Die EU-Kommission hat sich gegenüber Amazon durchgesetzt - gut für sie. Aber wie sieht die Umsetzung aus? Welche Auswirkungen hat eine zweite Buy Box auf Amazon Advertising? Offen bleibt auch die Frage, wie die EU die Einhaltung der guten Vorsätze überprüfen will. [...]
Nach mehr als drei Jahren zäher Verhandlungen hat sich Amazon nun also der EU-Kommission gebeugt: Um eine empfindliche Wettbewerbsstrafe abzuwenden, gibt sich der E-Commerce-Riese zum Einlenken bereit.
Das sind erst einmal gute Nachrichten – für die Branche, aber auch für die EU, die E-Commerce-Teilnehmer ja gerne mal für ihre langwierigen, gewundenen Entscheidungsprozesse und übereifrigen Regularien belächeln.
Die Einführung einer neuen Buy Box sowie Amazons Zusicherung, in Zukunft die nicht öffentlich einsehbaren Daten von Dritthändlern nicht mehr für die Steuerung seines eigenen Geschäfts zu verwenden (was in sich das Eingeständnis trägt, dass dies entgegen aller anderslautenden Beteuerungen wohl doch gängige Praxis war), zeigen: Die EU hat durchaus eine Chance gegen die GAFAs dieser Welt, wenn sie sich ordentlich und tiefgehend mit dem Thema befasst und hartnäckig bleibt.
Mitte 2019 hat EU-Wettbewerbshüterin Margrete Verstager die Untersuchung gegen Amazon gestartet, um Vorwürfe, die von Sellern schon jahrelang geäußert wurden, zu prüfen. Mehr als drei Jahre später kommen jetzt die Zugeständnisse von Amazon.
Das ist ein guter Anfang. Die eigentliche Arbeit beginnt aber jetzt. Und den meisten Stress damit werden Seller, Vendoren und ihre Amazon-Agenturen haben.
Es bleiben viele Fragen offen
Was die Zugeständnisse von Amazon, speziell in Sachen zweite Buy Box, in der Praxis wirklich wert sind, hängt vor allem von der konkreten Umsetzung ab.
Und hier herrscht noch Ratlosigkeit. Zwar findet sich in den Untiefen der EU-Pressemitteilungen in einem PDF sehr versteckt ein Mockup, mit dem Amazon vorgestellt hat, wie eine zweite Buy Box möglicherweise aussehen könnte; zudem konnten in den letzten Monaten immer wieder Testseiten entdeckt werden, die zwei oder mehrere Angebote in der Buy Box vorschlagen und direkt in den Warenkorb gelegt werden konnten. Aber wie das Format im Juni tatsächlich umgesetzt wird, ist noch unbekannt.
Wie werden die Unterschiede zwischen den Angeboten kommuniziert? Gelten für den Gewinn der zweiten Buy Box die gleichen Regeln wie für die erste? Können hybrid agierende Brands – also Hersteller, die sowohl im Vendor- als auch im Seller-Programm aktiv sind – beide Buy Boxen für sich gewinnen, einmal als Vendor und einmal als Seller? Und unter welchen Voraussetzungen gibt es überhaupt eine zweite Buy Box?
Viele Fragen bleiben auch beim Amazon Advertising offen. Kann in Zukunft getrackt werden, ob ein Angebot Buy Box 1 oder 2 für sich gewonnen hat? Wie sieht die Sales-Attribution zwischen den beiden Boxen aus?
Und wer überprüft das eigentlich alles?
Auch die Frage nach möglichen Schlupflöchern für Amazon muss gestellt werden: Zwar droht die EU-Kommission bei Nicht-Einhaltung der Zugeständnisse mit Strafzahlung in Höhe von zehn Prozent der Jahresumsätze; aber wie will die EU die Einhaltung überprüfen? Verlässt man sich hier auf Klagen von Seller-Seite? Wird Amazon stichprobenartig geprüft?
Diese Frage ist für die zweite Buy Box ebenso offen wie für das Versprechen von Amazon, sich künftig nicht mehr an nicht-öffentlichen Seller-Daten zu vergreifen.
Und dass allzu lockere Selbstverpflichtungen von GAFAs in der Regel nur so mittel funktionieren, wissen sämtliche Preisvergleicher aus schmerzlichen Auseinandersetzungen mit Google Shopping: Auch diesem Marktplatz hat die EU-Kommission schon mehrfach auf die Finger geklopft. An dessen Stellung im Markt und seinem Geschäftsgebaren hat sich dadurch bisher nur wenig geändert.
Hoffen wir, dass die Zugeständnisse von Amazon für den Markt von größerem Wert sind.
*Ingrid Lommer ist die Plattform-Expertin der INTERNET WORLD-Redaktion. Sie behält Online-Marktplätze in Deutschland, Europa und der Welt im Blick, verfolgt die aktuellsten Änderungen auf dem Amazon-Marktplatz und späht mögliche Verfolger aus – weshalb sie auch Marktplatz-Anwandlungen von TikTok, Shopify oder Meta hochspannend findet. Ihre Expertise vertieft sie alle zwei Wochen beim Talk mit Valerie Dichtl im Podcast-Format „Let’s talk Marketplace“. Natürlich ist sie deshalb auch Ansprechpartner Nummer 1, wenn es um die Ausgestaltung von Plattform-Themen auf den Events ihres Verlags geht. Dabei liegt ihr besonders der Austausch und das Networking innerhalb der Community der „Marktplatz-Menschen“ am Herzen.
Be the first to comment