Der Traum vom europäischen Einhorn

Das europäische Netzwerk EIT Digital fördert zusammen mit 130 Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft innovative B2B-Startups in den EU Mitgliedsländern. Die erfolgreichsten trafen sich jetzt in Berlin zum Austausch. [...]

Laut war es bei der Ignition Night der EIT Digital Challenge im Berliner Coworking-Space Unicorn. Kein Wunder, denn rund 120 Gründer, Freunde und Partner waren zusammengekommen, um die je drei europäischen Gewinner in jeweils fünf Kategorien kennenzulernen und zu feiern.
Diese hießen Industry, Cities, Wellbeing, Infrastructure und Finance, jeweils mit dem Vorsatz „Digital“ natürlich. Seit dem ersten Wettbewerb im Jahr 2014 haben an der Challenge mehr als 1400 Teams aus 27 europäischen Ländern teilgenommen. Nur je zwei Minuten Zeit hatten die Gruppen an diesem Abend, sich noch einmal allen vorzustellen.
Smarte Microfluidics von Blitab
Als Sieger mit dabei war etwa die Firma Blitab aus Österreich, der Gewinner in der Kategorie Health. Die CEO Kristina Tsvetanova kommt ursprünglich aus Bulgarien und wurde von einem guten Freund inspiriert. Er ist blind und kann bisher nur mit Geräten arbeiten, die die Braille-Schrift nur in einer Zeile darstellen. Der schwarze Prototyp, den sie dabei hat und stolz vorführt, ist ein Tablet, mit dem man erstmals ganze Web-Seiten in der Blindenschrift mit erhabenen Punkten darstellen kann. Möglich machen es Smart Microfluidics, kleine tastbare Bläschen, die in 15 Layern die obere Hälfte des Geräts bilden. „Wir haben mit der Technik noch viel vor“, sagt Tsvetanova. So könnten damit auch die Linsen von Hand-Kameras digital zoomen oder smarte Kleidung ausgerüstet sein.
Green City Solutions gegen Luftverschmutzung
Zhengliang Wu von Green City Solutions in Dresden, Sieger bei den Digital Cities, treibt mit dem Startup Green City Solutions ein anderes gesellschaftliches Problem um: die Luftverschmutzung. Das Dreierteam aus einem Maschinenbauer, einem Architekten und einem Gartenbauer hat den CityTree entwickelt. Das sind 4mal3 Meter große freistehende Displays, die smarte Sensoren mit Moosen und Pflanzen vereinen. In großen Städten aufgestellt reinigen sie die Luft. „Unsere CityTrees haben denselben positiven Effekt wie 275 normale Bäume – benötigen aber 99 Prozent weniger Platz“, sagt Wu. Die ersten sind schon aufgestellt, mit vielen Kommunen ist man im Gespräch.
B2B-Plattform zur digitalen Willensbildung
Civocracy ist eine B2B-Plattform, die die digitale Willensbildung von Bürgern erleichtern soll. CEO Benjamin Snow sagt: „Im Moment erproben wir unser Konzept in Nizza, aber auch viele andere europäische Städte sind daran interessiert.“ Die Interaktion zwischen den verschiedenen Stakeholdern wie die lokalen Parlamente, Organisationen, Unternehmen und natürlich den Bürgern soll so konstruktiver einfacher und transparenter als bisher erfolgen. Snow hofft darauf, dass die Plattform auch in Deutschland auf großes Interesse stößt.
Aber auch aus den anderen, nicht deutschsprachigen europäischen Ländern gibt es viele tolle junge Unternehmungen. Dominik Krabbe, der die EIT Digital Challenge als Innovation Manager leitet, empfiehlt etwa einen Blick auf die spanische Firma AOIFES, Sieger im Bereich Digitale Infrastruktur.
„Mit der Cognitive Hotspot Technology (CHT) wollen wir die Effizienz von WiFi-Systemen verbessern, indem wir die Interferenzen verringern“, sagt Marketingchef Pedro Garcia Oliva. Auch für den Einsatz in Flugzeugen, Zügen und auf Schiffen funktioniere die Technik bestens. www.aoifes.com
Auf den die Veranstaltung begleitenden Workshops und im Rahmen des EIT Digital Accelerators können die Gründer Kollegen aus ganz Europa, aber auch die Mitglieder aus dem Netzwerk kennen lernen, die auch die Expertenjurys bildeten. „Sie machen alle ehrenamtlich mit, weil sie sich für die Innovationen und neuen Geschäftsmodelle interessieren“, sagt Krabbe.
Digitale Innovationen
Zugang zu neuen Märkten und zu Investorenkapital steht für die Gründer an erster Stelle. Europa erhofft sich durch die Zusammenarbeit digitale Innovationen, wirtschaftliches Wachstum und eine bessere Lebensqualität.
Seit 2012 wurden von EIT Digital bereits 240 Startups unterstützt, davon sind heute noch 91 Prozent aktiv. 250 Millionen Euro konnten die Unternehmen bislang insgesamt an Funding-Capital einsammeln, davon knapp 80 Millionen Euro durch die Vermittlung des Access to Finance Teams von EIT Digital. Der durchschnittliche Umsatz der ausgezeichneten Firmen stieg seitdem um 150 Prozent, die Teamgröße um 70 Prozent. Wachstum also, wie es sich alle Beteiligten wünschen.
„Unicorn“ – der Name des Ortes für das Speeddating in Berlin verrät es – das wollen alle gerne werden, also eine Firma, die mit über eine Milliarde Dollar bewertet ist. Doch die Frage ist: Kann es diese auch in Europa geben, mit seinen fragmentierten Märkten? Die Europäer jedenfalls hoffen darauf und kehren im nächsten Jahr mit der EIT Digital Challenge zurück.
EIT Digital
EIT Digital ist eine europäische Organisation zur Stärkung digitaler Innovationen, unternehmerischer Bildung und ein Treiber Europas für digitale Transformation. EIT Digital verfügt über ein europaweites Ökosystem mit rund 130 Partnern, aus Konzernen, mittelständischen Unternehmen, Startups, Universitäten und Forschungsinstituten. Ziel ist es, digitale Innovationen und wirtschaftliches Wachstum zu fördern und die Lebensqualität in Europa zu steigern.
EIT Digital will Innovationen aus führenden europäischen Forschungsergebnissen hervorbringen – durch Inkubation und durch Förderung des Markteintritts und von schnellem Wachstum. Der Fokus liegt auf vier Innovationsbereichen, in denen Europa eine Führungsrolle übernehmen könnte. In jeder „Action Line“ werden Offene Innovationsprojekte („Innovation Activities“), die durch die Partner von EIT Digital durchgeführt werden, sowie schnell wachsende Technologie-Startups gefördert.
*Hans Königes ist Redakteur der COMPUTERWOCHE.

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