Von Chatbots bis hin zum Roboter-Hotelpagen: Künstliche Intelligenz und Machine Learning revolutionieren die Art und Weise, wie Menschen reisen. Beruflich wie privat. [...]
Am 9. April 2017 wurde ein zahlender Passagier gewaltsam aus einer Maschine von United Airlines entfernt, nachdem er sich geweigert hatte, das Flugzeug freiwillig zu verlassen. Der Hintergrund: Der Flug war überbucht, vier Plätze mussten für die Unterbringung der Crew geräumt werden. Im Nachgang wurden über soziale Netzwerke weitere, ähnlich gelagerte Fälle bekannt.
Diese Geschehnisse führten in der Öffentlichkeit zu Diskussionen über blinden Gehorsam, die Rechte von Flugpassagieren – und nicht zuletzt auch über die Führungsetage der US-Airline. Darüber hinaus sollte man sich aber auch die Frage stellen, ob der Einsatz von Künstlicher (KI) die peinlich-schädliche Ereigniskette hätte verhindern können.
Machine Learning (ML) und KI beeinflussen viele Geschäftsfelder und Branchen bereits ganz erheblich. Und auch die Reiseindustrie ist reif für KI-Interventionen, wie Param Singh, Professor für Business Technologies an der Tepper School of Business, weiß. Wir sagen Ihnen, inwiefern Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen in der Zukunft Ihre Privat- und Geschäftsreisen beeinflussen werden.
Schluss mit Überbuchungs-Dramen
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz hätte dabei helfen können, das United-Airlines-Drama zu verhindern. Davon ist zumindest Henry H. Harteveldt, President der Atmosphere Research Group, überzeugt: „Zumindest in der Theorie hätte die KI eine frühzeitige Warnung ausgegeben, dass ein Überbuchungsproblem besteht. So hätte die Airline mehr Zeit gehabt, um eine Lösung zu finden“.
Am Tag des Fluges hätte die KI außerdem auf Grundlage von Profildaten analysieren können, welche Passagiere am ehesten bereit sind, ihren Reiseplan kurzfristig zu ändern. Ein jüngerer Passagier wäre zum Beispiel unter Umständen empfänglicher für einen Reisegutschein gewesen und hätte eventuell weniger Probleme damit gehabt, seine Pläne kurzfristig zu ändern, als der letztendlich aus dem Flugzeug beförderte David Dao. Der 69-jährige Arzt wollte aufgrund eines Termins schnellstmöglich in seine Praxis zurückkehren.
Personalisierte Services
In manchen Fällen kommt Künstliche Intelligenz in der Reiseindustrie bereits zur Anwendung. Zum Beispiel wenn es um Chatbots für die Reisebuchung oder persönliche Reiseassistenten geht. Oder auch KI-basierte Apps, die bei der Reiseplanung unterstützen.
„Die in diesem Bereich im Einsatz befindlichen KI-Lösungen fußen im Wesentlichen auf der Machine-Learning-Technologie“, erklärt Singh. „Durch große Mengen von persönlichen Daten können ausgeklügelte Algorithmen Ihre Bedürfnisse vorhersagen und entsprechende Lösungen anbieten. Hier werden also in einem ersten Schritt Funktionen automatisiert, die normalerweise von Menschen übernommen werden.“
Mit der nächsten Welle von Applikationen seien maßgebliche Verbesserungen für die Reise- beziehungsweise Kundenerfahrung zu erwarten, so Singh: „Diese Systeme werden die Fähigkeit besitzen, enorme Datenmengen zu analysieren und auszuwerten. Auf dieser Grundlage werden sie Lösungsvorschläge unterbreiten können, die ein durchschnittlicher, menschlicher Mitarbeiter in der Reiseindustrie – rein kognitiv – gar nicht zur Verfügung stellen kann.“
Auch Sumit Gupta, KI-Experte bei IBM, sieht für die Künstliche Intelligenz auf Dienst- und Geschäftsreisen eine rosige Zukunft. Seiner Meinung nach wird die Branche Machine Learning und KI zunehmend dazu nutzen, um mehr über die Gewohnheiten und Bedürfnisse ihrer Kunden zu erfahren. Das Ziel sei es, bessere, Personalisierte Services anbieten zu können. „Freuen Sie sich auf den Tag, an dem Sie im Flugzeug Platz nehmen und die Stewardess bereits weiß, welches Mischverhältnis Ihr Gin-Tonic aufzuweisen hat. Wenig später werden Sie an der Hotelrezeption namentlich begrüßt – Gesichtserkennungs-Software sei Dank. Und beim Betreten Ihres Zimmers läuft auch schon das Fussball-Highlight unter Beteiligung Ihrer Lieblingsmannschaft.“
Auch Wayne Thompson, Chief Data Scientist beim Softwareanbieter SAS, hat bereits ganz konkrete Vorstellungen davon, wie die KI-gestützte Dienstreise der Zukunft aussehen könnte: „Sagen wir, Sie haben ein wichtiges Kundengespräch in Los Angeles und haben bereits die Nachricht erhalten, dass Ihr Flug planmäßig starten wird. Es ist ein Montagmorgen – also herrscht Rushhour am Flughafen und Sie sind naturgemäß viel zu spät dran. Deswegen machen Sie sich auch langsam Sorgen darüber, ob Sie in der überfüllten Parkgarage rechtzeitig einen Platz finden. Gut, dass Ihr Navigationssystem einschreitet und Sie zum nächstgelegenen freien Parkplatz lotst. Das erledigt der Rechner im Fahrzeug mit Hilfe von Bilderkennungssoftware und ‚Convolutional Neural Networks‘, die eine Echtzeit-Analyse der Bilder ermöglichen. Die Fehlerrate liegt dabei bei etwa sechs Prozent – und weist damit einen geringeren Wert auf, als es das menschliche Auge tut.“
Nach dem Security-Check folgt die nächste Episode in Thompsons KI-getriebener Geschäftsreisen-Vision: „Sie haben Zeit gut gemacht und entschließen sich dazu, noch einen Kaffee zu trinken und etwas zum Lesen zu besorgen. Während Sie sich dem Buchladen nähern, werden Sie digital über besondere Vergünstigungen informiert – natürlich basierend auf Ihrem bisherigen Leseverhalten. An der Kasse erhalten Sie schließlich noch Gutscheine für Garten- und Oldtimer-Magazine. Das zugrundeliegende KI-System kennt nämlich auch Ihre Hobbies.“
Weitere Einsatzmöglichkeiten wären etwa eine schnelle, digitale Hilfeleistung für Passagiere, die sich verlaufen haben oder auch die automatische Analyse von Kundenfeedback in sozialen Netzwerken über Sentiment-Analysen.
Smartere Apps und Chatbots
Viele Softwareentwickler nutzen KI und Machine Learning bereits, um die Reiseerfahrung ihrer Kunden mit Hilfe von Apps zu erweitern. Wenn Sie zum Beispiel regelmäßig über das Reiseportal Kayak buchen, kennt die App oder der Web Service in der Regel Ihre bevorzugten Hotelketten und priorisiert diese entsprechend in den Suchergebnissen. Doch das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange wie Kayak-CTO Giorgos Zacharia preisgibt: „Wenn Sie auf Businesstrip in Paris sind und demnächst Regen angesagt ist, sorgt die Analyse von orts- und kontextbezogenen Daten dafür, dass Sie einen Alert erhalten, der Ihnen sagt, dass Sie losgehen sollten, wenn Sie den Eiffelturm noch im Trockenen ablichten wollen.“
Die seit 2016 erhältliche App „Lola“ bietet KI-basierte Chatbot-Funktionalitäten in Kombination mit der Unterstützung durch menschliche Reiseberater. CEO und Mitbegründer Paul English umriss die Mission seines Unternehmens im Gespräch mit „Skift“ mit den Worten: „Wir wollen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz eine Art übermenschlichen Reise-Consultant erschaffen, der mehr Reisen pro Stunde abwickeln und deutlich bessere Empfehlungen aussprechen kann, als es jeder menschliche Berater könnte.“
Die Hotelkette Radisson Blu bietet in zwölf Niederlassungen in Großbritannien – ebenfalls bereits seit 2016 – den interaktiven SMS- beziehungsweise Chatbot-Service „Edward“ an. Edward beantwortet Fragen zu Vorzugsangeboten und Örtlichkeiten nimmt auch das Feedback der Gäste entgegen.
Besserer Kundenservice
Das Hotelunternehmen Hilton setzt in seinen Support-Centern ebenfalls auf KI- und ML-getriebene Hilfe. Mit einer Softwarelösung aus dem Hause Mattersight will das Unternehmen künftig eine bessere Customer Experience verwirklichen.
Andy Traba, Data-Science-Experte bei Mattersight, klärt über Zweck und Nutzen der Software auf: „Wenn ein bereits bekannter Geschäftskunde in einem Hotel oder bei einer Airline anruft, sorgt unserer Software dafür, dass die persönlichen Daten und Vorlieben in weniger als fünf Sekunden analysiert sind. Tonfall, Sprechgeschwindigkeit, Grammatik und Syntax werden dabei vom Algorithmus mit einbezogen und anschließend mit den Daten von Millionen anderer Kundengespräche abgeglichen, um den User mit einem Call-Center-Agenten zu verbinden, der bestmöglich zu seiner Persönlichkeit und seinen Vorlieben passt.“
Integrierte Reiseplanung
Sowohl für den Facebook Messenger, als auch für Skype und Slack gibt es bereits ergänzende Tools für Dienst- und Privatreisen. Concur beispielsweise hat einen Chatbot für die Collaboration-App Slack veröffentlicht. „Über die Künstliche Intelligenz können die User weitere Informationen zu ihrer Reiseplanung abrufen und auch Reisekosten, beziehungsweise -ausgaben erfassen“, erklärt Tim MacDonald von Concur.
Das US-Softwareunternehmen arbeitet darüber hinaus auch mit Microsoft zusammen, um Reiseplanungs- und Reisekosten-Tools künftig auch in Outlook 365 zu integrieren. Die sollen dann direkt über die Outlook-Inbox abrufbar sein, wie MacDonald in Aussicht stellt. „Sobald Sie die Planung für Ihre Dienstreise Ihrem Outlook-Kalender hinzufügen, werden Sie sofort mit Buchungsoptionen versorgt. Geschäftsreisende werden die Möglichkeit haben, Flüge, Hotels und Transportmittel zu ihrer Zieldestination direkt zu buchen. Concur wird die Daten analysieren und – basierend auf den Reiserichtlinien des Unternehmens – Empfehlungen und Optionen aufzeigen.
Smarte Hotelzimmer
Auch in manchen Hotels halten virtuelle Assistenzen bereits Einzug. Zum Beispiel bei Marriott International. Die Hotelkette experimentiert derzeit mit Spracherkennungssoftware und digitalen Assistenten. Bei den Gästen kommt der digitale Pioniergeist gut an, wie ein Sprecher des Konzerns weiß: „Unsere Gäste haben diese intelligenten Technologien schnell angenommen. Die Leute nutzen ihre Smartphones, um sich zurecht zu finden, um Produkte zu kaufen oder um jederzeit eine Übersetzungsmöglichkeit zur Hand zu haben. Wir sind gespannt, wie sich sprachbasierte Technologien im Hotel-Alltag bewähren werden.“
Im Rahmen der Testphase hat Marriott einige seiner Häuser mit Amazon-Echo-Devices ausgestattet, über die beispielsweise die Beleuchtung der Gasträume gesteuert werden kann. Auch Apples Siri wird in einigen Marriott Hotels getestet.
Eine andere Hotelkette – Wynn Resorts Ltd. – will dagegen gleich Nägel mit Köpfen machen und plant, bis zum Sommer 2017 jedes seiner 4748 Zimmer in der Niederlassung in Las Vegas mit einem Amazon Echo auszustatten. Die Gäste sollen über den sprachgesteuerten Lautsprecher Beleuchtung, Raumtemperatur, Vorhänge und das TV-Gerät per Sprachbefehl bedienen können, wie CEO Steve Wynn im Gespräch mit „The Verge“ ankündigte.
Hotel-Roboter
Bereits 2014 hat die zu Marriott gehörende Kette Starwood Hotels seinen Roboter-Butler „Botlr“ vorgestellt. Der willige Helfer erinnert ein bisschen an R2D2 und übernimmt kleinere Service-Pflichten, wie etwa die Auslieferung von Toilettenartikeln. Derzeit kommt „Botlr“ an vier Standorten in den USA zum Einsatz. Die nächste Generation des Service-Roboters, der auch Ihre Geschäftsreise angenehmer machen soll, befindet sich laut Marriott bereits in der Testphase. Künftig sollen die Gäste dem Robo-Butler nämlich auch Textnachrichten schicken können, um Serviceangebote oder weiterführende Informationen abzurufen.
Das weltweit erste Roboter-Hotel hat bereits im Jahr 2015 in Japan eröffnet. Im Henn-na Hotel werden die Gäste von einem humanoiden Roboter namens „Yumeko“, sowie einem Dinosaurier im Hotelpagen-Outfit in Empfang genommen. Die Reinigung der Zimmer übernehmen in der japanischen Skurrill-Unterkunft ebenfalls Roboter und die Gäste dürfen ihre Zimmertür per Gesichtserkennungs-Software entriegeln. Eine Dienstreise der etwas anderen Art ist Ihnen hier als Gast also so gut wie sicher.
Mit „Connie“ hat auch IBM einen Hotelroboter zu bieten. Dieser fungiert auf Basis der Watson-Technologie als KI-Concierge, der Fragen zu Serviceleistungen, nahegelegenen Attraktionen und Restaurants beantwortet. Zum Einsatz kommt der Roboter derzeit in einem Hilton Hotel in Virginia, USA.
Dienstreisen: Die Herausforderungen für KI
Um für die Reiseindustrie einen echten Mehrwert in Sachen Services zu generieren, braucht die Künstliche Intelligenz vor allem eines, wie Param Singh weiß: „Eine signifikante Menge von persönlichen Daten über den jeweiligen Kunden ist notwendig. Ohne funktioniert es nicht, was allerdings große Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes zur Folge hat. Viele Menschen könnten sich unwohl dabei fühlen, all Ihre Daten zur Verfügung stellen.“
Robert Zippel, Global Technology Lead bei Accenture Travel sieht daher nur eine Lösung: „Geschäftsreisende werden sich besser damit fühlen, wenn sie ihre Daten in die Hände von Unternehmen legen, die eine transparente Datennutzung betreiben. Die Reiseunternehmen müssen also mit den Business-Reisenden zusammenarbeiten, wenn sie deren Daten für die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen nutzen wollen. Und natürlich müssen auch Opt-Out-Optionen zur Verfügung stehen.“
Neben den Datenschutz-Bedenken sieht Param Singh auch das Thema IT Security als problematisch an: „Wenn solche Mengen von persönlichen Daten gespeichert und systemübergreifend geteilt werden, könnte ein Hack oder Datenleck nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für dessen Unternehmen drastische Folgen haben.“
Dazu kämen noch Fragen der Ethik, fährt Singh fort: „Welches Ziel verfolgt ein KI-System? Will es das Beste für den Kunden? Oder nimmt es den Profit von Unternehmen in den Fokus und lotst den Kunden stets zum profitabelsten Produkt für sein Problem? Diese Dinge müssten auf Entwicklerebene gelöst werden und bis jetzt weiß niemand, wie das genau funktionieren soll.“
Die größte Herausforderung für die Künstliche Intelligenz in Bezug auf Dienst-, Geschäfts- und Privatreisen, ist jedoch noch einmal eine ganz andere, wie Singh abschließend sagt: „Es wird darum gehen, menschliche Nähe und Freundlichkeit zu simulieren – denn das ist in der Reise- und Hotelindustrie einer der entscheidenden Faktoren für die Kundenzufriedenheit.“
* James A. Martin ist Autor des Blogs „Living the Tech Life“ unserer US-Schwesterpublikation CIO.com.
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