Digital Adoption: Die letzte Meile der Digitalisierung

Tradierte Lernkonzepte stoßen an Grenzen. Neue Tools sollen nun Lernen und Arbeiten wirksam verknüpfen und die Digital Adoption der Mitarbeiter steigern. [...]

Digital-Adoption-Lösungen sorgen für schnellere Lernerfolge, eine größere Zufriedenheit und eine höhere Produktivität, weil ihre Unterstützung spezifisch und nicht generisch ist. Informationen werden für den Anwender kontextabhängig in den laufenden Prozess eingeblendet (c) pixabay.com

Seit Jahren deuten Studien darauf hin, dass ein großer Teil der IT-Vorhaben und Digitalisierungsprojekte ganz oder teilweise die Ziele verfehlt. Sucht man nach Gründen, werden stets Restriktionen in Budgets, Lastenheften, Organisationen oder IT-Skills genannt. Und natürlich ist häufig die Belegschaft „schuld“, weil sie sich „nicht abgeholt“ fühlt, Veränderungen scheut und letztlich die Transformation ausbremst. Mit Folgen für die IT: Der Servicedesk muss Überstunden machen, das Topmanagement ist unzufrieden, und Schattensysteme sowie Workarounds breiten sich aus. Oder die neuen Tools werden nicht genutzt – das ist gelebte IT-Tradition.

Gerade in Zeiten des permanenten Wandels reicht es nicht mehr aus, halbherzige Change– und Schulungsinitiativen nachzuschieben, um Mitarbeiter kurzfristig auf Tools und Abläufe einzustellen. Stetig werden neue Applikationen mit kürzeren Release-Zyklen eingeführt, Prozesse verändern sich rasch und Menschen müssen immer mehr Aufgaben digital als Selfservice lösen – kein Wunder, dass sich viele überfordert fühlen. Häufig sollen Schulungen und Web-basierende Trainings die Lösung sein, doch wer erinnert sich nicht an die Vergessenskurve nach Dr. Ebbinghaus? Innerhalb weniger Tage ist das Vorratswissen aus dem Arbeitsspeicher verschwunden.

DAP – Helfer für digitale Aufgaben

Allmählich setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass Mitarbeiter für digitale Tools auch mit einer integrierten digitalen Lösung trainiert werden können. Vorreiter moderner „Digital Adoption Platforms“ (DAP) wie Walkme oder Whatfix kommen nicht nur aus den USA, sondern wie AppNavi oder Userlane auch aus Deutschland. Ihre Werkzeuge unterscheiden sich in Funktionen und Features, Anwenderfokus und Zielgruppe. Unter dem Strich geht es aber immer darum, die User direkt in der zu unterstützen, damit sie schneller eigenständig durch ihre Arbeitsprozesse navigieren können.

Die Tools, die wie Spiele-Tutorials wirken und dem Anwender Informationen on demand einblenden, kommen zur rechten Zeit: Durch die COVID-19-Pandemie ist der Weiterbildungsbedarf bei den Digitalkompetenzen grundsätzlich gestiegen. So zitierte die „FAZ“ im April 2021 aus einer Studie der KfW, wonach knapp die Hälfte der mittelständischen Unternehmen (46 Prozent) mittleren oder großen Bedarf am Ausbau digitaler Fertigkeiten signalisiert hätten – insbesondere grundlegende, schnell erlernbare Softwarekompetenzen werden hier nachgefragt.

Digital-Adoption-Plattformen – Entscheidungskriterien

Hierfür sind Digital-Adoption-Plattformen prädestiniert. Allerdings setzen die Tools unterschiedliche Akzente und haben verschiedene Anwendungsszenarien im Fokus, berichtet Corinna Strube, die in der Beratungsgesellschaft metafinanz digitalorientierte Unternehmen bei der Einführung der Hilfsprogramme unterstützt: „Mal zielen die Programme auf simple Anforderungen, mal müssen sich Anwender erst Zertifikate für die Nutzung erarbeiten.“ Im Markt gefragt sei zumeist ein Spagat: Unternehmen wollen die Routenerstellung für Nicht-ITler so leicht wie möglich gestalten, ohne auf komplexe Installationen etwa für Konzernstrukturen zu verzichten – die Plattform müsse beides hergeben. Begriffe wie „Route“ oder „Tour“, so Strube, beziehen sich auf die Reise des Anwenders durch den Prozess und die unterwegs bereitgestellten Informationen zu seiner Unterstützung.

„Hierfür sind im Corporate-Umfeld ein stabiler Algorithmus sowie Customizing-Möglichkeiten essenziell, zudem müssen Datenschutz und IT-Security unbedingt berücksichtigt werden.“ Des Weiteren zählten für internationale Organisationen Mehrsprachigkeit und integrierte Automatisierungsmöglichkeiten zum Pflichtprogramm. „Allerdings hängt der konkrete Einsatzbereich der Lösungen maßgeblich von der digitalen Reife und dem organisatorischen Innovationsgrad eines Unternehmens ab.“

Auf der Habenseite der Digital-Adoption-Lösungen stehen schnellere Lernerfolge, eine größere Zufriedenheit und eine höhere Produktivität. „Schließlich ist die Unterstützung spezifisch und nicht generisch“, sagt Strube, „da Informationen kontextabhängig in den laufenden Prozess eingeblendet werden“. Probleme würden so gezielt gelöst, ohne Zeitverlust und Information Overload. Wie ein Navigationssystem leitet das Tool die Anwender durch die Softwareabläufe, beliebig oft und je nach Bedarf können die einzelnen Etappen der Route für die eigene Rolle aufgerufen werden. „Gerade Mitarbeiter, die eine Funktion nur selten benötigen oder viele Tools beherrschen müssen, empfinden dies als starke Unterstützung.“

Wie viele Gehege der normale Softwarezoo auf dem durchschnittlichen Digital Workplace umfasst, weiß heute niemand genau – allerdings haben sich die weltweiten Ausgaben für Enterprise Software Gartner zufolge in den vergangenen zehn Jahren auf über 500 Milliarden Dollar fast verdoppelt. Die Analysten erwarten, dass bis 2025 rund 70 Prozent der Unternehmen Lösungen für Digital Adoption über den gesamten Technologie-Stack einsetzen, um die unzureichenden Benutzererfahrungen mit Anwendungen zu überwinden.

Digital Adoption Platforms – Zeit ist Geld

Auch kostenseitig sind die Digital-Adoption-Plattformen wettbewerbsfähig, berichtet Strube aus der Praxis: „Der RoI funktioniert.“ Zwar sind konkrete Vergleichszahlen für den Gesamtmarkt rar, aber 2014 belief sich das Volumen in Deutschland für Standardsoftware-Schulungen der COMPUTERWOCHE zufolge auf gut 5,5 Milliarden Euro. Hinzu kommt die verlorene Arbeitszeit auch abseits der Schulungsmaßnahmen – angeblich suchen Menschen 22 Minuten pro Tag in ihren Applikationen nach einer Funktion oder fragen Kollegen und den Helpdesk. Laut KfW-Studie hätten Unternehmen bei der Weiterbildung pandemiebedingt zwar stark auf die Bremse getreten, Strube zufolge spielt dies aber den schlanken DAP-Lösungen in die Hände: „Sie führen nachweisbar zu einem schnellen und effizienten Softwaregebrauch, zudem können Unternehmen dank der Tools auch ungenutzte Applikationen identifizieren, gezielt abschalten und weitere Kosten einsparen.“

Daher interessieren sich nicht nur HR-Abteilungen für Digital-Adoption-Plattformen, sondern auch IT-Organisationen und Fachabteilungen. Mal steht die Vermittlung von Kompetenzen im Mittelpunkt, mal die Unterstützung des Change– oder Release-Managements. „Zurzeit erleben wir eine große Nachfrage aus Fachbereichen, in denen die Software durch Product Owner verantwortet wird“, sagt die Metafinanz-Beraterin. Hier sei der Treiber, dass die Vorteile einer neuen Applikation schneller zum Tragen kommen sollen.

Zudem ist der Scope der Tools nicht auf die eigene Belegschaft beschränkt – im Grunde genommen kann jeder digitale Prozess, an dem Menschen beteiligt sind, mit einer Digital-Adoption-Plattform unterstützt werden. Das reicht von neuen „Customer Journeys“ im Handel bis zur Candidate Experience. Bewerber beispielsweise, die ihre Daten und Dokumente auf Websites hochladen müssen, brechen häufig ab, erklärt Digitalisierungsexpertin Strube: „Mit einer Digital-Adoption-Lösung können wir sie effizient in dem Prozess unterstützen und die Zufriedenheit sowie die Abschlussquote durch einen verständlichen Ablauf steigern.“ Zudem werde das Unternehmen als innovativer Arbeitgeber wahrgenommen – ein positiver Nebeneffekt, der auch in Kunden- und Lieferantenportalen auftritt.

In den kommenden Jahren müssen viele Unternehmen die Lücke zwischen der ursprünglichen Digitalisierungsvision und der Realität schließen. Das macht Digital Adoption vor allem für HR zu einen großen Thema – schließlich hat sich der Bereich in den vergangenen Jahren selbst von einer unterstützenden zu einer strategischen Funktion transformiert. „Hier steht der Mensch im Fokus und weniger die Effizienz – Ziel ist das Enabling, um Berührungsängste bei der Digitalisierung abzubauen und Arbeitnehmer zukunftsfähig zu machen“, argumentiert Strube. Schließlich gehe es nicht um den Kauf neuer Technologien, sondern um ihre Anwendung. „Der Mensch ist der Treiber der Digitalisierung, und Digital Adoption hilft, die letzte Meile zu überbrücken.“

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*Moritz Iversen ist freier Journalist in München.


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