Die nächste Phase der Digitalisierung

Künstliche Intelligenz (KI) und Machine Learning entwickeln sich zu Schlüsseltechnologien, erwarten Analysten von Crisp Research. IT- und Business-Verantwortliche müssen sich damit auseinandersetzen, wollen sie eine digitale Wertschöpfung schaffen. [...]

Digitalisierung war gestern, heißt es beim Analystenhaus Crisp Research. Dort spricht man bereits vom „post-digitalen Zeitalter“, in dem Maschinen und Roboter mit menschlichen Eigenschaften agieren. „Die Phase der Quick Wins ist vorbei, Digitalisierung muss echte Probleme lösen“, forderte Crisp-CEO Carlo Velten auf einer Fachkonferenz des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens.
Mit den Quick Wins meint er beispielsweise Startups wie Uber oder Firmen, die „mal ein paar Apps gebaut haben, um den digitalen Rahm abzuschöpfen.“ Unternehmen, die eine echte digitale Wertschöpfung schaffen wollten, stünden vor anderen Herausforderungen und müssten sich fragen, welche Veränderungen das „post-digitale Zeitalter“ mit sich bringe. Zu den zukunftsträchtigen Technologien in diesem Kontext zählt er Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen. Deren Einfluss auf alle Unternehmensbereiche nehme rapide zu und werde insbesondere in der IT immens sein. Gerade IT-Verantwortliche täten gut daran, sich schon jetzt mit einschlägigen Konzepten und Plattformen auseinanderzusetzen.
Machine Learning kommt aus der Nische
Nach Jahren in der akademischen Nische erlebe das Thema Machine Learning eine Innovations- und Wachstumsphase, erläuterte Björn Böttcher, Senior Analyst und Spezialist für das Thema Data bei Crisp Research. Die Gründe dafür sieht er unter anderem in der skalierbaren und kostengünstigen Rechenleistung aus der Cloud. Die Verfügbarkeit riesiger Datenmengen bilde die Grundlage für die Modellentwicklung und das Training der Systeme. Verfahren, Tools und Frameworks hätten sich durch milliardenschwere Investitionen deutlich verbessert. Vor allem aber gebe es mittlerweile viele neue Use Cases, sowie die Notwendigkeit, die anfallenden Datenmengen im Rahmen von Big-Data-Vorhaben zu beherrschen und zu analysieren.
Wie ernst viele Unternehmen das Thema maschinelles Lernen bereits nehmen, ist in vielen Bereichen erkennbar. So haben laut Böttcher allein Facebook, Google, Microsoft, IBM und Amazon Web Services (AWS) im Jahr 2015 zehn Milliarden Dollar in einschlägige Forschung und Entwicklung gepumpt. Von 2014 bis Anfang 2016 gab es 81 Akquisitionen in dem Bereich. Auch an den HR-Investitionen werde der Trend deutlich. Etliche Großunternehmen bildeten Teams und heuerten verstärkt Machine-Learning-Experten an. Dabei erleichterten Open-Source- und Open-Data-Tools den Zugang zu den neuen Technologien. Böttcher: „Machine Learning ist schon heute Basis für viele Dienstleistungen und Produkte.“
Der Weg in die post-digitale Welt
Doch es sind nicht nur technische Herausforderungen, die Unternehmen beim Übergang in die (post-)digitale Welt meistern müssen. Crisp-Chef Velten beschreibt eine Reihe von strategischen Veränderungen, auf die sich IT- und Business-Verantwortliche einstellen sollten. „Digital Labs gelten zwar vielerorts als Keimzelle digitaler Innovation. Doch ihr Erfolg ist keineswegs garantiert. Irgendwann müsse sich aus den mit viel Geld etablierten Labs ein digitales Business entwickeln.“ Der Erwartungsdruck hinsichtlich des Umsatzbeitrags digitaler Produkte und Services sei hoch, erste Labs hätten schon wieder dichtgemacht.
Massive Auswirkungen werde die Wandlung großer Industrieunternehmen hin zu Softwarekonzernen haben, erwarten die Analysten. Bosch, Siemens und GE mit seiner Predix-Plattform entwickelten sich damit auch zu Konkurrenten großer IT-Player wie SAP oder IBM, wenn es um Wachstumsfelder wie IoT, Analytics und Cloud gehe. Das wiederum heize den „War of Talents“ weiter an. Spezialisten für Analytics, Machine Learning oder IoT würden schon jetzt händeringend gesucht.
„Hardware is back“
Einen weiteren Trend beschreibt Crisp Research mit dem Slogan „Hardware is back“. Dahinter steht die Beobachtung, dass große Technologieunternehmen zunehmend auch die Hardware beherrschen wollten. Apple mit seiner Kontrolle über den kompletten Technologie-Stack gilt vielen als leuchtendes Beispiel. Längst arbeiten auch andere IT-Größen wie Facebook oder Google an speziell auf ihre Services zugeschnittenen Hardware-Systemen. „Digitale Wertschöpfungsketten und Ökosysteme lassen sich nachhaltig nur in Kombination von Hardware, Software und Service gestalten“, sagt Velten dazu. 3D-Druck, Robotics, Simulation und CAD demokratisierten die Hardwareproduktion und gäben Internetfirmen und Startups Zugang zu Märkten, die bislang eine Domäne der Industrieunternehmen waren. Die eigentliche Produktion und Logistik übernähmen dabei Fremd- und Auftragsfertiger.
Eine tragende Säule aller Digitalisierungsbemühungen sehen die Analysten in der „Digital Foundation & Infrastructure“, sprich: der Basisinfrastruktur, ohne die sich viele digitale Services in der Zukunft gar nicht realisieren lassen. Um sie bereitzustellen, bedürfe es neuer Investitionsanreize und Finanzierungsformen, so Velten. Intelligente Gesetze bildeten die Grundlage für einen „ganzheitlichen, gesamtgesellschaftlichen Digitalisierungserfolg“. Der Effekt: Digitale Infrastrukturen entwickelten sich zu attraktiven Erlös- und Finanzierungsquellen, sowohl für Unternehmen als auch den Staat. Offene Plattformen und Datenquellen seien dabei wichtige Voraussetzungen für digitale Ökosysteme in Verkehr, Gesundheit, Bildung, Sicherheit und dem Energiesektor. Staaten und Gemeinden müssten zum „Public Data Hub“ werden, um langfristig das öffentliche Leben gestalten und sichern zu können. Bereits am Horizont sieht Crisp zudem autonome Unternehmen, die gänzlich ohne Menschen auskommen und nur noch von künstlicher Intelligenz gesteuert werden.
Strategische Empfehlungen zur Digitalisierung
Wer die Digitalisierung meistern will, muss anpassungsfähig sein und gestalten wollen, resümierte Velten. Möglichkeiten gäbe es reichlich. Beispielsweise sollten Unternehmen eine Bildungsoffensive in Angriff nehmen, um den kulturellen Wandel hin zu einer kreativen und technologiegetriebenen Organisation zu schaffen. Notwendig sei auch der Mut zu langfristigen Strategien und Investitionen in digitale Infrastrukturen und Ökosysteme, um „große Probleme zu lösen“. Unter dem Kunstwort „Stackology“ empfiehlt der Analyst ferner den Aufbau eines unternehmensindividuellen „TechStack“, der als Grundlage für neue digitale Plattformen und Produkte dienen könne. Unternehmen gewönnen damit Unabhängigkeit, Flexibilität und Kontrolle. Last, but not least sollten Entscheider eine weitgehende Automation der digitalen und IT-Betriebsprozesse anstreben, um Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Skalierbarkeit zu gewährleisten.
* Wolfgang Herrmann ist Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO.

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