Angstgegner Amazon. Mit 8 Milliarden US-Dollar Gewinn pro Quartal und 386 Milliarden US-Dollar Umsatz treibt die E-Commerce-Branche geeint eine Frage um: Kann man den Goliath schlagen - oder besser: Wie differenziert man sich von dem scheinbaren Alleskönner? [...]
Dass die Kunden Amazon lieben, überrascht Ruppert Bodmeier, CEO und Co-Founder des Innovation Lab Disrooptive.com, nicht. „In einem E-Commerce-Markt, wo alle nur Sortimente auflisten, alle die gleiche Leistung bieten, alle auf die gleiche Art verkaufen und alle die gleiche Erfahrung bieten, gehen Konsumenten nun mal zum Besten: Amazon.“ Er präsentierte auf der K5 in Berlin drei Maßnahmen, um einen Formatwechsel einzuleiten und Differenzierungsstrategien zu erarbeiten.
1. Zukunftsformate haben eine völlig andere DNA
Stichwort Spotify: Während sich Apple Music oder Amazon Music noch damit beschäftigen, ihren Usern den neuen Song ihrer Lieblingsband zu präsentieren, ist der schwedische Musikstreaming-Dienst längst einige Schritte weiter. Er gräbt tiefer und analysiert Fragen unter der Oberfläche, um den Nutzern passgenaue Vorschläge machen zu können: Was ist der Beat? Was ist der Rhythmus? Was ist die Stimmfarbe? Was ist die Tonhöhe?
Jedes Unternehmen, das relevant bleiben und in der Plattformökonomie bestehen will, muss diese Qualitätskriterien laut Bodmeier auf das eigene Geschäftsmodell anwenden:
- Was ist der Beat meiner Branche?
- Was ist der Rhythmus meiner Branche?
- Was ist die Stimmfarbe meiner Branche?
- Was ist die Tonhöhe meiner Branche?
Bezogen auf die Möbelbranche beispielsweise, könnten folgende Detailfragen – und entsprechende digitale Services, die bei der Beantwortung helfen – sinnvoll sein. Sie befähigen den Möbelhändler dazu, seinen Kunden nicht mehr einfach nur eine Vielzahl an Produkten im Warenkatalog präsentieren zu können, sondern passgenaue, ausgewählte Angebote.
- Wie groß ist die Wohnung?
- Wie ist die Aufteilung der Wohnung?
- Wie hell ist die Wohnung?
- Wie alt ist die Wohnung?
- Wie ist die Einrichtung der Wohnung?
Entsprechende digitale Helferlein dafür gibt es in diesem Fall schon: Apps wie Magicplan unterstützen bei der Erstellung digitaler Grundrisse, Lux-o-Meter misst die Beleuchtungsstärke im Raum und Houzz kümmert sich um Inneneinrichtung, Interieur Design und Architekturfragen.
2. Zukunftsformate setzen auf Alltag- anstatt Sortimentsfrequenz
Im zweiten Aspekt geht es um die Frage, wie Händler mehr Reizpunkte am Tag setzen können – anstatt mit Sortimentsausbau zu überfordern. Aktuell drehe sich zu viel um die Ausweitung der Produkte und darauf basierende Marktplatzstrategien. Amazon treibt dieses Spiel auf die Spitze, indem permanent neue Produktkategorien erschlossen werden.
Bodmeier rät Händlern zu Frequenzartikeln, da diese hochmargige Einkäufe sichern könnten.
3. Relevanz schlägt Sortimentsgröße
Schlussendlich dürften sich Unternehmen nicht mehr über das Format definieren, sondern müssten sich um den Sinn dahinter kümmern. Beispiel: Thalia müsse seinen Fokus nicht auf Bücher legen, sondern auf das Lesen, die Entspannung, das Vergnügen dahinter. Nur so ließe sich Relevanz schaffen.
„Schlussendlich ist Amazon nichts anderes als ein Warenhaus, nur auf Stereoiden“, so Bodmeier. „Also ein Online-Karstadt, nur in XXL.“ Auf Basis dieses Vergleichs erstellt er eine gewagte Voraussage: Der Retail der Zukunft würde von Erlebniswelten und neuartigen Konzepten bestimmt, Platz für die bekannten stationären Warenhausgiganten gebe es in so einem Modell nicht mehr. Seine Schlussfolgerung daher: „Analog zum Stationären wird sich auch der E-Commerce der Zukunft ändern, in dem ein Amazon in seiner heutigen Form dann auch keinen Platz mehr hat.“
Drei „Amazon-Killer“
Und wo sind sie denn nun aber, die „Amazon-Killer“? Die gibt es längst, meint Bodmeier, nur nicht unbedingt im klassischen E-Commerce. Seine Favoriten:
a) Freeletics: Die App schlägt Workouts vor, die an den eigenen Fitnesszustand angepasst sind. Die wichtigsten Informationen der Workouts werden übersichtlich dargestellt, was die Auswahl erleichtert. Zudem gibt es weitere Personalisierungs-Optionen.
b) Bring: Die App aus der Schweiz ist ein digitaler Einkaufszettel, der eine Verwaltung durch mehrere User erlaubt. Über die Anwendung lassen sich Listen bequem speichern sowie mit Rezepten abgleichen.
c) Pinterest: Wer etwas zum Geburtstag oder ein Muttertagsgeschenk sucht, kurz gesagt: Inspiration, der nutzt Pinterest als erste Anlaufstelle. Das kann Amazon wertvolle Anteile an der Customer Journey kosten.
„All diese Formate eint, dass sie den Nutzungsalltag absichern und relevant sind“, so Bodmeier. Die Regeln für sein „neues E-Commerce-Spiel“ lauten daher:
- Guidance schlägt Angebot
- Alltagsfrequenz schlägt Sortimentsfrequenz
- Relevantes Sortiment schlägt größtes Sortiment
- Der Shop ist das Ende, nicht der Start des Kundenkontakts
*Susanne Gillner ist Chefredakteurin der INTERNET WORLD. Sie begleitet die Marke seit über zehn Jahren und schreibt über Themen wie E-Commerce, Online Marketing und Social Media.
Be the first to comment