Die Prozesse werden intelligent

Automatisierung plus Künstliche Intelligenz ergibt schlankere, schnellere und agilere Business-Prozesse. [...]

Foto: GerdAltmann/Pixabay

Prozesse zu automatisieren ist für viele Unternehmen kein neues Thema. Sie nutzen seit Jahren Ansätze wie Business Process Management (BPM) und Process-Mining, um Abläufe zu straffen, weniger effizienten Prozessen auf die Spur zu kommen und letztlich Kosten zu sparen.

Einen Schritt weiter gehen Lösungen wie Robotic Process Automation (RPA). Sie ermög­lichen es Anwendern, ihre Belegschaft um „digitale Mitarbeiter“ (Digital Workforce), also Software-Roboter, zu erweitern. Diese kommen beispielsweise im Support und der automatisierten Verarbeitung von Dokumenten zum Einsatz, etwa von Rechnungen und Verträgen.

Nun werden diese Formen der Prozessautomatisierung intelligent. Lösungen für Intelligent Process Automation (IPA) oder einfach Intelligent Automation (IA) gewinnen an Boden. Laut der Studie „Intelligent Process Automation in Deutschland“ von IDC setzten 2022 bereits 30 Prozent der Unternehmen entsprechende Tools ein. Bis 2024 sollen es mehr als 70 Prozent sein.

„Die intelligente Prozessautomatisierung eröffnet den Weg zur End-to-End-Automatisierung“, erklärt Matthias Zacher, Senior Consulting Manager bei IDC und Projektleiter der Studie. „Damit wird endlich eine Anforderung der Entscheider abgedeckt, die seit mehr als 30 Jahren besteht und bislang lediglich punktuell und mit großem Aufwand umgesetzt werden konnte.“

„Intelligente“ Automatisierung

Intelligente Lösungen für die Prozessautomatisierung beseitigen Defizite von Ansätzen wie RPA: „Robotic Process Automation ist darauf ausgelegt, regelbasierte Prozesse zu automatisieren, die auf strukturierte Daten setzen. Prozesse, die für ihre Ausführung unstrukturierte Daten benötigen oder keinem einfachen und klaren Regelwerk folgen, werden damit nicht erfasst“, erläutert beispielsweise Tobias Schicht, Partner beim IT- und KI-Spezialisten Lead­vise Reply.

„Gefordert sind Technologien, die auch mit unstrukturierten Daten umgehen können und in der Lage sind, selbstständig Entscheidungen zu treffen.“ Was das heißt, macht Reinhold Engelbrecht, bei IBM Leiter des technischen Vertriebs des Business-Automation-Portfolios im EMEA-Raum, an einem plastischen Beispiel deutlich: „RPA ist darauf fokussiert, die Aktivitäten eines Mitarbeiters zu emulieren, ähnlich wie ein Roboter in der Fertigung, der ausschließlich Schweißnähte fabriziert.“

Vielleicht eher Kunststoff als Stahl?

Besser ist eine ganzheitliche Betrachtungsweise eines Ablaufs, wie sie IPA verfolgt. Sie lässt sich durch die Inte­gration von Künstlicher Intelligenz, Machine Learning (ML), optischer Zeichenerkennung (OCR) und Spracherkennung (Natural Language Processing, NLP) erreichen.

„Ein Beispiel ist, die Dokumentenerfassung mithilfe von Künstlicher Intelligenz zu optimieren. Dies kann zudem nachfolgende Prozesse vereinfachen“, so Engelbrecht.

„Die intelligente Prozessautomatisierung eröffnet den Weg zur End-to-End-Automatisierung. Damit wird endlich eine Anforderung der Entscheider abgedeckt,
die seit mehr als 30 Jahren besteht.“

Matthias Zacher – Senior Consulting Manager bei IDC

„Um beim Schweißroboter-Beispiel zu bleiben: Eventuell wäre es besser, ein Bauteil in Kunststoff zu fertigen statt in Stahl.“ Solche Abwägungen kann eine intelligente Software für die Prozessautomatisierung vornehmen.

Selbstständig Entscheidungen treffen

„Software-Roboter, die man von RPA her kennt, können dank intelligenter Automatisierung autonom Entscheidungen treffen und ausführen“, fasst Tina Seuchter zusammen. Sie ist Vice President Central & Northern Europe bei SS&C Blue Prism, einem Anbieter von RPA-Lösungen. Das zeigt sich unter anderem bei einem Haupteinsatzfeld von IPA und IA: der Bearbeitung von Dokumenten: „Dank NLP können Software-Roboter beispielsweise Texte interpretieren und nötigenfalls autonom weitere Prozesse anstoßen.“

Dieser Automatisierungsgrad ist laut Tobias Schicht von Leadvise Reply mit herkömmlichen Methoden der Prozessautomatisierung nicht zu erreichen. Sie seien nur in der Lage, etwa 30 Prozent eines Ablaufs zu automatisieren. „Mithilfe lernender Algorithmen erreicht dieser Wert nach wenigen Wochen oder Monaten bereits 80 Prozent, und dies, ohne den automatisierten Prozess anpassen zu müssen.“

Zahlreiche Einsatzfelder

Diese Fähigkeiten eröffnen IPA-Lösungen ein großes Spektrum von Einsatzfeldern: „Intelligent Process Automation ist weder prozessbezogen noch branchenspezifisch – und außerdem nicht auf einen bestimmten Tätigkeitsbereich im Unternehmen beschränkt“, betont Benedikt Bonnmann, Leiter des Bereichs Data & Analytics beim Dortmunder IT-Haus Adesso. Alle Arten von Unternehmen und nahezu alle Fachbereiche könnten von IPA profitieren, so Bonnmann.

Ein Beispiel seien die Purchase-to-pay-Prozesse im Einkauf, bei dem das System automatisch Bestellungen bearbeitet, Rechnungen prüft und Zahlungen veranlasst. Oder die Automatisierung des Know-your-Customer-Prozesses, bei dem der Roboter automatisch die Identität eines Kunden überprüft und die erforderlichen Dokumente zusammenstellt. „Weitere Einsatzgebiete sind die Customer-Onboarding-Prozesse und das IT-Service-Management“, erklärt Bonnmann.

Ob Intelligent Automation beziehungsweise IPA für ein Unternehmen relevant ist, lässt sich IBM zufolge anhand zweier Kriterien prüfen:

  • Wie oft ein Geschäftsprozess pro Tag anfällt: Je höher die Zahl, desto größer ist der potenzielle Nutzen von IPA und IA. Dieser Faktor ist beispielsweise im Finanzbereich, bei Lieferketten und dem Kundenservice relevant.
  • Sofern bereits eine IPA-Lösung in Betrieb ist, sollte geprüft werden, wie sich diese auf die Kunden und die Beziehungen zu diesen auswirkt. So können kürzere Lieferzeiten dank optimierter Prozesse die Kundenzufriedenheit erhöhen und damit die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens stärken.

Vorteile: Nicht nur die Kosten

Allerdings sehen deutsche Unternehmen in Intelligent Process Automation in erster Linie ein Mittel, um die Kosten zu senken und ihre Effizienz und die der Mitarbeiter zu erhöhen, so die Resultate der Studie von IDC und einer weiteren Befragung von Entscheidungsträgern in deutschen Unternehmen, die Adesso durchführen ließ.

Benedikt Bonnmann: „Ganz oben auf der Liste der Gründe, die für intelligente Automation sprechen, finden sich die üblichen Verdächtigen jedes Automatisierungsprojekts: Prozesse sollen effizienter werden und die Kosten sinken.“

„Intelligent Process Automation ist weder prozessbezogen noch branchenspezifisch – und außerdem nicht auf einen bestimmten Tätigkeitsbereich im Unternehmen beschränkt.“

Benedikt Bonnmann – Leiter Line of Business Data & Analytics bei Adesso

Immerhin sehen laut Adesso 39 Prozent der Befragten in Intelligent Process Automation ein wichtiges Tool, um die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen. Dagegen spielt eine höhere Zufriedenheit der eigenen Mitarbeiter durch den Einsatz von intelligenter Prozessautomatisierung laut der Umfrage des IT-Hauses eine untergeordnete Rolle.

Hier ist nach Einschätzung von SS&C Blue Prism noch viel Luft nach oben: „Durch die Automatisierung repetitiver Aufgaben werden Mitarbeiter von lästiger Routine entlastet und können sich auf wertvollere Tätigkeiten fokussieren, was zu weniger Stress und einer geringeren Fluktuationsrate führt“, so Tina Seuchter. Durch die Unterstützung und Zusammenarbeit mit „Digital Workers“ könnten Mitarbeiter zudem neue Aufgaben oder Verantwortlichkeiten übernehmen und sich in anderen Gebieten weiterbilden.

Die Kehrseite der Medaille ist allerdings, dass der Kollege Roboter sehr wohl Aufgaben übernehmen kann, die zuvor ein Mensch erledigt hat. Die Furcht von Beschäftigten, ihren Job an einen Bot zu verlieren, sollte daher von Unternehmen ernst genommen werden.

Dies lässt sich erreichen, wenn offen über solche Projekte diskutiert wird und den Beschäftigten aufgezeigt wird, welchen Nutzen intelligente Prozessautomatisierung bringt – ihnen selbst, aber auch den Kunden und Partnerfirmen.

(Quelle: Adesso)

Zuerst klein beginnen

Ist die Entscheidung gefallen, eine IPA- oder IA-Lösung einzusetzen, gilt es, weitere Punkte zu beachten. Ein klassischer Fehler besteht darin, einen Ansatz zu wählen, der nur die Anforderungen eines oder weniger Fachbereiche abdeckt.

Das kann dazu führen, dass eine Vielzahl von Insellösungen implementiert wird. Daher plädieren Anbieter wie Marktforscher für den Einsatz übergreifender Technologieplattformen. Diese kombinieren RPA, KI, Low- und No-Code-Funktionen mit Process- und Task-Mining sowie einem Business Process Management (BPM).

Idealerweise sollte eine solche Plattform modular aufgebaut sein. Dann haben Anwender die Möglichkeit, entsprechend ihren Anforderungen Automatisierungs-Tools zu nutzen. Wichtig ist zudem, dass die IPA-Lösungen über Schnittstellen verfügen, über die sich eine vorhandene RPA- oder BPM-Software anbinden lässt.

„Robotic Process Automation ist darauf ausgelegt, regelbasierte Prozesse zu automatisieren, die auf strukturierte Daten setzen. Prozesse, die unstrukturierte Daten benötigen oder keinem einfachen und klaren Regelwerk folgen, werden damit nicht erfasst.“

Tobias Schicht – Partner bei Leadvise Reply

„Wir empfehlen, mit einfachen ,Quick Wins‘ zu starten, also in der Regel Use-Cases auf Basis von RPA“, unterstreicht Tobias Schicht von Leadvise Reply.

„Dadurch lassen sich erste Automatisierungspotenziale erschließen und Management, Kunden und Mitarbeiter von den Vorzügen der Technologie überzeugen.“ Diese Vorgehensweise ist auch nach Einschätzung der anderen Anbieter von IPA-Lösungen zu bevorzugen, speziell seitens kleinerer Unternehmen.

Keine zu hoch gesteckten Ziele anstreben

Eine solche Politik der kleinen Schritte ist auch aus weiteren Gründen ratsam. Sie verhindert, dass durch überzogene Zielvorgaben IPA-Projekte scheitern und Unternehmen dadurch die Chance vergeben, von den Vorzügen einer intelligenten Prozessautomatisierung zu profitieren. Denn gerade in vielen mittelständischen Unternehmen dürfte ein Budget für weitere Testläufe in diesem Bereich nicht ohne Weiteres zur Verfügung stehen.

Worauf bei IPA-Projekten zu achten ist

Wer bei der Einführung von Intelligent Process Automation zu nachlässig agiert, wird nicht die erwünschten Erfolge erzielen. Hier einige der Punkte, die Anwender beachten sollten:

Visionen und Strategie entwickeln: „Vor dem Start eines Programms brauchen Unternehmen eine Strategie und Vision für die Intelligente Automatisierung, die vom Top-Management unterstützt und mit genauen Zielvorgaben definiert wird“, unterstreicht Tina Seuchter von SS&C Blue Prism. Der Schwerpunkt sollte nicht auf kurzfristigen taktischen Einsparungen liegen, sondern auf längerfristigen Zielen.

Fehlendes Know-how kompensieren: „Der Mangel an Know-how ist laut unserer Intelligent-Automation-Studie für die meisten Fachleute, sprich 44 Prozent, der kritische Faktor“, sagt Benedikt Bonnmann von Adesso. Der Grund ist, dass die IT-Abteilung unterschiedliche Technologien integrieren muss, um eine umfassende Automatisierung und Optimierung von Abläufen zu erreichen.

Keine Begrenzung auf einzelne Prozesse: „Oft ist es nur eine einzelne Abteilung, die eine Automatisierung anregt“, weiß Reinhold Engelbrecht von IBM. Es sei allerdings nicht zielführend, nur diesen einen Schritt zu automatisieren – ohne ganzheitlichen Blick. „Sonst kann es geschehen, dass ein Problem nur in eine andere Abteilung weiterwandert“, so Engelbrecht. Er rät dazu, mithilfe von Process-Mining zunächst eine umfassende Sicht auf die Prozessumgebung zu gewinnen.

Beschleunigung durch Einsatz von Analyse-Tools: Eine exakte Vorab-Analyse mit Task-Mining- und Process-Mining-Tools ist auch aus Sicht von SS&C Blue Prism erforderlich. „Die Daten können als Grundlage für die Automatisierung direkt in die Entwicklungsumgebungen übernommen werden“, so Tina Seuchter. Dies führe zu schnelleren Resultaten.

Permanente Evaluierung und Optimierung: Wichtig ist nach Erfahrung von IBM zudem, sich nicht mit dem Status quo zufriedenzugeben. Es sei vielmehr erforderlich, kontinuierlich die Ergebnisse von IPA zu überprüfen und durch Trainingsmaßnahmen zu verbessern.

Bedenken von Mitarbeitern und Widerstand gegen Wandel überwinden: Ein zentraler Punkt ist, Vorbehalte seitens der Mitarbeiter gegen die Automatisierung von Prozessen zu überwinden. Denn zumindest ein Teil der Beschäftigten verbindet damit den Verlust ihrer Arbeitsplätze.

Passende Organisation einführen: Eng mit dem vorherigen Punkt verknüpft sind laut Deloitte Faktoren wie die Anpassung der Organisations- und Arbeitsstruktur. Sie müssen darauf abgestimmt werden, dass bestimmte Prozesse automatisch ablaufen und häufiger Änderungen unterworfen sind. Daher sollten IT-Abteilung und Geschäftsbereiche enger zusammenarbeiten.

Kosten im Blick behalten: Laut einer Studie von Deloitte sollten Anwender außerdem eine realistische Einschätzung der Kosten von IPA-Projekten vornehmen. Solche Aufwendungen fallen beispielsweise für die Anschaffung und den Betrieb der Hard- und Software an, die Monitoring- und Process-Mining-Tools und die Compliance-Maßnahmen sowie beim Trainieren von KI- und Machine-Learning-Modellen.

Hinzu kommt, dass IPA ein Fachwissen erfordert, das sich IT-Experten in Unternehmen erst aneignen müssen. Mangelndes Know-how gilt denn auch als eines der größten Hemmnisse bei der Einführung von intelligenter Prozessautomatisierung: „Laut unserer Intelligent-Automation-Studie ist für 44 Prozent der Fachleute in Unternehmen das fehlende Know-how der kritische Faktor“, bestätigt Benedikt Bonnmann.

„Auch wenn in den vergangenen Jahren die Befürchtung geäußert wurde, intelligente
Automatisierung könne Arbeitsplätze vernichten, so ist diese Technologie heute überlebenswichtig für den Betrieb von Unternehmen.“

Tina Seuchter – VP Central & Northern Europe bei SS&C Blue Prism

Nötigenfalls können und sollten Anwender auf externe Expertise zurückgreifen, etwa von IT-Dienstleistern, die über ein solides Fachwissen in den Bereichen RPA, Prozessanalyse, KI und Process Automation verfügen. Zudem können solche Spezialisten bei der Integration der IPA-Plattform in die bestehende IT-Umgebung unterstützen.


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