Die beste Kamera ist die, die Sie bei sich haben. Nach diesem berühmten Spruch ist die beste Kamera also ein Smartphone. Wir zeigen Ihnen, warum das nur bedingt stimmt und wie Sie die passende Kamera für sich finden. [...]
Die erste Frage, die Sie sich beim Kauf einer Kamera stellen sollten, ist eine, die Sie im Fachgeschäft wohl eher nicht hören werden: „Ist das überhaupt nötig?“ Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie ein Smartphone besitzen, das über eine Kamera verfügt. Zudem stehen die Chancen gut, dass die Kamera in Ihrem Smartphone zumindest gut, wahrscheinlich sogar ausgezeichnet ist.
Der technologische Fortschritt im Bereich der Handy-Fotos ist rasant, gleichzeitig sinken die Anforderungen an unsere Bilder und Videos. Es wird weniger gedruckt, schon gar nicht großformatig – und auch die Videos landen meist auf Plattformen mit massiver Komprimierung (Facebook, TikTok etc.). Fotos und Videos werden mit einem Bruchteil der Qualität über Chat-Messenger verschickt und anschließend auf einem Smartphone-Bildschirm angeschaut. Da fallen die Qualitätsunterschiede deutlich weniger auf.
Setzen Sie sich daher zunächst eine Weile intensiv mit Ihrer Smartphone-Kamera auseinander, Bild 1. Lernen Sie alle wichtigen Funktionen und Tricks. Die Limitationen des Smartphones sind zudem eine gute Übung, die Ihr fotografisches Auge schärft. Und: beim Fotografieren mit Ihrem Smartphone sammeln Sie wertvolle Praxiserfahrung, die Ihnen aufzeigt, welche Stile Ihnen gefallen könnten und wo die Grenzen und Problembereiche des Handys sind. Das wiederum hilft Ihnen beim Kauf der passenden Kamera, da Sie Ihre Bedürfnisse bereits besser kennen.
Gründe für eine Kamera
Auf jeden Fall haben wir im Folgenden sechs gute Gründe für eine Kamera zusammengestellt. Bevor Sie nach diesem Abschnitt aber ins Fachgeschäft rennen: Es folgen auch noch fünf Gründe, die gegen eine Kamera sprechen.
1. Optik: Besonders Systemkameras profitieren im Vergleich mit Smartphones von deutlichen Vorteilen bei der Optik. Durch die massiv größeren optischen Elemente ist eine bessere Bildqualität möglich. Gerade im Telebereich (fürs Heranholen entfernter Objekte) ist das Smartphone auch mit allen Tricks aus der Software-Kiste komplett chancenlos.
2. Kontrolle: Ja, auch die Smartphone-Kamera hat einen „Manuell“-Modus. Der ist aber mühsam zu bedienen und bietet außer einer manuellen Belichtung kaum Möglichkeiten. Mit einer Systemkamera haben Sie die volle Kontrolle über alle möglichen Parameter, falls Sie denn wollen. Die Automatik ist natürlich auch drin.
3. Vielseitigkeit: Das Smartphone kann viel, die Kamera alles. Zumindest, sofern Sie wissen, wie es geht und das richtige Zubehör besitzen. Während Sie mit dem Smartphone immer wieder an technologische Grenzen stoßen, gibt es fast kein fotografisches Problem, das sich mit einem Kamerasystem nicht irgendwie lösen ließe.
4. Haptik: Es geht nichts über das Gefühl einer tadellos funktionierenden Maschine in den Händen. Rädchen zum Drehen, Knöpfe zum Drücken, das leise Klicken und Klackern der beweglichen Teile. Eine Kamera hat etwas Spielerisches, das man mit einem Smartphone nicht ersetzen kann, Bild 2.
5. Bildqualität: Ja, für Ferienfotos per WhatsApp und ein paar Instagram-Posts reicht die Bildqualität Ihrer Handy-Kamera problemlos aus. Aber schon in einem Fotobuch merkt man die Unterschiede. Eine Systemkamera bietet markant mehr Detail und stößt weniger schnell an technische Grenzen.
6. Wachstumschancen: Mit einer Kamera lernen Sie dazu. Richtig Fotografieren zu lernen, ist ein Stück persönliches Wachstum und bringt Ihnen Wissen, das Sie immer wieder brauchen können. Das stimmt natürlich auch für die Smartphone-Fotografie, aber eine Kamera erweitert die Möglichkeiten um ein Vielfaches.
Darum ein Handy
Es gibt auch Bereiche, in denen die dedizierte Kamera Nachteile gegenüber dem Smartphone hat. Schauen wir uns fünf davon an. Auch mit Zubehör wie Smartphone-Objektiven holen Sie schon einiges mehr aus der Smartphone-Fotografie heraus.
1. Größe & Gewicht: Viel kompakter als beim Smartphone geht Fotografie kaum noch. Mit einer Systemkamera schleppen Sie deutlich mehr Material mit sich herum. Das macht nicht auf jedem Ausflug Spaß.
2. Mehr Wartung: Eine Kamera muss zumindest rudimentär gewartet werden. Dazu gehören bereits ganz einfache Dinge wie das Verwalten der Bilder und Speicherkarten, zusätzliche Akkus, die geladen werden möchten – und natürlich die Reinigung der Kamera, besonders der Objektive.
3. Bildbearbeitung: Wollen Sie Ihre Systemkamera richtig auskosten, kommen Sie um ein wenig Bildbearbeitung kaum herum. Je mehr Kontrolle Sie über das Endresultat haben wollen, desto mehr müssen Sie selbst in die Hand nehmen, was wiederum Aufwand bedeutet.
4. Komplexität: Beim Smartphone öffnen Sie die Kamera-App, wählen Foto oder Video, drücken den Auslöser und erhalten fix fertige, knallige Aufnahmen. Das geht bei ausgewachsenen Kameras nur bis zu einem gewissen Grad.
Im Hinblick auf Rechenleistung sind Smartphones den Kameras weit überlegen. Techniken wie HDR-Mehrfachbelichtungen oder Panoramas müssen Sie bei einer Kamera selbst erstellen und wissen, wie das geht. Die meisten Kameras haben keinen Nachtmodus oder Makromodus, sondern verstehen sich als Werkzeug, mit dem Sie Nacht- oder Makrobilder erstellen.
5. Kosten: Kameras sind nicht gerade günstig und oft nur der Anfang: Objektive, Stative, Filter, Speicherkarten, Lichtsysteme, Software, Fernauslöser und eine ganze Ladung von Zubehör, von dem Normalsterbliche noch nicht einmal wissen, dass es existiert, kommt irgendwann noch dazu. Ihre finanzielle Selbstbeherrschung wird auf die Probe gestellt, Bild 3.
Die Auswahlkriterien
Da Sie noch weiterlesen, gehe ich davon aus, dass Sie weiterhin eine Kamera kaufen möchten. Legen wir also los. Zunächst sollten Sie die wichtigsten Kriterien festlegen, die für Sie relevant sind. Am besten schreiben Sie diese auf, damit Sie diese im Dickicht des Kameraangebots nicht aus den Augen verlieren.
Budget
Legen Sie zu Beginn ein Budget fest. Am besten möglichst genau, im Zweifelsfall geht aber auch eine Preisspanne. Falls Geld gar kein Thema ist, müssen Sie nicht mehr weiterlesen. Gehen Sie einfach in das nächste Fotofachgeschäft und lassen Sie sich das Beste vom Besten verkaufen.
Bedenken Sie beim Budget, dass der Preis der Kamera nur ein Teil der Gesamtkosten darstellt. Sie benötigen diverses Zubehör, einiges davon sogar zwingend. Bei einer Systemkamera brauchen Sie mindestens ein Objektiv. Die Preisspanne reicht von etwa 200 Euro bis ins schier Unermessliche. Für Normalsterbliche rechnen Sie zwischen 200 und 3.000 Euro für ein Standard-Zoomobjektiv, Bild 4.
Dazu kommen mehrere Speicherkarten. Achten Sie dabei darauf, wie viele und welche Speicherkartenslots Ihre Wunschkamera hat. Nebst SD-Karten sind auch die teureren CFexpress-Karten geläufig. Die Preise variieren je nach Speichergröße und Qualität zwischen etwa 50 und 500 Euro pro Karte.
Ein Akku und ein Ladegerät sind in der Regel beim Kauf dabei. Zusätzliche Akkus sind jedoch äußerst empfehlenswert und kosten nicht die Welt. Zwischen 50 und 150 Euro pro Akku ist realistisch.
Alles Weitere ist optional. Besonders empfehlenswert sind:
- Kameragurt: Die mitgelieferten Gurte sind nicht ideal, testen Sie unbedingt alternative Modelle, Bild 5.
- Mehr Objektive: Flexibilität ist immer gut.
- Stativ: Auf keinen Fall Billigmodelle kaufen. Ihre teure Kamera soll sicher stehen.
- Noch mehr Objektive: kann man nie genug davon haben.
- Bildbearbeitungs-Software: Lohnt sich besonders für die Bearbeitung von Rohdatenbildern, ist aber auch sonst eine sehr praktische Investition.
- Vielleicht noch ein letztes Objektiv: Was man mit so einem Makroobjektiv alles machen könnte …
- Licht: ein externer Blitz für Fotografie, eine LED-Leuchte für Video.
- Mikrofone: Ein externes Mikrofon empfiehlt sich für Video. Die internen Mikrofone sind meistens schwach.
Stöbern Sie auch sonst noch ein wenig in den Zubehörkategorien Ihres Händlers. Je nachdem, was Sie mit der Kamera vorhaben, finden Sie womöglich noch etwas Passendes.
Aber Vorsicht: Das meiste Zubehör ist optional und geht schnell ins Geld. Sparen Sie im Zweifelsfall nicht am Objektiv und an der Kamera, um sich mehr „nettes“ Zubehör leisten zu können. Erste Priorität hat ein gutes Objektiv, danach folgt eine starke Kamera, anschließend das essenzielle Zubehör und erst zuletzt das nett-zu-haben-Zubehör.
System
Mit einer hochwertigen Kamera kaufen Sie stets mehr als nur das Gerät. Sie kaufen sich in ein System ein. Entscheiden Sie sich für einen Nikon-Body, benötigen Sie auch die passenden Objektive und das kompatible Zubehör. Recherchieren Sie also nicht nur zur Kamera, sondern auch, ob das dazugehörige System Ihren Anforderungen gerecht wird.
Glücklicherweise ist beim Zubehör heutzutage vieles nicht mehr systemgebunden. Speicherkarten, Stative, Mikrofone oder Tragegurte sind universell einsetzbar. Bei anderem Zubehör wie Blitzgeräten oder Fernauslösern variiert die Kompatibilität. In der Praxis steht „das System“ also primär stellvertretend für zwei große Themen: Objektive und Sensoren.
Fast alle großen Hersteller haben eines oder mehrere Systeme im Angebot. Definiert wird das System fast immer anhand des Objektivanschlusses. Teilweise, aber nicht immer, ist dieser durch die Sensorgröße bedingt. Canon, Nikon und Sony bieten verschiedene Sensorgrößen im gleichen Anschluss an, Fujifilm und Panasonic führen unterschiedliche Systeme dafür, da deren Sensorgrößen weiter auseinander liegen. Erstere Variante ermöglicht ein leichteres Wachstum innerhalb des Systems, ist aber verwirrender und technisch stellenweise limitiert.
Bild 6: Micro-Four-Thirds ist eines der wenigen Systeme, die herstellerübergreifend sind. (c) PCtipp.ch
Für Sie heißt das: Bei Canon, Nikon und Sony können Sie einen Teil der Objektive bei einem Upgrade auf einen größeren Sensor mitnehmen. Dafür müssen Sie beim Kauf auch genauer aufpassen, nicht ein falsches Objektiv zu erwischen. Bei Fujifilm und Panasonic sollten Sie sich im Vorfeld langfristig festlegen, haben dann aber jeweils das ganze Angebot ohne Einschränkungen zur Verfügung. Panasonic geht hier sogar noch einen Schritt weiter und verwendet offene Systeme, die mit anderen Herstellern wie Olympus oder Leica geteilt werden. Das heißt mehr Auswahl an Objektiven, dafür etwas weniger Kontrolle bei der Entwicklung neuer Features, Bild 6.
Hier die wichtigsten Systeme in der Übersicht, Bild 7:
- Canon EOS R: APS-C & Vollformat
- Fujifilm GFX: Mittelformat
- Fujifilm X: APS-C
- Nikon Z: APS-C & Vollformat
- Panasonic Lumix G: Micro-Four-Thirds
- Panasonic Lumix S: Vollformat
- Sony Alpha E-Mount: APS-C & Vollformat
Spezielles
Außer dem Budget und dem System ist fast alles andere für spezielle Anforderungen reserviert. Bei den Standardfunktionen stehen sich die Kamerahersteller praktisch in nichts nach. Sie können sich also auf diejenigen Kleinigkeiten fokussieren, die für Sie besonders wichtig sind: Sei es ein besonders schneller Autofokus, die Farben der Kamera oder schlicht die Haptik und Bedienung. Dabei geht nichts über eine ausführliche Recherche in Fachmagazinen und einen Besuch in einem Fotofachgeschäft.
Eine besonders wichtige Abwägung ist hier diejenige zwischen Foto und Video. Beide Aufnahmeformen haben eigene Anforderungen, die sich teilweise ausschließen. Kameras, die beides anbieten möchten, müssen oftmals Kompromisse eingehen oder eine der beiden Seiten zurückstellen. Falls Sie fast ausschließlich fotografieren oder filmen, sollten Sie sich für einen Spezialisten in dieser Richtung entscheiden. Für einen gelegentlichen Ausflug in die Gegenseite reicht das meistens schon aus. Wollen Sie beides gleichermaßen betreiben, gibt es Alleskönner. Dabei müssen Sie sich allerdings bewusst sein, dass diese den Spezialisten im jeweiligen Gebiet nicht das Wasser reichen können.
Und eine Spiegelreflex?
Zum Schluss eine Frage, die vor zehn Jahren noch umgekehrt gestellt wurde. Die Spiegelreflex war damals dominant, die spiegellosen Systemkameras waren erst gerade am Kommen. Heute ist es anders. Alle großen Hersteller haben auf die spiegellose Bauweise gewechselt. Die Spiegelreflex gibt es zwar noch, allerdings nur in einigen Nischen – beispielsweise in der extremen Reisefotografie, wo eine lange Akkulaufzeit und maximale Robustheit alle anderen Anforderungen ausstechen. Aber auch dort stehen die Zeiten auf Wandel. Heute noch eine Spiegelreflexkamera zu kaufen, ergibt höchstens aus Nostalgie Sinn. Das herrliche Klackern des hochklappenden Spiegels ist etwas wunderbar Physikalisches, die Sicht direkt durch das Glas herrlich makellos. Aber die Nachteile überwiegen zu stark, dass die Technologie im breiten Feld noch sinnvoll wäre. Und wenn schon retro, dann doch gleich richtig: Kaufen Sie sich eine analoge Film-Spiegelreflexkamera. Und wenn es nur dazu dient, die Vorzüge der digitalen Welt wieder schätzen zu lernen, Bild 8.
Bild 8: Wenn schon retro, dann richtig, mit einer analogen Spiegelreflex. (c) PCtipp.ch
* Luca Diggelmann schreibt für PCtipp.ch.
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