Das technologisch fortschrittlichste Spital des Landes – und seine zahlreichen Kritiker

Das neue Royal Adelaide Hospital in Australien spielt technologisch an vorderster Front. Dennoch muss der CIO jede Veränderung verteidigen. [...]

Das Technologieprogramm des RAH hat rund 85 Mrd. Euro gekostet. (c) Björn Professional - Fotolia
Das Technologieprogramm des RAH hat rund 85 Mrd. Euro gekostet. (c) Björn Professional - Fotolia

Das neue Royal Adelaide Hospital (RAH) wurde in Australien im September letzten Jahres eröffnet. Mit 2,3 Milliarden australischen Dollar (ca. 1,5 Mrd. Euro) ist es eines der teuersten Gebäude der Welt. „Es ist ohne Frage das am technologisch fortschrittlichste Krankenhaus in Australien“, sagt der South Austriala (SA) Health-CIO und Executive Director von eHealth-Systemen Bill Le Blanc.

Das RAH beheimatet ein riesiges robotisiertes Arzneimitteldistributionsystem (eines der größten in Australien): Es stehen mehr als 100 automatische Ausgabeschränke in den Patientenflügeln zur Unterstützung der genauen und zeitgerechten Verteilung von Medikamenten zur Verfügung.

Zusätzlich zu den Telehealth-Einrichtungen für das Personal, das Patienten im ganzen Land berät, können die Spezialisten auf digitale Imaging-Technologien zurückgreifen, die es ermöglichen, klinisches Bildmaterial live aus Operationssälen und Behandlungsräumen zu Diagnose- und Schulungszwecken zu übertragen. Zudem verfügt das RAH über das größte automatisierte mikrobiologische System in der südlichen Hemisphäre.

Die 800-Betten-Einrichtung wird schätzungsweise 85.000 stationäre und 400.000 ambulante Patienten pro Jahr betreuen und ist außerdem das einzige öffentliche Krankenhaus des Landes, das über ein digitales Tracking-System für die Verwaltung seiner zahlreichen medizinischen Geräte verfügt.

Als Ergänzung wurde das Enterprise Patient Administration System (EPAS) landesweit eingeführt, das traditionelle Patientenakten ersetzt, um Medikationsfehler signifikant zu reduzieren und die Patientensicherheit zu verbessern.

„Das RAH ist“, wie Le Blanc es ausdrückt, „tatsächlich ein digitales Krankenhaus der Zukunft. Es ist so beeindruckend, dass das Spital die Öffentlichkeit bitten musste, nicht geringfügige Krankheiten vorzutäuschen, um einen Einblick in die neuen Einrichtungen zu gewinnen.“

Aber es gibt auch die Hasser. Im Zuge der Einführung des umfassenden Technologieprogramms des RAH, einer Investition von weit über 130 Mio. AUD (ca. 85 Mio. Euro), musste Le Blanc die brutale Verurteilung der Arbeit seines Teams durch lautstarke Kritiker abwehren. „Technologie ist ein leichtes Ziel für sie“, sagte er.

Patientenfokus

Jeder Aspekt der RAH wurde mit dem Ziel entwickelt, die Patientenerfahrung und die Heilungsergebnisse zu verbessern. Das Gebäude punktet mit natürlichem Licht und Kunstwerken, hat zahlreiche Höfe und Gärten, während die Patientenzimmer (alles Einzelzimmer) mit Blick auf den River Torrens die bestmögliche Heilumgebung mit höchst möglicher Privatsphäre, Komfort und Infektionskontrolle schaffen.

Das Technologieprogramm für das Krankenhaus, das etwa vier Jahre im Bau war, folgt denselben Prinzipien. „Die Technologien ermöglichen bessere klinische Ergebnisse, niedrigere Kosten und höheren Durchsatz“, sagte Le Blanc, der seit fast einem Jahrzehnt bei SA Health ist.

„Jeder stationäre Raum ist ein Ein-Bett-Raum, in dem die Technologie es ermöglicht, viele Dienste zum Patienten zu bringen. Zum Beispiel werden die Patienten mit Hilfe mobiler radiologischer Geräte in ihrem eigenen Zimmer geröntgt – anstatt dass der Patient zum Service gebracht werden muss. Wenn sich die Patienten schneller erholen und die durchschnittliche Aufenthaltsdauer damit verkürzt wird, bedeutet dies, dass das Gesundheitssystem ein höheres Patientenvolumen verarbeiten kann, ohne die Anzahl der Betten erhöhen zu müssen. Zudem werden bessere klinische Ergebnisse erzielt“, so Le Blanc. Eine Reihe der vorhandenen Technologien sei weltweit führend, „mehr als das, was in einem modernen Krankenhaus üblich ist.“

Unter den Technologien findet sich eine Flotte von 25 fahrerlosen Transportfahrzeugen (FTS), die jeden Tag mehr als 1.600 Wagen steuern und Lebensmittel, Wäsche, Medikamente und chirurgische Instrumente in der gesamten Anlage verteilen. Sie nutzen dafür 14 spezielle Aufzüge und 27 Aufzugshallen.

Außerdem automatisieren Medikationsroboter die Abgabe von Verschreibungen: Mehr als 100 automatische Ausgabeschränke in den Patientenbereichen unterstützen die genaue und zeitgerechte Verteilung von Medikamenten. Ein Netz auch drahtlosen Zugangspunkten sorgt dafür, dass die mit Chips ausgestattete Geräte wie Rollstühle, Infusionspumpen oder Transporteinheiten in Echtzeit verfolgt werden können.

Menschen stehen über der Technologie

Die Einführung der neuen Technologien und des EPAS-Systems war eine große Herausforderung – nicht nur für Le Blanc und sein Team, sondern auch für das Krankenhauspersonal. „Man kann es am besten mit digitaler Disruption beschreiben“, sagt Le Blanc. „Fast alle Prozesse des Geschäftsbereichs und des klinischen Managements, die zuvor manuell durchgeführt wurden, waren betroffen.“ Der CIO ergänzt: „Die Herausforderung einer solchen signifikanten Veränderung wurde dadurch verstärkt, dass die Mitarbeiter zusätzlich zu ihren Tagesjobs signifikante Beiträge zu dem Projekt leisten mussten. Sie waren gezwungen, unter schwierigen Bedingungen, die in dem alten RAH herrschten, hochwertige Pflege zu leisten.“

Um die neuen Arbeitsweisen zu integrieren, wurden Muster-Patientenzimmer und -Operationssäle gebaut, die den Mitarbeitern helfen sollten, die Veränderungen ihrer physischen Umgebung zu verstehen. Im alten Royal Adelaide Hospital wurde ein Kompetenzzentrum eingerichtet, in dem die Mitarbeiter sich mit neuer Technologie vertraut machen konnten. Die neuen Technologien wurden in den internen Newslettern und in den sozialen Medien erklärt sowie in großen Runden besprochen.

„Entscheidend ist die Rolle, die Technologie in einer so großen und komplexen Organisation spielt. Deshalb treffe ich mich regelmäßig mit CEOs des Gesundheitswesens, unserem Chefarzt und klinischen Leitern. Ein Team von Account Managern setzt sich mit den wichtigen Interessengruppen im gesamten Gesundheitssystem auseinander und bietet eine bidirektionale Interessenvertretung an“, fügte Le Blanc hinzu. „Ich habe gelernt, dass es bei der CIO-Rolle in einer großen, komplexen Organisation viel mehr darum geht, Menschen zu führen als die Technologie.

„Technologen werden immer in der Lage sein, eine Lösung für ein bestimmtes Problem zu finden, jedoch stellen die Aspekte Mitarbeiterführung, kultureller Wandel und Veränderung des Business für CIOs größere Probleme dar.“

Den Kritikern gegenübertreten

In Organisationen ist der Widerstand gegen jede Veränderung üblich. Le Blanc und sein Team sind angesichts des Umfangs und der Breite des Wandels jedoch mehr Kritik ausgesetzt als die meisten anderen.

Manchmal ist der Widerstand beträchtlich. Im vergangenen November sahen sich Le Blanc und sein Team dem Ärger der Ärztegewerkschaften und der Aufmerksamkeit der nationalen Medien gegenüber, nachdem eine Störung im EPAS zu einem Ausfall geführt hatte.

Auf der letztjährigen CIO50-Veranstaltung präsentierte Le Blanc einen Zeitungsausschnitt mit der Überschrift „EPAS-Fehler wird fatal sein“. Er ist im Radio aufgetreten, um die Technologie zu verteidigen. Im April dieses Jahres wurde das System von einem Gerichtsmediziner, der den Tod eines Patienten untersuchte, kritisiert. Das System ist vor einer wichtigen Wahl sogar zu einem Politikum geworden.

„Das Gesundheitswesen egal in welchem Land ist nie weit von der Titelseite entfernt“, fügt Le Blanc hinzu. „Das Ausmaß der digitalen Disruption in unserem Geschäft bedeutet, dass Technologie zunehmend in der Öffentlichkeit Beachtung findet.

„In unserem Geschäft gibt es lautstarke Kritiker jeder Veränderungen, die wir vornehmen. Es gibt eigene Webseiten, die Widerstand leisten. Technologie ist ein leichtes Ziel für Kritiker. Sie sind versierte Nutzer von konventionellen und sozialen Medien, um ihre Ansichten in den Vordergrund zu stellen.“

Als CIO übernimmt Le Blanc es selbst, die Arbeit seines Teams zu verteidigen und sich als Mediensprecher zu präsentieren. „Meine hochqualifizierten und höchst engagierten Mitarbeiter fühlen sich öffentlich angegriffen. Daher ist es wichtig, dass sie mich an der Spitze der Verteidigung der digitalen Transformation sehen“, fügt er hinzu.

Mit der Zeit sprechen die Endergebnisse der eingeführten Technologien und der positive Effekt auf den Heilungsverlauf für sich. „Wir haben großartige Leute“, sagt er, „hervorragende, engagierte Menschen. Aber wie jede andere Gruppe brauchen sie Führung, damit sie die richtigen Dinge tun. Es ist banal, aber wahr, dass die Kultur wichtiger als die Strategie ist, weshalb ich mich stark auf die Kultur konzentriere: unterstützend, kollaborativ, aber auch verantwortungsbewusst.“

Le Blanc resümiert: „Ein Unternehmen auf die Reise der digitalen Transformation schicken zu können, die durch Technologie ermöglicht wird, ist meiner Meinung nach die wichtigste Fähigkeit, die CIOs heute brauchen.“

*George Nott ist Redakteur von ARNnet.


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