Kanban steht für Effizienz in der IT. Erfahren Sie mehr über die gängigsten Stolperfallen und wie Sie Kanban-Systeme schneller zum Laufen bringen. [...]
Kanban – beliebt und bewährt. Es ist die bekannteste und am häufigsten genutzte agile Methode, wie eine Studie zu agilen Arbeitsformen unter 10.000 Fach- und Führungskräften der Managementberatung Kienbaum in Zusammenarbeit mit der Jobplattform Stepstone bestätigte. Kanban startete seinen Siegeszug in den 1940er-Jahren als ein Teil von Toyotas schlankem Produktionssystem. Heute ist es aus der Softwareindustrie kaum mehr wegzudenken. Kanban steht für effiziente Workflows, schnelle Durchlaufzeiten und selbstorganisierte Teams. Doch auf dem Weg zu einem effizienten Kanban-System sind viele Fallstricke ausgelegt, die wir im Folgenden näher ausführen.
Aussagelose Kennzahlen
Leistungskennzahlen ermöglichen evidenzbasiertes Handeln. Zu den bekanntesten Kennzahlen im Kanban zählen:
- Die Lieferzeit (Lead Time): Die Lieferzeit misst, wie lange ein Kunde wartet, bis er das neue Feature in Händen hält.
- Die Zykluszeit (Cycletime): Sie ist ein Teil der Lieferzeit und beginnt erst dann zu laufen, wenn das Team anfängt, an der Aufgabe zu arbeiten.
Beurteilt werden diese Kennzahlen meist nach der Devise: „Je schneller, desto besser“. Solch eine isolierte Betrachtung hat jedoch kaum Aussagekraft. So muss eine geringere Zykluszeit nicht immer Anlass zur Freude sein. Spart man an der Qualität des Codings, hat das eine ähnliche Wirkung. Steigt die Lieferzeit, ist das nicht zwangsläufig Anlass zur Sorge. Wird häufig repriorisiert oder ändern Kunden fortwährend die Anforderungen, entsteht der gleiche Effekt. Effiziente Kanban-Systeme brauchen somit die richtigen Kennzahlen in einem aussagekräftigen Kennzahlensystem.
Viel hilft viel
Kanban-Systeme streben nach Effizienz. WIP (Work in Process)-Limits helfen bei der Umsetzung, indem sie die Anzahl an parallel laufender Arbeit reduzieren. Je weniger Aufgaben man gleichzeitig auf dem Tisch hat, umso schneller kann man diese schließlich erledigen. Bricht nun eine Flut an Aufgaben über das Team herein, beginnen manche Teams intuitiv zu handeln, WIP-Limits über Bord zu schmeißen und mit mehr Aufgaben zu jonglieren. Multitasking fühlt sich zwar meist produktiver an, doch ein nüchterner Blick auf die Zahlen verrät das genaue Gegenteil.
Nehmen wir folgendes Szenario an: Bei einem WIP-Limit von acht Aufgaben und einer durchschnittlichen Durchlaufzeit von zwei Aufgaben pro Tag erhält ein Kunde ein neues Feature im Schnitt in vier Tagen (ø Zykluszeit = WIP/ø Durchlaufzeit = 8/2).
Erhöht das Team das WIP-Limit auf zwölf, wartet ein Kunde durchschnittlich zwei Tage länger auf seinen Auftrag, nämlich sechs statt vier Tage (ø Zykluszeit = 12/2).
Viel hilft also nicht immer viel. WIP-Limits konsequent umzusetzen, unterstützt Teams darin, ein effizientes System aufzubauen und Aufgabenfluten schneller zu bändigen.
Verzwickte Rollenkonflikte
Kanban-Master, Flow-Master oder Service Delivery Manager – hinter all diesen Rollen verbirgt sich der Servant Leader. Er coacht das Team zur Selbstorganisation, ist Teamentwickler, Moderator, vermittelt bei Konflikten und hilft dem Team über Stolpersteine. Nicht selten ist es ein Entwickler des Teams, der diese Rolle übernimmt und mit ihr in einen tiefen Rollenkonflikt stürzt. Überspitzt gesagt ist er Dienstleister und Kunde zugleich. Er entwickelt ein Team, von dem er selbst ein Teil ist.
Stößt er auf Blockaden, sogenannte Impediments, die er selbst nicht lösen kann, kann er sich an den Kanban-Master wenden, – also an sich selbst. Die Rollen klar zu trennen ist für den Rolleninhaber oft schwer, für das Team oft noch viel mehr. Wann spricht er aus welcher Rolle heraus? Oftmals ist er dabei auch nicht ganz so neutral, wie er es sein sollte. Diese Rollenkombination brockt Teams viel Ärger ein. Rollen zusammenzulegen ist manchmal unausweichlich. Sie möglichst widerspruchsfrei zu halten, sollte dann höchste Priorität haben.
Kaizen gleich Retrospektive
Kaizen ist eines der zentralen Bestandteile von Kanban. Es kommt aus dem Japanischen und bedeutet sinngemäß „Veränderung zum Besseren“. Bekannt wurde es als Verbesserungsphilosophie des Automobilherstellers Toyota. Kaizen fordert jedes Teammitglied auf, seine eigenen Annahmen, die Arbeitsweise und Prozesse kontinuierlich zu hinterfragen und zu verbessern.
Wirft man einen Blick in Kanban-Teams, gewinnt man des Öfteren den Eindruck, dass sich Verbesserungen auf die Retrospektive beschränken. Das ist problematisch, denn diese hat nicht immer den besten Ruf. Oft wird sie als angeordnete Zeitverschwendung gesehen, in der sich Diskussionen im Kreis drehen, man immer wieder zu den gleichen Konservenlösungen kommt oder zu der Erkenntnis, dass die anderen das Problem sind. So kommt die Verbesserungskultur zum Erliegen und mit ihr das Kanban. In effizienten Kanban-Systemen hingegen lebt man Kaizen. Es lenkt das Denken sowie Handeln des Teams und kann selbst eingestaubte Retrospektiven zu neuem Glanz verhelfen.
Denkfehler im Peer-Recruiting
Mehr und mehr Unternehmen legen das Recruiting in die Hände des Teams. Das Team weiß schließlich am besten, welche Fähigkeiten es braucht und eine Gruppe fällt bessere Entscheidungen als einzelne Personen, – so eine weitverbreitete Annahme. Heuristiken, sogenannte Daumenregeln, lassen diese Rechnung allerdings nicht immer aufgehen.
Wir mögen, was wir kennen, und am besten kennen wir uns selbst. Daher ist es nicht verwunderlich, dass man Kandidaten mit ähnlichen Eigenschaften oft besser bewertet (Similar-to-me-Effekt). Ist die eigene Meinung gefasst, sucht man einseitig nach Informationen, um diese zu bestätigen (Confirmation Bias). Abhängig davon, wie eine Frage gestellt wird, lässt sich das Antwortverhalten des Kandidaten so beeinflussen (Interviewer-Bias), dass es erneut die eigene Meinung bekräftigt. Peer-Recruiting ist somit fehleranfällig. Mehr Qualität und Erfolg im Recruiting erzielen Teams mit klaren Anforderungen und dem Wissen um die verzerrende Wirkung von Heuristiken.
Fehlendes „Buy-in“
Viele Kanban-Teams scheitern aus Überzeugung. Was in der Psychologie als selbsterfüllende Prophezeiung bekannt ist, bringt Henry Ford auf den Punkt mit „Weather you think you can or you think you can’t. You’re right“. Die selbsterfüllende Prophezeiung beschreibt das Phänomen, „dass die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines Ereignisses allein durch die Erwartung dieses Ereignisses erhöht wird“ (Dorsch Lexikon der Psychologie). Sie arbeitet bei der Einführung von Kanban meist gegen Unternehmen. Das liegt häufig an einem mangelhaften Change Management. So sind die Verkaufsargumente für Kanban oft nicht sonderlich überzeugend. Einige greifen zu Kanban, weil Scrum gescheitert ist. Andere möchten dem Unternehmen einen agilen Anstrich verleihen.
Diese Argumente sprechen für eine notwendige Veränderung, doch nicht automatisch für Kanban. Was nicht überzeugt sät Zweifel, fördert eine negative Erwartungshaltung und schmälert damit die Erfolgsaussichten. Doch Unternehmen können die selbsterfüllende Prophezeiung auch für sich arbeiten lassen, indem sie die Mitarbeiter zu Kunden machen. Überzeugt man sie zum „Kauf“, erhöht man die Erfolgswahrscheinlichkeit. Ein Team, das hinter der Kanban-Lösung steht, wird alles dafür tun, um das System zum Laufen zu bringen.
Worthüllen statt Werte
Gemeinsame Werte helfen Teams, schnellere Entscheidungen zu treffen und fördern eine effiziente Zusammenarbeit – wenn sie vom Team stammen. Doch bei einem Blick auf die Teamwerte schöpft man gelegentlich den Verdacht, dass sie widerspiegeln, was agile Coaches gerne hören. Als ebenso wirkungslos erweisen sich vielseitig interpretierbare Werte. Nehmen wir als Beispiel den Wert „Mut“.
Fragt man fünf verschiedene Personen, was „Mut“ für sie bedeutet, erhält man für gewöhnlich fünf verschiedene Antworten. Während es beispielsweise für den einen bedeutet, neue Ideen auszuprobieren und Risiken einzugehen, versteht ein anderer darunter heikle Themen oder Kritik im Team offen anzusprechen. Doch nur ein gleiches Werteverständnis schafft eine gemeinsame Basis. Wertediskussionen zu führen ist notwendig und schweißt Teams oft mehr zusammen als das abenteuerlichste Teambuilding-Event.
Konflikte ignorieren
Ob schwelend oder explosiv – jede Art von Konflikt ist für Kanban-Teams gefährlich. Agile Methoden basieren auf Vertrauen, Teamwork und Kommunikation. All das steht bei Konflikten auf dem Spiel. Wenn sich Teams mehr mit sich selbst beschäftigen als mit ihren Kunden, belanglose Themen in hitzigen Debatten enden oder kontroversen Diskussionen aus dem Weg gegangen wird, ist es Zeit, die Reißleine zu ziehen.
Mediation hat sich dazu bewährt. Agile Teams profitieren vor allem von einem transformativen und systemischen Mediationsansatz. Beide setzen auf Empowerment, bringen Teams in die Eigenverantwortung und bauen ein belastbares Fundament für die weitere Zusammenarbeit auf. Doch man muss nicht warten, bis die Situation eskaliert. Mediative Teamentwicklung hilft Spannungen vorzubeugen. Sie fördert die Konfliktlösungskompetenz, festigt die Vertrauens- und Feedbackkultur und stärkt den Teamgeist.
Hochleistungsteams schwächen
„Gehen Sie zurück auf Los, gehen Sie direkt dorthin, ziehen Sie keine 4.000 DM ein“. Was an die frustrierende Ereigniskarte aus dem Spiel Monopoly erinnert, ist für viele Kanban-Teams Alltag. Teams unterliegen einem Entwicklungsprozess. Nach dem Modell der Teamentwicklung von Bruce Tuckman, einem US-amerikanischen Psychologen, durchläuft ein Team verschiedene Phasen bis es die vierte und leistungsfähigste Phase erreicht.
Auf dem Weg zum Hochleistungsteam wird so manch ein Team immer wieder in der Leistung zurückgeworfen. Anlass dafür sind meist Veränderungen in der Teamkonstellation. Viele davon sind vermeidbar und eher von kurzfristiger Optimierung getrieben, wie Ressourcen bei mangelnder Auslastung mit anderen Teams zu teilen. Um effiziente Kanban-Systeme aufzubauen, braucht es hingegen Weitblick. Tuckman empfiehlt, Teams möglichst stabil zu halten. Ist das im schnelllebigen Projektgeschäft nicht möglich, kann mediative Teamentwicklung dabei unterstützen, Teams schneller wieder auf Erfolgskurs zu bringen.
Ein Blick auf die häufigsten Fehler verrät: Kanban ist Teamwork. Je stärker das Team, desto schneller bringt man das System zum Laufen und hält es am Laufen.
*Stefanie Krauss ist Inhaberin von Tech Mediation Krauss. Sie ist spezialisiert auf die Optimierung der Arbeits- und Kommunikationsprozesse in der IT. Mit einem Abschluss in Wirtschaftspsychologie und Change Management (M.Sc.) sowie jahrelanger Erfahrung in der Softwareentwicklung, spricht sie beide Sprachen – die der IT und Psychologie.
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