Der digitalen Transformation muss eine kulturelle Veränderung vorausgehen

Wie lässt sich der Arbeitsplatz der Zukunft umsetzen und welche Auswirkungen hat er auf die bisherige Unternehmenskultur? Über diese und andere Fragen diskutierten die Teilnehmer eines Round Tables der Computerwoche. [...]

Einer der Vorteile der zunehmenden Digitalisierung liegt auf der Hand: Die Unternehmen erhalten durch die neu gewonnenen Daten mehr Transparenz. Dennoch müssen sie die Augen noch weiter aufmachen als bisher. Zum einen, um die Sicherheit der Daten im Blick zu haben, zum anderen müssen sie nach einem Weg suchen, sich von ihrer bisherigen Unternehmenskultur abzuwenden. Denn bei einem Punkt sind sich die Teilnehmer des Round Tables einig: Mit alten Strukturen wird es einen Arbeitsplatz der Zukunft nicht geben.
Dass die notwendigen Technologien nicht die große Hürde für den Arbeitsplatz der Zukunft sein werden ist für die elf Gesprächsteilnehmer am runden Tisch klar. Denn je nachdem, von welchem Blickwinkel aus man den Arbeitsplatz der Zukunft betrachtet, sind die Technologien dafür bereits vorhanden. Für Katrin Beuthner, COO von United Planet, befindet sich zum Beispiel der Arbeitsplatz der Zukunft da, von wo aus man gerade arbeitet. „Das muss nicht zwingend das Büro sein. Auch vom Auto oder vom Homeoffice aus ist dies möglich.“ In den letzten Jahren hätten sich die Technologien dafür rasant weiterentwickelt. So rasant, dass „viele Mitarbeiter dem oftmals einfach nicht mehr hinterherkommen“. Aus ihrer Sicht sei es daher wichtig, dass die Mitarbeiter bereits frühzeitig mit eingebunden werden, um den Arbeitsplatz der Zukunft leben zu können.
Die Macht der Gewohnheit
Die Geschwindigkeit der Technologieentwicklung stellt für die Anwender nicht das einzige Problem dar. Bernhard Steiner, Director Technical PreSales EMEA Central bei Ivanti, kennt noch ein weiteres: „Die Anwender erwarten von der zentralen IT in der Arbeitswelt den gewohnten Luxus vom privaten Handy oder vom privaten Rechner. Und da prallen oftmals noch Welten aufeinander.“ Im Hinblick auf die jungen Leute, die zukünftig den Arbeitsmarkt betreten, müsse diese Kluft kleiner werden, denn seiner Meinung nach fällt und steigt die Attraktivität eines Arbeitsplatzes mit dem Angebot an Tools, die man ihnen in die Hand geben kann.
Zu wissen, wie die Anwender arbeiten und dafür die richtigen Technologien auswählen, die einen Business-Nutzen bringen und gleichzeitig auch wirtschaftlich sind, darin sieht Ulf Diestel die derzeitigen Schwierigkeiten des Marktes, die richtige Strategie für den Schritt in die Zukunft zu finden. Der Principal Business Developer Central Europe von Fujitsu ist in der gesamten Region EMEIA zuständig für die Entwicklung des Digital Workplace und weiß daher, dass hierbei nicht nur die Entwicklung von Technologien und die Entwicklung der Gesellschaft berücksichtigt werden müssen. „Auch Barrieren wie zum Beispiel unsere eigene Cloud-Affinität müssen bekannt sein.“
Die Scheu vor der Cloud ist nach Meinung von Dr. Ralf Ebbinghaus, CEO von Swyx, auch der hiesigen Infrastruktur geschuldet. „Wenn wir über die Zukunft sprechen, dann müssen wir die Schritte dorthin betrachten. Dass die junge Generation andere Anforderungen stellt, ist klar. Die Technologie dafür haben wir bereits, aber im Hinblick auf das Thema Bandbreite gibt es noch Nachholbedarf.“ Sein Appell: die Initiative der Bundesregierung hinsichtlich Breitbandausbau unterstützen und den Abbau von Regulierungen vorantreiben. Dies seien wichtige Voraussetzungen, denn die „Arbeitswelt wird agiler und mobiler werden“, ist Ralph Rotmann, Business Development Manager DMS/ECM bei Kyocera, überzeugt.
IoT und Skills vereinen
Doch was heißt das genau? Bedeutet mobil die Verfügbarkeit sämtlicher Daten auf dem Handy oder Tablet? Steht Agilität für die Fähigkeit des Mitarbeiters beziehungsweise der IT, das enorme Datenaufkommen bewältigen und beherrschen zu können? Arbeitet man in Zukunft so ähnlich wie im gewohnten privaten Bereich nur in sicheren Kanälen?
„Wenn wir uns auf diese Aspekte beschränken, sprechen wir über den Knowledge Worker und berücksichtigen damit nur einen Bruchteil der Arbeitsplätze“, stellt Carl Mühlner, Managing Director Central Europe bei Damovo, fest und holt damit zu einem Rundumschlag aus, der jeden Arbeitsplatz der Zukunft in irgendeiner Weise treffen wird. Denn, so sein Beispiel aus der Industrie, in der Produktion passiert sehr viel mehr: Wenn das Bauteil der Zukunft in der Fertigung selbst erkennt, welches Drehmoment der Schrauber braucht – braucht es dann noch einen Facharbeiter, um diesen Prozess zu bedienen? „Und da sprechen wir nun über die Integration der operativen Technologie mit der IT, was den Arbeitsplatz der Zukunft noch viel stärker ändern und Ströme innerhalb der gesamten Belegschaft erzeugen wird, als das was hier ein Knowledge Worker machen kann.“
Ähnlich sieht das auch Fujitsu-Manager Diestel: „IoT ist gekoppelt mit dem Arbeitsplatz der Zukunft. Die HoloLens erlaubt zum Beispiel eine effizientere Montage durch die freigewordenen Hände bei gleichzeitiger Qualitätskontrolle in einem Schritt. Die Umstellung darauf mit dem Zugriff auf sämtliche Datenbanken wäre bereits möglich. Die Frage dabei ist, welche Skills dafür noch notwendig wären.“
Michael Gerner, Enterprise Account Manager bei Aruba, wirft daraufhin die allgemeine Frage in die Runde: „Für was braucht man einen Arbeitsplatz der Zukunft? Wozu die Digitalisierung?“ Die Antworten darauf gibt er gleich selbst: um die Produktivität zu erhöhen und um Kosten zu sparen. „So traurig es klingt, aber der Arbeitsplatz, der heute von einem Facharbeiter bekleidet wird, wird vereinfacht und fällt am Ende des Tages vielleicht sogar weg.“ Ist das etwa der Sinn von Digitalisierung und Automatisierung? Nein, denn der Kosteneinsparung stellt Gerner noch ein weiteres, wichtiges Unternehmensziel gegenüber: die Innovationskraft der Mitarbeiter fördern, um damit Produktivität zu steigern und Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten.
„Und dafür braucht es einen Kulturwandel“, erklärt Markus Fischer, Leiter Zentrale Werkzeuge und Prozesse, Service und Vertrieb bei Datev. Jeder Mitarbeiter erlange durch sein Wissen einen Status. Werden nun Prozesse automatisiert, müssten sich Unternehmen Gedanken darüber machen, wie sie diesen Status in Zukunft bewerten, welchen Wert sie daraus schöpfen können. Auch Gedanken darüber, was mit den Mitarbeitern geschieht, für die die Digitalisierung der Arbeitswelt Probleme bereitet, weil sie zum Beispiel mit dem technischen Fortschritt nicht Schritt halten.
Aruba-Mann Gerner: „80 Prozent der Mitarbeiter verfügen über ein enormes Fachwissen, aber 40 Prozent davon drucken immer noch Emails oder Kalender aus, um sich darauf handschriftlich Notizen zu machen.“ Wie bringt man diese Generation mit der Generation Whatsapp zusammen in einer Welt, die immer komplexer wird? Zum einen müssen dafür laut Fujitsu-Manager Diestel Freiräume geschaffen werden, um diese Komplexität auch beherrschen zu können, zum Beispiel durch Vereinfachung. „Ich möchte als Nutzer barrierefrei arbeiten können und mir keine Gedanken über Security machen müssen.“ Zum anderen muss nach Meinung von Gerner jeder Mitarbeiter in der Lage sein, sich selbst ändern zu können – und zu wollen. Und das gelinge durch Anreize, hervorgerufen durch die Veränderung der Unternehmenskultur.
Alte Strukturen aufbrechen
Ein großer Anreiz sei zum Beispiel, wie United-Planet-COO Beuthner eingangs bereits erwähnte, den Mitarbeiter mit einzubinden – und zwar in Prozesse, die ihm in den bisherigen Unternehmensstrukturen verwehrt bleiben. „Die Entscheidungskompetenz muss nicht in einer Management-Funktion zentralisiert sein“, schlägt Aruba-Manager Gerner vor. Aus gutem Grund, betrachtet man das von ihm dargestellte Szenario: Einem Mitarbeiter an einer Produktionsanlage stehen durch den Arbeitsplatz der Zukunft sämtliche Daten bezüglich Anlagenverfügbarkeit, Produktionsprozess bis hin zur Datenbank des Zulieferers zur Verfügung. Deuten diese auf einen bevorstehenden Anlagenausfall oder eine Produktionsverzögerung hin, könnte der wesentlich schneller eine Entscheidung über das weitere Vorgehen umsetzen, dürfte er diese auch treffen.
„Wenn ich einen Arbeitsplatz der Zukunft nur einrichte, damit der Mitarbeiter so arbeiten kann, wie er es von zu Hause aus gewohnt ist, dann schaffe ich den Arbeitsplatz nur um den Arbeitsplatz willen“, so das Fazit von Gerner. Damit spiele man den eigentlichen Vorteil der Digitalisierung nicht aus. „Die Strategie für den Arbeitsplatz der Zukunft muss man der Gesamtstrategie des Unternehmens anpassen“, so der wegweisende Rat von Sevil Lillyan, Niederlassungsleiterin München bei Urano. Und dem stimmt Kyocera-Manager Rotmann mit den Worten zu, dass man den Arbeitsplatz der Zukunft nicht verordnen könne. Er ist sicher: „Er wird sich auch wandeln. Die Mitarbeiter eines Unternehmens sind vom Typus komplett unterschiedlich und um aus jedem die beste Kreativität rauszuholen, muss man flexibel sein im Denken, was die Arbeitsmethodik und den Arbeitsplatz der einzelnen Mitarbeiter betrifft.“
Wie lässt sich diese Flexibilität in die Unternehmenskultur integrieren, wenn auch der Arbeitsplatz der Zukunft nach der Vorhersage von Holger Sievers, Vorstandsvorsitzender der msg Services, immer getrieben sein wird – und muss – vom Geschäft, von Innovation und vom Wettbewerb? Man müsse dafür Management-Schranken abbauen, so ein Vorschlag von Rotmann. Man müsse Use-Cases dafür haben, ausprobieren und auch einmal Fehler machen dürfen und daraus lernen, lauten die Ideen der United-Planet-Managerin Beuthner.
Es brauche eine Instanz/einen Verantwortlichen, der diesen Innovations-Management-Prozess steuert, Business-Cases aufarbeitet, den Mehrwert erkennt und dafür sorgt, dass die Umsetzung auch geschieht, fordert Thomas Neumann, Business Unit Manager bei SHE. Zudem müsse man sich laut Sievers darüber klar werden, für wen – also in welcher Form und in welchem Umfang – Security gebraucht wird, denn die wird sich nach dem Empfinden von Ulf Diestel ebenfalls nach dem Kunden entwickeln.
Umdenken bei der Sicherheit
Auch Ivanti-Manager Steiner sieht die mehrfach erwähnte Schaffung von Freiräumen darin, Security nach dem Bedarf auszurichten. Die Hürde, die es dazu allerdings zu überwinden gilt, kennt Swyx-CEO Dr. Ebbinghaus: „Sicherheitsdenken ist in Deutschland stark verbreitet.“ Dazu Steiner: „Hier wird sich die Wertigkeit der Unternehmensführung verschieben, damit IT nicht mehr nur als notwendiges Übel gesehen wird, sondern sie muss integriert werden in ganz banale Entscheidungen, die für das ganze Unternehmen wichtig sind. Mit diesem Umdenken tut man sich noch schwer, weil man zu sehr mit alten Technologie verhaftet ist, die man an bestimmten Aspekten fest macht, ohne es als großes Ganzes für den Erfolg des Unternehmen zu erkennen.“
Im Rahmen der Digitalisierung werde es sicherlich auch um das Überleben vieler Unternehmen gehen, so die makroskopische Sichtweise von Damovo-Chef Mühlner. Doch er bleibt positiv, denn es werden nicht zwangsläufig diejenigen überleben, die am besten dafür ausgestattet sind, sondern die, die am schnellsten die Dinge angehen und sich Gedanken darüber machen. Man könne nicht alles auf einmal lösen, sondern müsse die einzelnen Use-Cases nach und nach angehen, damit sich das Unternehmen auf einen langen Zeitraum verändert – so wie es auch die Geschäftsmodelle tun werden. Sein Aufruf an die anderen Teilnehmen lautet daher: „Wir müssen heute etwas initiieren, was die Unternehmen in 15 Jahren in die Lage versetzt, wettbewerbsfähig zu sein. Und das ist die Verantwortung dieser ganzen Runde.“
* Iris Lindner schreibt für die Computerwoche.

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