Deutsche Bank und Google Cloud: Vorstand Leukert räumt die IT auf

Technikvorstand Bernd Leukert muss die komplexe IT der Deutschen Bank modernisieren und standardisieren. Die strategische Partnerschaft mit Google Cloud spielt dabei eine Schlüsselrolle. [...]

Bernd Leukert, Technikvorstand der Deutschen Bank: "Wenn es keine regula­torischen Gründe gibt, sehe ich in eigenen Rechenzentren für die Deutsche Bank keinen Mehrwert." (c) Deutsche Bank

„Wir haben eine Organisation für die Themen Technologie, Daten und Innovation für die gesamte Bank, in der alle Einheiten nach den gleichen Standards arbeiten und Technologien gemeinsam nutzen.“ So beschreibt Leukert sein „Concept of One“, das zentrale Projekt seit seinem Amtsantritt im September 2019. Dahinter steckt nicht weniger als eine vollständige Transformation der in der Vergangenheit arg in die Kritik geratenen IT der Deutschen Bank.

Zentralisieren, standardisieren und modernisieren von Systemen und Anwendungen stehen auf Leukerts Prioritätenliste ganz oben. „Künftig wird es nur noch eine Art geben, wie sich ein Kunde bei uns legitimiert“, erläutert er. „Das ist entscheidend, um Heterogenität und Kom­plexität aus der IT-Landschaft herauszunehmen.“ Unternehmensweite Standards sind für ihn die Voraus­setzung für Erfolg: „Standardisierung bedeutet Vereinfachung, und das reduziert am Ende auch die Kosten.“

IT als Kern der Wertschöpfung

25 Jahre lang hatte Leukert für SAP gearbeitet. Als Technikvorstand trieb er unter anderem die Entwicklung von Kernprodukten wie HANA und S/4HANA voran. Jetzt soll er die IT des größten deutschen Finanzdienstleisters auf Vordermann bringen und die Grundlagen für Innovationen schaffen. „Den klassischen IT-Vorstand gibt es so nicht mehr“, sagt er zu seiner neuen Rolle. Vielmehr verantworte er im Führungsgremium der Bank die Bereiche Technologie, Daten und Innovation.

„Die IT wurde früher nur als Kostenstelle im Unternehmen gesehen. Heute ist klar, dass Technologie Kernbestandteil der Wertschöpfung ist“, erklärt er die Entstehung des 2019 eingeführten Vorstandsressorts. Technologie soll insbesondere kundenorientierte Innovationen ermöglichen und der Bank damit neue Wachstumsfelder eröffnen.

Dazu braucht es nicht nur technische Veränderungen. Die Initiative Concept of One hat deshalb mehrere Dimensionen:

Organisation: Die Deutsche Bank schuf einen zentralen Bereich für die Themen Technologie, Daten und Innovationen, geführt von Leukert. Die IT-Einheiten der diversen Geschäftsbereiche sind diesem organisatorisch und disziplinarisch zugeordnet.

Systeme und Daten: Hier geht es vor allem um die Konsolidierung der unterschiedlichen Datentöpfe im Konzern. Das Ziel ist eine unternehmensweit einheitliche Datenbasis.

Technologie und Standards: Sowohl in den Geschäftsbereichen – also Privatkundenbank, Unternehmensbank und Investmentbank – als auch in Zentralfunktionen wie Personal und Finanzen nutzt die Deutsche Bank sehr heterogene Technologien und Plattformen. Im Grunde arbeite jeder Geschäftsbereich mit einem dedizierten Bankensystem; die Summe aller Systeme stelle die IT-Infrastruktur der Deutschen Bank dar, beschreibt Leukert die Ausgangslage: „Das wollen wir hinter uns lassen.“

„Wir wollen weg von Megaprojekten und hin zu agilen Methoden in der Softwareentwicklung“, sagt Bernd Leukert im Interview mit dem CIO-Magazin (c) Deutsche Bank

Sein Ziel ist eine serviceorientierte Architektur, mit datenbasierten Diensten, die vielfach eingesetzt werden können. Konkret bedeute das etwa: „Einen Payment-Service wollen wir nur einmal entwickeln und dann konzernweit einsetzen.“ Das gelte für Systeme der Deutschen Bank ebenso wie für die der zugekauften Postbank, die derzeit integriert würden. Der Vorstand denkt dabei auch an externe Kunden wie Unternehmen oder andere Banken. Über technische APIs könne die Deutsche Bank beispielsweise eine automatisierte Zahlungsabwicklung anbieten, die für Unternehmenskunden oder auch kleinere Banken ohne internationale Präsenz interessant sein dürfte.

Strategischer Partner Google Cloud

Eine Schlüsselrolle in der IT-Transformation spielt die strategische Partnerschaft mit Google Cloud, die der Finanzkonzern Anfang Dezember 2020 bekannt gab. Die Frankfurter wollen nicht nur einen großen Teil ihrer Systeme und Anwendungen in die Cloud migrieren, sondern gemeinsam mit dem Cloud-Provider digitale Finanzprodukte entwickeln. „Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wir am besten können“, begründet Leukert den Schritt.

„Wir verstehen die Bedürfnisse unserer Kunden und die Finanzprodukte und -dienstleistungen, mit denen wir sie unterstützen. Wir sollten keine Ressourcen darauf verwenden, eine Technologie-Infrastruktur zu bauen und zu pflegen.“ Viel effizienter sei es, diese Leistungen von einem Technologiepartner zu beziehen.

Das Beispiel macht offenbar Schule in der Finanzbranche. Erst im Januar 2021 kündigte die Commerzbank eine ähnliche Partnerschaft mit Microsoft an. In den kommenden fünf Jahren will sie einen großen Teil ihrer Anwendungen in die Azure-Cloud auslagern.

Für die Cloud sprächen insbesondere die damit verbundene Elastizität und Skalierbarkeit, führt Leukert aus. In einem volatilen Markt mit dynamischen Veränderungen passe ein „Pay-per-use“-Modell viel besser als starre On-Premises-Strukturen. In den eigenen Rechenzentren müsse die Bank heute stets Leistungen für Spitzenlasten vorhalten; im Normalbetrieb bleibe viel Kapazität ungenutzt. Der Cloud-Provider biete zudem Features wie vollautomatisches Disaster Recovery und Hot Standby, die ein einzelnes Unternehmen kaum in Eigenregie abdecken könne.

Besonders wichtig ist für den Vorstand der Zugang zu Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz, Datenanalyse oder Blockchain, die man in der Cloud nutzen könne: „Solche Technologien müssen Teil der Infrastruktur sein und nicht danebenstehen.“ Genau diese Integration böten die großen Cloud-Anbieter.

IT-Modernisierung mit der Cloud

Die Cloud-Strategie soll Leukert auch bei der Herkules-aufgabe helfen, die über Jahrzehnte gewachsene IT der Bank zu modernisieren. Um die Cloud-Migration vorzubereiten, teilte sein Team das aus mehreren tausend unterschiedlichen Systemen bestehende Anwendungsportfolio in sieben Kategorien auf: Applikationen, die als sehr modern klassifiziert sind und beispielsweise schon containerbasiert arbeiten, werden im Lift-and-Shift-Verfahren in die Cloud migriert.

Das andere Extrem bilden Legacy-Anwendungen, die nicht selten schon mehr als 20 Jahre im Backend laufen. „Die kann man nicht einfach in die Cloud schieben“, sagt Leukert. Sie sollen entweder neu gebaut oder, wenn möglich, abgeschaltet werden. Wie hoch der Anteil solcher Programme ist, will Leukert nicht verraten. Der Zeitrahmen für die Cloud-Migration ist zunächst auf zwei bis fünf Jahre angelegt. Die ersten Anwendungen werden 2021 in die Cloud wandern.

Derzeit greift die Deutsche Bank noch auf eigene Rechenzentren zurück, die von Outsourcing-Partnern betrieben werden. Doch das Ende der klassischen Data Center scheint besiegelt zu sein. Leukert: „Wenn es keine regulatorischen Gründe gibt, sehe ich in eigenen Rechenzentren für die Deutsche Bank keinen Mehrwert.“ Technische Infrastruktur wie Rechenleistung oder Storage wolle man künftig nur noch in Form von Services nutzen.

Weg von Megaprojekten

In Sachen IT-Modernisierung geht es dem einstigen SAP-Manager aber nicht nur um Anwendungen und Systeme, sondern auch um mehr Agilität in der Entwicklung. „Wir wollen weg von Megaprojekten und hin zu agilen Methoden in der Softwareentwicklung“, lautet sein Credo: „Wir brauchen ein inkrementelles Vor­gehen, neue Wege wie Continuous Integration (CI) und Continuous Delivery (CD) mit crossdivisionalen Teams, in denen auch Endanwender mitreden.“

Die Unternehmens- und IT-Fakten der Deutschen Bank (c) cio.de

Dafür will er im Unternehmen eine Ingenieurskultur schaffen und das Know-how im Bereich Softwareentwicklung stärken. Dabei spielt der strategische Partner Google Cloud eine wichtige Rolle. So arbeite man in gemischten Teams mit dem Cloud-Provider an neuen digitalen Finanzprodukten.

Für das Privatkunden­geschäft entwickeln die Partner gemeinsam eine einheitliche Benutzeroberfläche, die Kunden einen besseren Überblick über die Produktpalette von Deutscher Bank und Postbank bieten soll. Zudem wollen sich Deutsche Bank und Google für eine engere Zusammenarbeit mit FinTechs und Startups öffnen, um Innovationen voranzutreiben.

IT-Governance neu ausgerichtet

Deutlich sichtbar wird der Wandel auch beim Thema IT-Governance. „Der Aufbau eines zentralen Technologiebereichs war die erste Aufgabe nach meinem Amtsantritt“, erinnert sich Leukert. Das Ziel: „Die Organisation soll die Strategie unterstützen, nicht umgekehrt.“ In der historisch gewachsenen dezentralen Welt konnten Geschäftsbereiche wie Privatkundenbank, Investmentbank und Unternehmensbank auch in Sachen IT jeweils eigene Wege gehen. Heute berichten deren CIOs direkt an Leukert. Auch die Rolle des CTO-Boards, das früher laut Leukert nur eine „empfehlende Funktion“ innehatte, hat sich geändert. Hier entwickeln die Bereiche nun eine gemeinsame Rahmenarchitektur, die für alle verbindlich sein soll.

Lessons Learned

„Der kulturelle Wandel, auch mithilfe von Partnerschaften, ist ein zentrales Element unserer IT-Transformation“, resümiert Leukert. Für grundlegende Veränderungen brauche es einen langen Atem. In den ersten vier Monaten nach seinem Einstieg organisierte der Ex-SAP-Vorstand alle zwei Wochen einen Ganztags-Workshop mit dem technischen Führungsteam und hielt dabei den Konzernvorstand immer auf dem Laufenden.

Die Covid-19-Pandemie, die die Mehrheit der Mitarbeiter ins Home-Office zwang, ist für ihn eher ein Ansporn: „Die Technologie der Bank hat das Arbeiten von zuhause möglich gemacht, aber in der Cloud wäre es einfacher gewesen, die Rechnerkapazitäten dafür kurzfristig zu erhöhen“, schrieb er den Angestellten im Dezember 2020. Am Ende sei entscheidend, die Digitalisierungs- und Transformationsvorhaben umzusetzen: „Das haben wir vor Corona getan, und damit dürfen wir auch während der Pandemie nicht nachlassen.“

*Wolfgang Herrmann ist Editorial Manager CIO Magazin bei IDG Business Media. Zuvor war er unter anderem Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO und Chefredakteur der Schwesterpublikation TecChannel.


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