Die sechs Punkte einer guten Digitalisierungsstrategie

Eine digitale Strategie muss sechs Strategiefelder berücksichtigen, um eine erfolgreiche Transformation des Unternehmens zu starten: Kunden, Wettbewerb, Daten, Innovationen, Werte und methodische Skills. Lesen Sie, worauf es dabei ankommt. [...]

Strategisches Denken und Handeln ist von jeher die Königsdisziplin des modernen Managements. Mit der Digitalisierung vernetzen sich die Fach- und Technologiebereiche der Unternehmen in einer nie dagewesenen Dichte. Das erhöht auch die Komplexität der Zusammenarbeit sowie der Produkte und Dienstleistungen, die für die Kunden entstehen. Die Änderungsdynamik steigt ebenso wie die Ansprüche der Kunden. Etablierte Unternehmen müssen sich mit kleinen wendigen Startups messen, die ihre Geschäftsmodelle bedrohen. Dabei ist die digitale Transformation der Wandel, den Unternehmen gestalten müssen, um die Digitalisierung zu meistern. Am Anfang der digitalen Transformation steht die Strategie zur Digitalisierung. Es gibt sechs Ankerpunkte, die eine gute Digitalstrategie ausmachen.
Den Kunden in den Mittelpunkt stellen
Der Kunde ist König! Dieser Spruch mag abgedroschen sein, aber er ist richtig. Digitale Produkte und Dienstleistungen müssen sich an den Bedürfnissen des Kunden ausrichten, sonst werden sie scheitern. Heute sind Kunden vernetzt, agieren überregional, tauschen sich zu Produkten aus. Meinungsbildung findet im Internet statt und kann über Wohl und Wehe von Produkten und Dienstleistungen entscheiden. Dabei gerät eine neue Generation von Kunden in den Fokus der Firmen: die Digital Natives. Kaufkraft und ein hohes Anspruchsdenken kennzeichnen diese Kundengruppe. Digital Natives sind selbstbestimmt, gut ausgebildet und aufgeschlossen. Sie erwarten einen umfassenden Kundenservice und auch Self-Service-Angebote. Diese Kunden sind auch nicht mehr passiv wie früher, sie wollen sich an der Produktgestaltung beteiligen und daran mitwirken, neue Werte zu schaffen, sei es gegen ein Entgelt oder nur zum Spaß. YouTube etwa bietet für Millionen selbsternannte Regisseure – nicht nur von Katzenvideos – eine Plattform, auf der ihre Videos bereitgestellt und bewertet werden können. Die Anerkennung aus dem Netz ist diesen Menschen Lohn genug. Teilen, Bewerten, Mitgestalten, Zusammenarbeiten und Individualisieren: Diese neuen Kundenbedürfnisse gilt es zu berücksichtigen, um Kunden für ein Produkt zu gewinnen.
Darum gehört es zu jeder Digitalstrategie, den Kunden einzubeziehen. Die Strategie muss Antworten auf die Fragen enthalten, wie Kunden ihrem Wusch nach Mitgestaltung und Selbstbestimmung nachkommen können und wie die Dienstleistungen zum Produkt gestaltet sind.
Werte schaffen
Wer nicht als Anbieter von digitalem Edelschrott enden will, muss sich über werthaltige Angebote Gedanken machen. Die wirklich erfolgreichen Unternehmen schaffen es, Kundenbedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen und diese optimal zu unterstützen und zu befriedigen. Diesen Wandel hin zur Befriedigung der Kundenbedürfnisse bekommen gerade die Automobilhersteller zu spüren. Während früher bereits der Besitz eines Fahrzeugs das Ziel vieler Kunden war, wird heute das Mobilitätsbedürfnis immer wichtiger. Angebote aus Carsharing, Mietfahrrädern, der Bahn oder Mitfahrzentralen können Kunden heute mitunter mehr Flexibilität bieten als früher das teuer erworbene Auto. Produkte und Dienstleistungen, die dem Kunden angeboten werden sollen, müssen für ihn also einen Nutzen entwickeln oder ein spezifisches Problem auf eine besondere Weise lösen. Diese Wertversprechen müssen beim Kunden zünden, damit ein Geschäftsmodell erfolgreich wird. Trotzdem sind solche Wertversprechen nur von zeitlich begrenzter Haltbarkeit – dann müssen erneut Innovationen her.
In der digitalen Strategie ist ein klares Wertversprechen formuliert – es stellt die Basis für das Geschäftsmodell dar. Das anfängliche Wertversprechen ist ein Startpunkt, es kann sich aber im Laufe der Zeit und mit den Erfahrungen aus dem Kundenfeedback durchaus stark wandeln.
Innovativ sein
Klingt einfach, ist es aber nicht. Innovation – und erst recht eine erfolgreiche – lässt sich nicht planen. Viele sogenannte Innovationen haben es gar nicht bis auf den Markt geschafft, geschweige denn, dass sie ihre Entwicklungskosten eingespielt hätten. Innovationen basieren auf Hypothesen. Innovation ist heute ein Prozess, der Ideen in vermarktbare und monetarisierbare Produkte umwandelt. Dabei trifft die erste Idee längst nicht immer ins Schwarze. Mit klugen Experimenten lassen sich aber regelmäßig neue Erkenntnisse gewinnen, die in Produktanpassungen einfließen können.
Der Schöpfer bahnbrechender Innovationen ist nicht mehr der einsame Erfinder, sondern das intelligent zusammengestellte Team. Die erfolgreichen Firmen von heute lernen ständig daraus, wie ihre Kunden die Produkte und Dienstleistungen nutzen. Es ist essentiell, immer wieder Hypothesen aufzustellen, auszuprobieren und zu bewerten. Produkte werden kontinuierlich verändert und angepasst, neue und bestehende Zielgruppen werden unterschiedlich adressiert. Mit der Digitalisierung entstehen ungeahnte Möglichkeiten, Daten zu sammeln, sie für Innovationen auszuwerten und in werthaltige Angebote für den Kunden umzuwandeln.
Die Digitalstrategie enthält deshalb auch eine klare Positionierung zur Entwicklung von Innovationen. Gute Methoden und ein Prozess, der sowohl stringent als auch flexibel ist, ermöglichen es, Innovationen zu entdecken und auszuwerten.
Durch Daten über den Kunden lernen
Digitale Vorhaben leben davon, Daten in großen Mengen auszuwerten. So lassen sich Erkenntnisse über das Kundenverhalten, aber auch über interne Prozesse gewinnen, um damit Produkte zu verbessern oder ganze Geschäftsmodelle zu steuern. Der Wert der Daten und ihrer Analyse ist vielen Unternehmen heute noch nicht klar. Ungeheure Schätze schlummern in den Datenbanken und Servern der Unternehmen, ohne genutzt zu werden.
Dabei darf man nicht nur die im eigenen Unternehmen gesammelten Daten betrachten – auch Daten, die die Partner ermitteln, können wertvoll sein. Wenn nicht wertvoller, weil vielleicht nur der Partner den direkten Kontakt zum Kunden hält. Es ist deshalb sinnvoll, für Verträge mit Partnern Klauseln darüber zu entwickeln, welche Daten ausgetauscht werden sollen. Zudem lässt sich die Datenbasis auch durch öffentlich zugängliche Datenquellen ergänzen. Datengetriebene Prozesse ermöglichen akkurate Empfehlungen, klare Segmentierungen der Kundengruppen und Hilfen bei der Entscheidung für ein komplexes Produkt – und eröffnen so einen wirtschaftlichen Vorteil für das Unternehmen oder einen Nutzen für seinen Kunden.
Eine Digitalstrategie muss daher eine klare Aussage zur Daten-Strategie enthalten. Dazu gehört es, vorhandene Daten zu bewerten und einen Ausblick auf Daten zu geben, die in Zukunft erhoben, genutzt und gegebenenfalls monetarisiert werden können.
Die Wettbewerbsstrategie neu ausrichten
Die Digitalisierung erlaubt völlig neue Geschäftsmodelle. Etwa solche, die sich durch Netzwerkeffekte – meist durch das Internet ermöglicht – ergeben. Plattformmodelle gestatten es beispielsweise, mehrseitige Märkte durch Vermittlungsdienstleistungen zu bedienen. Monetarisiert wird hier nur noch die kluge Zusammenführung von zwei oder mehreren Marktteilnehmern. Aber auch Freemium-Modelle, bei denen das Basis-Produkt kostenlos ist, sind dank verringerter Grenzkosten (die Kosten für die Replikation eines Produkts) möglich geworden. Viele weitere Muster für Geschäftsmodelle können in der Digitalisierung eine Rolle spielen. Die neuen Geschäftsmodelle erfordern es auch, die Wettbewerbsstrategie zu überdenken. Während sich die Welt früher leicht in schwarz oder weiß einordnen ließ – also in Konkurrent oder Partner -, ist sie heute bunt. Die Wettbewerber eines Unternehmens können in einigen Bereichen tatsächlich Konkurrenten sein, während sie in anderen Bereichen vielleicht kooperieren. Wenn ein Markt für einen Anbieter zu klein und deshalb wirtschaftlich uninteressant ist, kann sich dies durch die Partnerschaft mit einem Wettbewerber ändern. Frei nach dem Motto: „growing the pie“ im ersten Schritt und „dividing the pie“ im Zweiten.
Die digitale Strategie für die Geschäftsmodelle berücksichtigt die bestehende Wertschöpfungskette – und ergänzt sie. Die Potenziale der Wettbewerbskooperationen werden neu ausgerichtet. Dabei gilt es, auch bisher undenkbare Situationen zu beleuchten.
Sich des kulturellen Wandels im Unternehmen bewusst sein
Neue Geschäftsmodelle, Innovationen, die Altes über den Haufen werfen, die Wertverschiebung hin zu einem Data Driven Business, ein anderes Verhältnis zum Kunden: All dies rüttelt üblicherweise an fast allen Grundfesten eines Unternehmens. Zudem lässt eine digitale Transformation nicht viel Zeit, sich auf Veränderungen einzustellen. Während in einem Startup alle von Beginn an wissen, wie sie mit den Herausforderungen der Digitalisierung umzugehen haben, bedeutet die digitale Transformation für ein etabliertes Unternehmen große Umwälzungen. Die Strategie muss diese Auswirkungen auf die Mitarbeiter und den erforderlichen Kulturwandel einbeziehen. Auch neue Mitarbeiter und die Anforderungen an die Personalentwicklung sind einzuplanen. Zum kulturellen Wandel, durch den eine digitale Transformation erfolgreich wird, gehören die folgenden Aspekte:
  • Agile Prinzipien von der Entwicklung bis ins Management: Die Anpassung an veränderte Marktbedingungen, Kundenbedürfnisse, Regularien und Wettbewerbsangebote erfordert Schnelligkeit im Handeln. Aktionismus allerdings hilft hier nicht weiter, sondern führt ins Verderben. Es gilt, agile Prinzipien zu etablieren, um Veränderungen Rechnung zu tragen und bewegliche Ziele erreichen zu können.
  • Positive Fehlerkultur: Fehler zuzulassen und aus ihnen zu lernen, ist die Grundlage für eine Kultur der Neugier, und es sorgt für den Innovationsgeist, der in der Digitalisierung nötig ist.
  • Bereichsübergreifende Zusammenarbeit von Wissensarbeitern: Die digitale Transformation macht es auf vielen Ebenen erforderlich, äußerst komplexe Probleme zu lösen. Vielen Experten haben sich daran zu beteiligen, und es ist notwendig, deren Zusammenarbeit effizient und effektiv zu gestalten.
  • „Co-Opetition“ – mal Freund, mal Feind: Der Begriff beschreibt die Dualität von Kooperation und Konkurrenz. Immer öfter werden Partnerschaften mit Konkurrenten notwendig, und Netzwerke etablieren sich. In gewissen Aspekten arbeitet man zusammen, in anderen konkurriert man weiter. Die Arbeitsteilung zwischen dem eigenen und den Partnerunternehmen zu gestalten, ist deshalb ein wichtiger Bestandteil des kulturellen Wandels.
Die kulturelle Neuausrichtung des Unternehmens darf in dessen Strategie für eine digitale Transformation nicht fehlen. Der Kulturwandel betrifft viele, wenn nicht alle Mitarbeiter des Unternehmens, und es wird nötig sein, etliche Gewohnheiten zu verändern. Die kulturelle Neuausrichtung wird darum viel Zeit und Fingerspitzengefühl erfordern.
Fazit
Diese sechs Felder der Digitalisierungsstrategie sind keine in sich abgeschlossenen Bereiche. Sie greifen stark ineinander, und es ist eine sorgfältige Choreografie erforderlich, um die Strategie umzusetzen. Daten unterstützen die Bewertung von Innovationen, welche die Kundenbedürfnisse besser befriedigen, woraus wiederum ein neues, erfolgreicheres Geschäftsmodell entsteht. Viele gewohnte Dinge werden in Frage gestellt, etwa schon dadurch, dass Daten abteilungsübergreifend ausgewertet werden müssen. Schnell stößt man bei der Entwicklung der Digitalisierungsstrategie auch an kulturelle oder organisatorische Schranken. Deshalb ist es notwendig, schon im Prozess der Strategieentwicklung die Begrenzungen transparent zu machen, um sie bei der Umsetzung der Strategie nicht als dauerhafte Fesseln mitzuschleppen.
Die digitale Strategie ist der Ausgangspunkt für die digitale Transformation – ein Veränderungsprozess, der die Unternehmen vor ein ganzes Bündel an Herausforderungen stellt. Neue Fähigkeiten und Zusammenarbeitsmodelle entstehen und tragen der extremen Beschleunigung Rechnung. Abteilungsgrenzen verschwimmen, komplexere Aufgabenstellungen sind zu bewältigen, neue Führungsmodelle entstehen. Elfenbeintürme mit langfristiger Forschung und Innovation verlieren an Bedeutung, weil die Zeithorizonte sich extrem verkürzen. Stattdessen werden agile Arbeitsprinzipien immer wichtiger. Nicht selten sichern sie das Überleben von etablierten Unternehmen, weil diese sich erst dadurch – ähnlich wie in Darwins Theorie – schnell an veränderte Bedingungen anpassen können: Survival of the fittest.
Es überrascht nicht, dass diese Veränderungen auch eine neue Art Manager erfordern. Der Begriff des Digital Leadership beschreibt diesen Typus des agilen Managers, der mit netzwerkartigen Wissenskulturen ständig Neues schaffen kann und der die (nicht nur) digitalen Bedürfnisse seiner Kunden und Mitarbeiter kennt. Er wird eine Kultur von Finger-pointing und Schuldzuweisung in eine Kultur des Experimentierens und Lernens verwandeln.
Der agile Manager fordert seine Mitarbeiter dazu auf, regelmäßig gewohnte Dinge im Unternehmen in Frage zu stellen. Nur wer eine gute, lebendige und fortwährend angepasste digitale Strategie hat, wird langfristig wettbewerbsfähig bleiben und nachhaltig Kunden für sich gewinnen. Die bloße Entwicklung einer Strategie reicht deshalb nicht aus. Letztlich kommt es darauf an, in die Digitalstrategie einen Prozess einzubauen, der für ihre regelmäßige Bewertung und Neuausrichtung sorgt.
Literaturnachweise
The Digital Transformation Playbook: Rethink Your Business for the Digital Age, David L. Rogers, 2016.
Geschäftsmodelle entwickeln: 55 innovative Konzepte mit dem St. Galler Business Model Navigator, Oliver Gassmann, Karolin Frankenberger, Michaela Csik, 2013.
* Dietmar Matzke ist Management Consultant bei Cassini Consulting.

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