Die ukrainische Wirtschaft trotzt dem Krieg

Wie der ukrainische IT-Sektor online und im Geschäft bleibt: Die Rolle von Starlink und mobilen Powerbanks. [...]

K&C übernimmt für die ukrainischen IT-Spezialisten auch die Kosten für die Starlink-Internetverbindung. (Quelle: K&C)

Apps, die Sie ganz beiläufig nutzen, könnten von der Arbeit ukrainischer IT-Spezialisten abhängen. Tagtäglich besuchen Fachleute aus unzähligen Bereichen die oft glamourösen Branchenevents der verschiedenen Unternehmen unter dem Dach von Informa, dem FTSE 100- und weltweit größten Veranstaltungsunternehmen.

Die digitale Infrastruktur, die hinter solchen Events steckt, ist den Teilnehmenden jedoch nur selten wirklich bewusst. Noch weniger werden sie sich darüber Gedanken machen, dass diese Infrastruktur womöglich von IT-Spezialisten aufgebaut und gewartet wird, die ihrer Arbeit inmitten eines Kriegsgebietes nachgehen müssen – ein Krisengebiet, in dem noch immer regelmäßig Raketen weit hinter der Frontlinie einschlagen und wichtige Infrastrukturen zerstören.

Ukrainische Kraftwerke, Stromnetze und Telekommunikation sind häufige Ziele dieser Raketenangriffe, mit denen die Bevölkerung physisch wie psychisch zermürbt werden soll, besonders im tiefen Winter.

Bevor Russland im Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, gab es dort rund 300.000 IT-Spezialisten, von denen bis zu 200.000 direkt oder indirekt bei westlichen Unternehmen beschäftigt waren. Einige Einwohner, davon überwiegend Frauen, haben das Land verlassen.

Männer bis zum Alter von 60 Jahren werden hingegen durch das Kriegsrecht an der Flucht gehindert. Zudem sind zahlreiche Männer der Armee freiwillig beigetreten, darunter rund zwei Prozent der IT-Spezialisten des Landes, wie in einer im März dieses Jahres veröffentlichten Umfrage des IT-Branchenverbands IT Association Ukraine deutlich wird.

Darüber hinaus sind fünf Prozent für die ukrainischen Cyberkräfte tätig und eine Gruppe von weiteren 16 Prozent, die hauptsächlich aus Frauen besteht, setzt ihre Arbeit aus dem Ausland fort.

Insgesamt wird in der Studie davon ausgegangen, dass ganze 85 Prozent der ukrainischen IT-Spezialisten, die vor dem Einmarsch Russlands aktiv im IT-Sektor gearbeitet haben, dies auch weiterhin tun. 70 Prozent gehen ihren Tätigkeiten in den westlichen und zentralen Teilen der Ukraine nach, die als sichere Regionen gelten – „sicher“ ist in einem Kriegsgebiet jedoch ein relativer Begriff.

IT-Spezialisten sind gegen Strom- und Internetausfälle gewappnet

Es gibt einen wichtigen Faktor, der dem ukrainischen IT-Sektor in die Hände spielt: Die meisten IT-Spezialisten des Landes – besonders diejenigen, die für westliche Unternehmen arbeiten – können ihrer Tätigkeit standortunabhängig nachgehen. Schon vor dem Einmarsch der russischen Streitkräfte hatte die Covid-19-Pandemie dazu geführt, dass viele Büros aufgegeben und Betriebe vollständig auf Homeoffice umgestellt wurden.

Daher war der physische Standort der ukrainischen Fachkräfte für westliche Arbeitgeber bereits vor dem Krieg von relativ geringer Bedeutung. Es machte kaum einen Unterschied, dass viele ihren Arbeitsort von in größeren Städten wie Kiew und Charkiw gegen ein Homeoffice in kleineren Gemeinden, Dörfern und ländlichen Gebieten tauschten, wo die Gefahr durch Raketen- oder Granatenbeschuss geringer ist.

Weitaus problematischer ist die Tatsache, dass die Energie- und Kommunikationssysteme der Ukraine regelmäßig zum Ziel russischer Angriffe werden. Remote-Arbeit erfordert eine stabile Stromversorgung sowie Internetverbindung. Wenn IT-Spezialisten regelmäßig stunden- oder gar tagelang ohne Vorwarnung ausfallen würden, wären selbst die wohlwollendsten internationalen Arbeitgeber gezwungen, sich nach verlässlicheren Alternativen umzusehen.

Bisher war dies jedoch nicht notwendig, da die ukrainischen IT-Spezialisten ihre Zuverlässigkeit trotz der Herausforderungen des Krieges beibehalten haben. Michael Krusche, Geschäftsführer des in München ansässigen Nearshore-IT-Outsourcing-Anbieters Krusche & Company (K&C), rechnet vor, dass im Jahr 2022 nur zwei Prozent der abrechenbaren Stunden des Unternehmens durch kriegsbedingte Störungen verloren gingen.

Starlink, Powerbanks und Generatoren halten Code & Cash am Laufen

Die Verlässlichkeit der ukrainischen Exporte von IT-Dienstleistungen ist das Ergebnis einer Kombination aus Stoizismus, Entschlossenheit und Innovation. IT-Spezialisten in der Ukraine wie auch deren Arbeitgeber nutzen ihre beim Aufbau moderner Softwaresysteme erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse: Skills in professionellem Projektmanagement, Risikomanagement, Problemlösungsstrategien und Innovation werden nun auf die Herausforderung übertragen, inmitten eines Krieges zuverlässig arbeiten zu können.

Unternehmen, die IT-Dienstleistungen auslagern, konnten schon vor der Krisensituation Erfahrung darin sammeln, Daten und Cybersicherheit in entfernten Teams zu verwalten. Daher waren sie in der Lage, die Sicherheitsvorkehrungen problemlos an die Kriegsbedingungen anzupassen. Als sich die russischen Truppen in den Monaten vor der Invasion an der Landesgrenze sammelten, hatten die meisten Betriebe bereits Notfallpläne für die Cybersicherheit aufgestellt.

Das größere Problem war vielmehr die Frage, wie eine durchgehend stabile Internetverbindung der IT-Spezialisten im Home-Office gewährleistet werden sollte. Denn weite Teile des Strom- und Telekommunikationsnetzes wurden regelmäßig durch russische Raketenangriffe auf die zivile Infrastruktur unterbrochen.

Die Lösung fand sich letztlich in der Kombination einer Notstromversorgung, die bei einem Ausfall des Stromnetzes aktiviert werden kann, mit Starlink, dem satellitengestützten Internetdienst von Elon Musk. Die Starlink-Konnektivität erwies sich für die ukrainischen Streitkräfte bei der Verteidigung ihres Landes als ausgesprochen nützlich, da es den Angreifern quasi unmöglich war, Kommunikationsstrukturen gänzlich zu unterbrechen.

Zusätzlich trug das satellitengestützte System allerdings auch zur Aufrechterhaltung der Arbeit des ukrainischen Technologiesektors bei.

K&C unterstützt ihre ukrainischen IT-Spezialisten

Ukrainische IT-Spezialisten müssen bei Schäden an der herkömmlichen Infrastruktur oft stunden- bis tagelang offline auf eine Reparatur warten. Mit Zugang zu einer Starlink-Satellitenschüssel gehören diese Sorgen jedoch der Vergangenheit an. Der Kaufpreis von 700 US-Dollar sowie die alternativen monatlichen Kosten für ein Abonnement, die sich auf 75 US-Dollar belaufen, sind für viele erschwinglich – zumal einige Arbeitgeber diese zusätzlichen Aufwendungen bezuschussen oder gar gänzlich übernehmen.

Eine Starlink-Satellitenschüssel vor dem Coworking Space, den DevOps-Ingenieur Denis Grigoryev in Sumy, Ukraine, gemietet hat. (Quelle: K&C)

Dies gilt auch für den DevOps Ingenieur Denis Grigoryev und den QS-Spezialisten Volodymir Andrusenko. Beide sind bei K&C angestellt und arbeiten derzeit an einem Projekt von Informa. Dort sind sie für eine der zahlreichen vom Unternehmen entwickelten Apps verantwortlich und sorgen dafür, dass diese jederzeit online ist sowie reibungslos funktioniert.

Grigoryev hat seinen Job trotz des Krieges beibehalten und arbeitet in einem kleinen Büro, das er mit ein paar Freunden in der ukrainischen Stadt Sumy gemietet hat. Andrusenko wohnt hingegen in einem eher ländlich gelegenen Haus rund 100 km von der Hauptstadt entfernt.

Trotz der ständigen Bedrohung durch Russland, das direkt an die Region Sumy grenzt, loggt sich Grigoryev weiterhin zuverlässig acht Stunden täglich an fünf Tagen pro Woche ein, um die digitale Infrastruktur von Informa am in Betrieb zu halten. Andrusenko schafft das Gleiche von seinem etwas abgelegeneren Wohnort aus.

Möglich ist dies, da Gryg Polinovski, Betriebs- und Sicherheitsleiter bei K&C, den beiden IT-Spezialisten wiederaufladbare Akkus aus Deutschland zur Verfügung stellt. Polinovski ist ebenfalls Ukrainer, lebt aber bereits seit mehreren Jahren in Deutschland. Er betreut das Projekt, zahlreiche Powerbanks über Polen in die Ukraine zu liefern und an die im Land verstreuten K&C-Mitarbeiter zu verteilen, als logistischer Organisator.

Denis Grigoryev zeigt zusammen mit einem seiner Freunde, mit denen er sich das gemietete Büro in Sumy teilt, und dem vierbeinigen Büromaskottchen eine der aus Deutschland geschickten Powerbanks. (Quelle: K&C)

Das Unternehmen übernimmt auch die Kosten für die Starlink-Internetverbindung. Grigoryev und Andrusenko ergreifen zusätzlich ihre eigenen Vorkehrungen und haben sich beispielsweise Dieselgeneratoren angeschafft.

Diese kommen zum Einsatz, wenn das Stromnetz für einen längeren Zeitraum ausfällt als die Powerbanks die Energieversorgung der Laptops, Monitore sowie des Satelliteninternet aufrechterhalten können.

Was bringt die Zukunft für den ukrainischen IT-Sektor und seine zuverlässigen Spezialisten?

Die Möglichkeit, ihre Arbeit fortsetzen zu können, ist für IT-Spezialisten wie Grigoryev und Andrusenko nicht nur in finanzieller Hinsicht enorm wichtig. Die Widerstandsfähigkeit des IT-Sektors ist auch für die gesamte ukrainische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Wenn der Krieg in der Ukraine noch länger andauert, werden der IT-Sektor und die Fachkräfte des Landes unweigerlich enormem Druck ausgesetzt.

Es mag zwar sein, dass bestehende Arbeitgeber und Kunden von der anhaltenden Zuverlässigkeit der ukrainischen Fachkräfte begeistert sind. Aber werden die ukrainischen Spezialisten auch bei neuen Projekten, für die Nearshore-IT-Teams benötigt werden, ganz oben auf der ihrer Liste der Talentpools stehen?

Dies ist trotz der Widerstandsfähigkeit des Sektors eine berechtigte Frage. Der weltweite Mangel an technischen Fachkräften dürfte dazu führen, dass ukrainische Talente weiterhin Beschäftigungsmöglichkeiten im Ausland finden.

Für neu qualifizierte Fachkräfte könnte es jedoch schwieriger werden, die ersten Sprossen der Karriereleiter zu erklimmen und von dort aus weiter aufzusteigen. Dies wäre überaus tragisch, sofern die jungen Arbeitskräfte auch nur ansatzweise die umfassenden Qualifikationen und das Durchhaltevermögen ihrer Vorgänger vorweisen: jener hunderttausender ukrainischer IT-Spezialisten, die dank Satelliteninternet und Stromgeneratoren noch immer zuverlässig und professionell die digitale Wirtschaft des Westens am Laufen halten – und das, während aus dem Osten weiterhin russische Raketen herabregnen.

*John Adam ist Marketing Manager bei Krusche & Company (K&C)


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