Die größten E-Mail-Sünden

Suchen sie oft nach einer Mail? Mailen Sie an möglichst viele Adressaten? Treffen Sie gar Entscheidungen per Mail? Gratulation, Sie sind ein E-Mail-Sünder und kommen ihrer Firma teuer zu stehen. [...]

Erinnern Sie sich noch, wie wir ohne E-Mails gearbeitet haben? Briefe wurden diktiert oder per Hand vorgeschrieben. Die Sekretärin hat mit dem Chef besprochen, wer den Brief als Kopie erhält und wie der Betreff formuliert werden muss, damit man ihn in der Ablage wiederfindet. Heute schreiben auch hochrangige Manager und Experten ihre E-Mails selbst – mit allen Folgen. Frau Eckhardt, ehemals Principal Consultant bei Detecon, hat die schlimmsten E-Mail-Sünden zusammengestellt.
Der Wahnsinn schlummert im Mail-Postfach
Sie suchen verzweifelt die Mail zum Angebot aus dem Januar mit dem Anbieter XY aus der Schweiz, bei dem die Konditionen geändert werden sollen. Mit diesem Betreff ist aber nichts zu finden in Ihrer elektronischen Ablage zu diesem Thema. Sie ärgern sich, weil die Mail noch in ihrem Posteingang schmort. Das Angebot müssten Sie von der Kollegin Müller erhalten haben – aber die war im Januar in Urlaub. Dann war es ihr Vertreter Herr Schmidt. Sie finden nichts unter Müller, nichts unter Schmidt, nichts unter Angebot Firma XY, Schweiz.
Da bleibt nichts übrig, als alle Januar-Mails zu prüfen. Wenn Sie die richtige Mail finden, ist sie garantiert von Frau Meier, der Sekretärin von Frau Müller. Sie ist vom 8. Februar und die Betreffzeile lautet „Polnisches Angebot aus dem Rennen“. Im Text steht, dass Sie alternativ das Angebot der Schweizer Firma zur Kenntnis erhalten, weil die polnische Firma die Anforderungen nicht erfüllt. Außerdem könnten Sie den Vorschläge entnehmen, wie die Konditionen verändert werden sollen.
Die Mailkette umfasst acht E-Mails von Kollegen des Absenders mit widersprüchlichen Vorschlägen. Also schreiben Sie dem Absender eine barsche E-Mail und fragen, was denn nun der letzte Stand für die Konditionen dieses Angebots ist. Willkommen im täglichen Wahnsinn, den wir uns gegenseitig in Form von E-Mails bereiten!
Wer E-Mail-Regeln nicht einhält, verursacht Kosten
Die meisten Manager wurden in ihrer Ausbildung mit den Grundregeln der Kommunikation vertraut gemacht. Sie haben erfahren, dass jede Kommunikation vier Komponenten hat: den Sachinhalt, die Beziehungsinformation (Wie gehe ich mit meinem Gegenüber als Empfänger um?), einen Appell, der den Wunsch betrifft, welche Wirkung die Kommunikation haben möge und die Selbstoffenbarung: Wie stelle ich mich selbst dar, was sagt diese Nachricht über mich aus?
Kommunikation im geschäftlichen Zusammenhang dient dem Geschäftszweck. Sie hat zielgerichtet zu sein, soll die Performance verbessern und Probleme lösen. In Zahlen ausgedrückt stellt sich die Problematik wie folgt dar: In einem Unternehmen arbeiten 10.000 Mitarbeiter mit E-Mail. Jeder verliert täglich durch Wirrungen der E-Mail- Kommunikation fünf Minuten produktiver Arbeitszeit. Rechnen Sie mit: Das ergibt pro Jahr bei einem Kostensatz von 100 Euro pro Mitarbeiter und 200 Arbeitstagen die stolze Summe von zirka 16 Millionen Euro. Was läuft also schief?
1. Die Betreff-Sünde
Der Absender hat sich nicht überlegt, wie der Betreff exakt lauten muss. Entweder muss das wichtige Schweizer Angebot im Betreff zusätzlich erwähnt werden oder es muss eine separate Mail mit dem Angebot gesendet werden. Einst hätte das die Sekretärin ihrem Chef abverlangt.
Der Betreff ist die Überschrift einer Mail – wenn sie fehlt, ist der Empfänger verloren: Er weiß beim Empfang nicht, worum es geht, ob es wichtig ist, ob er den Sachverhalt liegen lassen kann. Wenn er nicht selbst den Betreff ergänzt, hat er wenig Chancen, die E-Mail später schnell wieder zu identifizieren. Zudem wird der Empfänger verärgert sein über die Schlamperei des Absenders, die ihn zwingt, hier zusätzlichen Aufwand zu treiben.
Unschön ist auch die Angewohnheit, alte Mails als Template für eine neue E-Mail an den Absender zu nutzen und dabei den Betreff nicht zu ändern. Der Sender hat den Vorteil, dass er die Adresse nicht suchen muss. Der Empfänger fragt sich dann, was der alte Betreff mit dem neuen Inhalt zu tun hat – falls er die Mail je öffnet, denn wenn der alte Betreff auf eine längst erledigte Angelegenheit hinweist, könnte es schon sein, dass er sie in Eile zurückstellt und dann irgendwann für obsolet hält. In diesem Fall wäre die gegenseitige Wertschätzung auf jeden Fall ausgeglichen: „Ich lese Deine E-Mails nicht, wenn Du Dir nicht die Mühe machst, E-Mails an mich mit dem korrekten Betreff zu versehen“.
2. Die Ketten-Mail-Sünde
Der Absender hat die Änderungsvorschläge nicht zusammengefasst oder bearbeitet. Soll der Empfänger doch sehen, wie er zurechtkommt! Wenn es sich um mehrere Empfänger handelt, hat man damit gleich den Aufwand vervielfacht – das trägt zur Performance des Unternehmens bei.
Die Weiterleitung von E-Mailketten hat noch andere Tücken: So ist beim schnellen Weiterleiten oft nicht geprüft, ob nicht in der dritten E-Mail von unten eine Information oder Bemerkung steht, die der neue Empfänger nicht haben soll. Sei es, weil ihn diese Information nichts angeht oder weil ihn die Bemerkung verletzten könnte. Ja, klar, man soll keine Beschimpfungen oder spitze Bemerkungen in E-Mails schreiben, weil diese eben Beine bekommen – aber nicht nur der Erstabsender, auch der Weiterleiter hat eine Verantwortung für das, was er weiterleitet. Besonders pikant kann das werden, wenn es sich hier um eine Zusammenarbeit mit Kunden oder Lieferanten, also über Firmengrenzen hinweg, handelt.
3. Das Mail-Ping-Pong
Der Spezialfall der Kette ist das Mail-Ping-Pong. Sender und Empfänger schreiben sich die Finger wund mit mehreren Mails hin und her, um diffizile Sachverhalte zu klären, und erzeugen damit bei Anderen eine gewisse Wut und Verzweiflung. Warum nicht mal miteinander telefonieren? Da ist Rede und Gegenrede doch oft sehr schnell klärend.
4. Die Vermeidungssünden
Der Sender der E-Mail im obigen Beispiel wollte eigenen Zeitaufwand für Zusammenfassung und Koordination vermeiden – aber das gelingt mit E-Mails nie. Probieren Sie es erst gar nicht. Wenn Zusammenfassungen nötig sind, schreiben Sie diese gleich und verschonen Sie Kollegen und Chefs mit den Primärmails aus Ihrem Team oder aus der Diskussion mit dem Einkauf.
Richtig schlimm wird es, wenn viel beschäftigte Führungskräfte Entscheidungen per E-Mail treffen. Die Sachlage mag noch so klar erscheinen – das Thema wäre nicht auf Chef-Ebene gelandet, wenn es einfach gewesen wäre, denn dann hätte schon jemand anders entschieden. Es geht in der Regel um ein strittiges Thema und dafür ist es erforderlich, alle Seiten synchron in Rede und Gegenrede zu hören. Derjenige, der nicht gehört wurde oder dessen Argumente in der Mailkette untergegangen oder nicht verstanden wurden, ist demotiviert. Der vermeintliche Sieger wird damit auch nicht froh, wenn er den Kollegen zur weiteren Zusammenarbeit braucht – und vor allem: Die Entscheidung könnte suboptimal sein, wenn sie schon nicht falsch ist.
Vermeiden von Verantwortung per E-Mail ist auch ein beliebtes Spiel. Allerdings hat auch dieses Spiel nur Verlierer. Wer immer mit möglichst großem Verteiler schreibt, erreicht damit nur, dass sich am Ende keiner mit dem Thema identifiziert und er selbst mit dem Thema doch allein bleibt. Es gibt zwar immer wieder Empfänger, die E-Mails beantworten, obwohl sie diese nur in Kopie erhalten haben, aber eigentlich ist ja nur der direkte Empfänger angesprochen. Der hat vielleicht wenig Lust, eine Mail-Konversation mit 20 Leuten zu führen.
Gedankenlosigkeit, strukturelle Verantwortungslosigkeit und fehlendes Bewusstsein über das, was man kommunikativ anrichtet, mitunter auch mangelnde Ausbildung (was haben Sekretärinnen früher ihre Chefs an der Hand genommen in Bezug auf deren Korrespondenz!) haben zu einer weitgehend verlotterten E-Mail-Kultur geführt. Besorgniserregend sind deshalb die typischen Krankheitszeichen für eine nicht mehr performante Organisation: „Ich bekomme so viele E-Mails, die kann ich nicht mehr alle lesen – geschweige denn beantworten. Ich warte, bis es so wichtig ist, dass man mich anruft oder das Thema in den Meetings behandelt wird.“ Das ist zwar aus dem Blickwinkel des Betroffenen menschlich verständlich. Die Auswirkungen auf die Kultur und Motivation ist jedoch fatal, werden aber unterschätzt. Verantwortung für die Transparenz in jeglicher Art Ihrer Kommunikation stellt letztlich einen wesentlichen Wert im Umgang miteinander dar. Die Wertekultur gehört zu den immateriellen Werten im Unternehmen – ohne sie haben Sie bei allen Mitarbeitern, deren Kopf und Herz für die Ergebnisse des Unternehmens wichtig sind, einen schlechten Stand.
5. Die Blackberry-Sünden aka Smartphone-Sünden
Ein Smartphone oder ein Blackberry, mit dem man unterwegs die E-Mails checkt, kann ein Instrument zur Performance-Verbesserung sein – oder ein Teufelsinstrument, das den Stress durch permanente Verfügbarkeit erhöht. Alle Fallen, die es in der E-Mail-Kommunikation gibt, sind hier genauso gegeben. Gesteigert wird dies durch den Wunsch des Absenders, schnell und kurz zu antworten. Hier treten Verkürzungen auf, die Missverständnisse höchst wahrscheinlich werden lassen, wenn nicht präzise darüber nachgedacht wird, was der Empfänger braucht, um die Antwort zu verstehen.
Mailketten am Smartphone verstehen? Niemals!!! Sie müssen soviel scrollen, dass Sie sicher vorher aufgeben.
Anlagen öffnen und lesen? Ja, da muss man schon sehr hart im Nehmen der Zumutungen sein.
Die E-Mail vom Chef, der grade im Ausland ist, lautet: „Ja, klar“. Sie wissen, dass er das am Smartphone geschrieben hat. Dummerweise fehlt die Bezugsmail. Sie zermartern sich den Kopf, welche Entscheidungsvorlage Sie ihm per E-Mail gesendet haben. Sie durchsuchen Ihre Mails. Das dauert lange. Irgendwann stolpern Sie über die E-Mail eines Kollegen, der sie als CC kopiert hatte und der den Chef gefragt hat, ob er zum Monatsabschluss ausnahmsweise in den Urlaub gehen kann. Hier hat sich auch eingebürgert, auf die Großschreibung zu verzichten, weil das Umschalten recht mühsam ist. Das wird auch weitgehend zwischen Nutzern dieser Technik akzeptiert. Trotzdem muss man sich überlegen, an wen man schreibt. An den Kollegen, der weiß, dass man gerade in Japan am Flughafen steht und noch schnell vorm Einchecken antwortet? Oder an den CEO des eben gewonnenen Kunden?
6. Die SMS-Sünde aka WhatsApp-Sünde
Und für die SMS gilt genau wie für WhatsApp-Nachrichten: Ganz prima für kurze Mitteilungen (das erste S steht ja auch für short!) der Art: „Zug hat zwei Stunden Verspätung“ oder „Bitte ruf mich dringend zurück wegen Angebot Schweiz“, aber ungeeignet für komplexere Sachverhalte im Geschäftsumfeld. Und bitte nicht die der Jugendsprache entnommenen Abkürzungen im Geschäftskontext verwenden! Wie Sie mit Ihren Freunden oder Kindern kommunizieren, steht ja auf einem anderen Blatt.
E-Mail-Knigge im Intranet nützt nichts
Nun haben etliche Firmen einen E-Mail-Knigge im Intranet. Die wenigsten Mitarbeiter kennen ihn allerdings. So nutzt er nichts, weil sich keiner daran hält. Und es hält sich niemand daran, weil gerade Führungskräfte mit schlechtem Beispiel vorangehen und deswegen Nichtbefolgen nicht sanktioniert wird. Das eigene Beispiel von oben aus der Hierarchie ist mächtiger als schön formulierte Regeln. Denn wie hat sich der Mailverkehr als das gängige Medium der Firmenkommunikation durchgesetzt? Indem der Chef über dieses Medium – und nur über dieses – zu seinen Besprechungen eingeladen hat.
Wenn Sie der Meinung sind, dass Transparenz in der Kommunikation die Effizienz und Effektivität in Ihrem Unternehmen deutlich fördert, Sie sich also verantwortlich für die Klarheit Ihrer E-Mails fühlen, begehen Sie alle aufgezählten Sünden nicht mehr. Überzeugen Sie Ihren Chef und Ihre Management-Kollegen, indem Sie (moderat) auf die Sünden der Kollegen reagieren – vor allem mit Ich-Botschaften über die Selbstoffenbarung des Senders und was sein Kommunikationsverhalten für die Wertschätzung der Beziehung bedeutet.
Bezüglich Ihrer Mitarbeiter haben Sie durchaus die Möglichkeit, auf Sünden mit klarer Ansage zu reagieren – aber bitte unter vier Augen und Ohren. Das heißt, am besten nicht per E-Mail! Überzeugen Sie die Verantwortlichen in Ihrem Unternehmen, die Trainings durchführen, dass E-Mail-Kommunikation tatsächlich ein Thema für das Training von Mitarbeitern ist, vielleicht sogar im Rahmen von Wertediskussionen. Möglicherweise lässt sich auch Ihr CEO als mächtiger Sponsor gewinnen und verleiht dem Thema die nötige Wichtigkeit von ganz oben. Aber knirschen Sie weiter mit den Zähnen, wenn Ihre Kunden alle aufgezählten Sünden begehen – es sei denn, Sie sind der dafür bezahlte Kommunikationstrainer.
* Alexandra Mesmer und Florian Maier sind Redakteure der Computerwoche.

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