Der klassische Techniker-Fehler: Zu wenig Kundenfokus

Steve Jobs und unzählige andere sind auf diesen Fehler hereingefallen. Um ihn zu vermeiden, muss sich die Denkweise ändern. [...]

Foto: SteveBuissinne/Pixabay

Techniker wie Softwareentwickler lassen sich von den Möglichkeiten inspirieren, die damit verbunden sind, Dinge zu bauen. Diese Inspiration führt sie immer wieder zu einem klassischen Fehler, der meistens Schwierigkeiten mit sich bringt – aber auch eine Gelegenheit, eine wichtige Lektion zu lernen. Dieses Problem ist aber nicht technischer Natur, sondern eher eine Denkweise.

Der Fehler

Vor Kurzem habe ich mir den Filmklassiker „Die Brücke am Kwai“ noch einmal angeschaut und war erstaunt über den gedanklichen Fehler, den Hauptdarsteller Alec Guinness dort beging. Darum habe ich mir angewöhnt, diesen Fehler als das Problem der Brücke am Kwai zu bezeichnen. Er beschreibt die Neigung, technologische Aufgaben ohne den richtigen Kontext anzugehen und sie zum Selbstzweck werden zu lassen.

Diese scheinbar harmlose Tendenz kann ernsthafte Folgen nach sich ziehen. Darum wird sie von Menschen, die diese Erfahrung gemacht haben, immer wieder angemahnt. Wenn CIOs lernen, diese Neigung bei sich oder anderen zu erkennen, können Sie sie abstellen und sich viele Probleme ersparen. Die wichtigste Lektion lautet: Achten Sie immer auf den Endbenutzer.

Steve Jobs ist darauf reingefallen

Selbst Steve Jobs hat diesen Fehler gemacht: „Man muss mit dem Kundenerlebnis beginnen und sich rückwärts zur Technologie vorarbeiten,“ sagt er. Man könne nicht mit der Technologie beginnen und dann versuchen, herauszufinden, wo man sie verkaufen will. „Diesen Fehler habe ich wahrscheinlich öfter gemacht als jeder andere in diesem Raum. Und ich habe die Narben, um es zu beweisen,“ so der Apple-Gründer.

Auch ich kann diese Wunden nachempfinden. Ich bin auf die eine oder andere Weise dem River-Kwai-Fehler zum Opfer gefallen. Bei einigen Projekten habe ich mich als Programmierer zu weit von den Anforderungen aus dem Business entfernt und technologische Spitzenleistungen erbracht, die ihre Kosten kaum rechtfertigten. Als Unternehmer mit einer Idee habe ich mich weit aus dem Fenster gelehnt, nur um schließlich innezuhalten, mich umzusehen und mich zu fragen: Wie kann so viel gute technische Arbeit zu so enttäuschenden Ergebnissen führen?

Es ist grundsätzlich gut und richtig, auf eine Inspiration hin sofort zu handeln. Einer der größten Erfolgs-Philosophen aller Zeiten, Napoleon Hill, weist auf die Bedeutung des Handelns hin: Eine Idee haben, handeln, je nach Ergebnis weiter versuchen. Das ist die Kernformel.

Aber Softwareentwickler sollten das Feedback der Benutzer und Kunden in die dritte Phase des Zyklus mit einbeziehen. Zudem braucht es wahrscheinlich einen Partner, der das besser kann als man selbst. So wird sichergestellt, dass man etwas baut, das die Menschen wirklich brauchen.

Wenn das nicht passiert, entstehen Dinge, die nicht gebraucht werden. Unwichtige Fehler gilt es auszubügeln und man weiß nicht mehr, ob die ursprüngliche Idee gut war. Wahrscheinlich hätte sie Potenzial gehabt, wenn sie mit etwas Feedback verfeinert worden wäre.

Ein typisches Reise

Steve Sewell, der Gründer der No-Code-Entwicklerplattform Builder.io, hat diesen Punkt in einem Vortrag angesprochen, als er Tipps für Startup-Führungskräfte gab: „Das Wichtigste, das ich gelernt habe, ist: Seid religiös besessen von den Kunden.“ Er erwähnte den unternehmerischen Klassiker Lean Startup, dessen wichtigste Prämisse darin besteht, die Kundenfeedbackschleife zum Kern des Unternehmens zu formalisieren.

Sewell spricht aus Erfahrung: „Ich gab meinen Job auf und begann mit der Arbeit an [dem Projekt],“ sagt der Gründer. Er habe ein ganzes Jahr daran gearbeitet und verschiedene Versionen erstellt. Einige Monate später zeigte er es potenziellen Kunden. „Innerhalb von zehn Minuten wurde mir klar, dass ich in vielerlei Hinsicht am Ziel vorbeigeschossen war,“ berichtet er. Früh getroffene, grundlegenden Entscheidungen würden nicht funktionieren. Kunden würden das Produkt nicht annehmen, da es nicht war, was sie brauchten.

Sewell änderte seine Herangehensweise grundlegend. Er entwickelte eine sehr kleinen Prototypen und bat jemanden, es auszuprobieren. Weitere Features implementierte er erst, wenn die Tester ihm sagten, sie brauchten etwas.

Der Gründer hat am Anfang denselben Fehler durchgemacht: Idee, Begeisterung, Arbeit, Validieren vergessen, Niederlage eingesteckt.

Warum tun Ingenieure das?

Programmierer haben einfach Spaß am Programmieren. Sie haben Freude daran, sich technischen Herausforderungen zu stellen und sie zu bewältigen. Es ist ein bisschen wie eine Sucht.

Das soll nicht heißen, dass die Fähigkeit, sich intensiv zu konzentrieren manchmal nicht nützlich ist. Vor allem bei schwierigen technischen Aufgaben ist diese Superkraft nützlich. Aber diese Arbeit muss auf den größeren Zusammenhang und Zweck ausgerichtet werden. Es gilt, sich immer wieder zu vergewissern, auf den Gipfel zuzugehen, nicht auf den Abgrund.

Aus Erfahrung lernen

Guillermo Rauch, der Gründer des Webseiten-Tools Vercel, betont, wie wichtig es ist, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: „Wir haben uns immer sehr auf das Kundenerlebnis konzentriert.“ Sein Team habe ausgehend von dem idealen Erlebnis, das die Nutzer wollen, rückwärts entwickelt.

Diese Lektion hat Rauch tief in seine unternehmerische DNA eingearbeitet. Er hebt das Kundenerlebnis als Schlüsselkomponente hervor. Diese Fokus ist einer der Hauptgründe für den schnellen Erfolg von Vercel.

Es kann genauso viel Spaß machen, etwas zu bauen, das die Leute wirklich benutzen, wie ein reines Ingenieursprojekt. Ziel ist, dass die Leute das Produkt auch benutzen. Daher sollten Ingenieure einen Weg finden, die Nutzer in ihre Blase der technischen Faszination einzubinden.

Zurück zur Brücke

In dem Film Die Brücke am Kwai wird eine Gruppe britischer Soldaten während der Besetzung Chinas durch Japan im Zweiten Weltkrieg gefangen genommen. Die Gefangenen haben den Auftrag, eine Brücke zu bauen, um die Invasoren zu versorgen. Einer dieser Gefangenen ist ein Offizier namens Nicholson, gespielt von Alec Guinness.

Das Hauptziel des britischen Soldaten ist es, zu überleben und Widerstand gegen die Besatzer zu leisten. Der Bau der Brücke ist ein Projekt, das diesen Bemühungen zuwiderläuft. Trotzdem üben der Zweck und die Bedeutung der Brücke eine Macht auf Nicholson aus. Es geht sogar so weit, dass er einige seiner Mitgefangenen daran hindert, die Brücke zu sabotieren.

Natürlich ist unser typischer Software-Gründer oder -Ingenieur nicht mit solch gefährlichen Umständen konfrontiert. Im Fall des Films wäre die ideale Brücke vielleicht eine, die gerade langsam genug gebaut wird, um Repressalien zu verhindern, bis Hilfe eintrifft. Es geht nicht um die Brücke, sondern um ihre Anforderungen. Sie ist ein Mittel zum Zweck, wie jede Technologie.

Im letzten Moment des Films tötet Nicholson seinen britischen Offizierskollegen und kommt wieder zur Vernunft. Er sagt ungläubig: „Was habe ich getan?“ Er ist dem klassischsten technischen Fehler zum Opfer gefallen: Er hat die Technik über alles andere gestellt. (jd)

Dieser Beitrag beruht auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.

*Matthew Tyson ist Java-Entwickler und schreibt für unsere US-Schwesterpublikation Infoworld.com.


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