fortgeschritten sind, um das Metaverse als täglichen Ort für Business-Interaktionen zu betrachten. Daher überrascht es auch nicht, dass Finanzdienstleistungen im Metaverse noch eher selten vertreten sind und im Bereich der Einlagen und Kredite noch keine konkreten Finanzlösungen angeboten werden.
In DLT-basierten, virtuellen Welten wurden von den Entwicklern neue Zahlungsmittel eingeführt, um den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu ermöglichen. In der Zwischenzeit beginnen etablierte Finanzinstitute damit, auf das Metaverse bezogene thematische ETFs (börsengehandelte Fonds) zu schaffen. Ein Beispiel dafür ist der Roundhill Metaverse ETF ($METV).
Letztere haben auch zunehmend die Entwicklung von Hubs in verschiedenen virtuellen Welten vorangetrieben, allerdings derzeit hauptsächlich für die Bereitstellung von Finanzinformationen in Form von Spielen oder Bildungsangeboten und nicht für konkrete Finanzlösungen für Avatar-verkörperte Kunden.
Eine frühzeitige Nutzung des Metaverse zielt häufig vor allem auf Erkenntnisgewinn ab sowie das Identifizieren von möglichen Kooperationspartnern im neuen Ökosystem. Außerdem hilft es bei der Entwicklung von Hypothesen über künftige Geschäftsmodelle.
Sie haben vorhin auch die regulativen Herausforderungen erwähnt, die es für Financial Services und den Bankensektor im Kontext des Metaverse gibt – worin genau bestehen diese Herausforderungen?
Raphael Bianchi: Der Finanzsektor ist hochreguliert, um eine gewisse Sicherheit für alle Beteiligten zu bieten. Das reicht von Regelungen zu nachhaltigen Finanzierungen, über Transparenz bis zum Datenschutz. Diese Regularien verschärfen sich nochmal, wenn es um grenzübergreifende Finanzberatung oder Transaktionen geht.
Im Metaverse haben wir nun einen globalen, digitalen Raum, für den die Regularien weder angepasst noch alle Möglichkeiten erforscht wurden. Wie können wir die Identität einer Person im Metaverse verifizieren? Wie können wir feststellen, ob der angegebene Standort wirklich der echte Sitz der Person in der physischen Welt ist? Wie können wir Betrug verhindern und Cybersicherheit für alle Nutzer sicherstellen? Wer ist verantwortlich im Fall einer Sicherheitsverletzung? Diese Fragen müssen eingehend geklärt werden.
Wer wird die Finanzdienstleistungen im Metaverse regulieren?
Raphael Bianchi: Ein Metaverse hat viele Ähnlichkeiten mit einem realen Land, ist aber in privater Hand. Die Regeln werden vom Anbieter der Infrastruktur gemacht, aber die echte Regulierungsbehörde wird eingreifen, wenn die angebotenen Produkte und Dienstleistungen auch in der realen Welt reguliert werden.
Wie ist denn der aktuelle Stand der Regelerstellung für Finanzdienstleistungen im Metaverse?
Raphael Bianchi: Mit der zunehmenden Nutzung digitaler Vermögenswerte im Metaverse begannen auch die Diskussionen über Regulierung und Stabilisierung, um die Risiken wie Verlust oder Betrug zu mindern.
Die Zentralbanken denken bereits über die Einführung einer eigenen Kryptowährung nach, um sie kontrollieren zu können. Das würde natürlich nicht der Demokratisierung entsprechen, die hinter der Blockchain-Technologie steckt.
Haben Sie einen guten Rat für die Zukunft?
Raphael Bianchi: Egal wie man dem Metaverse gegenüberstehen mag, momentan befindet es sich im Testlauf. Es ist ein virtuelles Abbild unserer Realität, das auch die heute darin stattfindenden Geschäftsaktivitäten widerspiegeln wird.
Daher können auch auch innovative Finanzdienstleister damit beginnen, mögliche Anwendungen im Metaversum zu erkunden. So kann der Finanzsektor früh die wirklichen Chancen beurteilen und sich für künftige Anwendungen und Trends rüsten.
Nach der Akzeptanz müssen wir uns damit befassen, dass die externen Faktoren stimmen, um eine für alle zugängliche und funktionierende Infrastruktur zu schaffen. Es müssen die technischen Grundfaktoren geschaffen werden – beispielsweise für eine schnelle Datenverarbeitung oder für ein einheitliches Systems zur Avatar-Erstellung. Zudem benötigen wir ein kohärentes globales System, das den Austausch von Waren und Dienstleistungen ermöglicht und den Wert der verschiedenen Angebote abbildet.
Demnach werden auch Finanzdienstleister im Metaverse notwendig bleiben. Naheliegend also, dass sich die Branche rechtzeitig mit dem Thema auch praxisbezogen auseinandersetzt, um das volle Potenzial des Metaverse ausschöpfen zu können.
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