Digitalagenturen zwischen Spezialisierung und Globalisierung

Der rasante technologische Wandel wirbelt die Branche der Digitalagenturen gehörig durcheinander. Kommen sie zwischen großen Unternehmensberatern, Spezialisierungstendenzen und Markt-Konsolidierung unter die Räder, oder schaffen sie die Flucht nach vorne? [...]

Digitalagenturen haben einen zunehmend schweren Stand (c) Pixabay
Digitalagenturen haben einen zunehmend schweren Stand (c) Pixabay

Nun ist es soweit: Die Globalisierung hat auch den Markt der Digital-Agenturen erreicht. Große Beratungs- und Wirtschaftsprüfer wie Deloitte, Accenture, BCG, KPMG, oder Soft ware-Riesen wie IBM und SAP im Bereich Performance Marketing wollen am stark wachsenden Markt mitnaschen, und haben sich in den letzten Jahren auch sukzessive in die Branche eingekauft. Im Schnelllauf liest sich das so: Diamond Dogs von Emakina gekauft, ECX von IBM übernommen, PXP von Accenture, IQmobile von Dentsu-Aegis übernommen. Die Beratungs- und Soft ware-Riesen kommen mit einem tief gehendem Verständnis für Geschäftsprozesse und technologische Lösungen, und holen sich ein immer größeres Stück vom Kuchen.

Bei Kraftwerk, der größten Digitalagentur Österreichs ist diese Bedrohung angekommen. Geschäftsführer Heimo Hammer: »Bei großen Ausschreibungen ist man nicht mehr unter sich – also unter Österreichischen Agenturen – sondern man matcht sich mit Deloitte, Accenture, IBM, oder Microsoft. Dafür ist der Markt international, wodurch Anbieter wie wir auch von internationalen Unternehmen aus der Schweiz, England, USA, Frankreich, Deutschland etc. angefragt werden.«

Die Berater kommen

Markus Höfinger, Managing Director von Accenture Interactive Österreich bestätigt das Wachstum im Digitalbereich: „Wir freuen uns über ein starkes Jahr für Accenture Digital.” Mit rund 15 Mio. Euro Umsatz und 100 Mitarbeitern liegt seine Digitalabteilung laut Schätzung der Computerwelt schon knapp hinter Kraftwerk. Country Managing Director Michael Zettel ist überzeugt, dass sich das Verhältnis zwischen Kreativität und Orchestration mittlerweile umgekehrt hat. „Es ist zu 80 Prozent Technologie mit Prozess und nur mehr zu 20 Prozent die Kreativität”, so Zettel im Interview mit dem HORIZONT. Durch die Zehntausenden Mitarbeiter und Projekte weltweit würde Accenture ständig Anwendungsfälle finden, die sich auch auf andere Branchen übertragen ließen. 

Viel Platz rechts und links bleibt da für Digitalagenturen nicht mehr. Im Bereich Social Media und Performance Marketing gibt es laut Heimo Hammer bereits jetzt hohen Preisdruck und viel Mitbewerb. Trotzdem habe man bei den Agenturen nach wie vor ein Knowhow, das sehr gefragt sei und zu zahlreichen Übernahmen geführt habe, so Hammer. 

Michael John, CEO der international erfolgreichen Agentur Loop bestätigt ebenfalls diesen Trend. “Digitalagenturen werden immer mehr zu Consulting Unternehmen, die tief in das Business Model des Kunden eingreifen. E-Commerce und Digitalisierung der Business Modelle sind im Moment Themen, die fast jedes Unternehmen am Tisch hat – Agenturen wie LOOP bauen deshalb Consulting Departments auf, die auf langfristige und enge Beratungs-Services optimiert sind”.

Die extrem komplexe technologische Landschaft kann aber nicht einmal von Full-Service Digital Agenturen wie Kraftwerk abgedeckt werden – selbst dort kauft man spezifische Dienstleistungen bei externen Partnern zu, wie Hammer zugibt. Oder man kauft sie ein: Das Dentsu Aegis Network Austria vereint nun neben dem Hauptgeschäft des Media Buying mit Amnet, Carat, iProspect, IQ mobile sowie isobar, media.at, The Story Lab und Vizeum auch zahlreiche ehemals selbständige Agenturen. Man bietet ein enormes Leistungs-Spektrum von Marketing- und Kommunikationsstrategien, über Planung und Einkauf, Content-Marketing und digitaler Kreation bis hin zu mobilen Lösungen, Performance Marketing und Programmatic Solutions. Gemeinsam mit media.at umfasst das Team in Österreich rund 240 Mitarbeiter, die mehr als 200 Kunden betreuen. 

Die Landschaft konzentriert sich mehr und mehr auf zwei Gruppen: Strategen, die durch die digitale Welt führen und entsprechend beraten, sowie Spezialisten für die Umsetzung. Dazu kommt intensive Netzwerk-artige Zusammenarbeit – oder Zusammenkauf wie bei Aegis. Die “klassischen” Digitalagenturen werden jedenfalls zunehmend zwischen Beratern, Spezialisten und Netzwerken aufgerieben.

Austria goes international

Einige heimische Agenturen vermögen aber auch umgekehrt den Schritt in die Internationalität zu gehen. Neben Kraftwerk ist dies zB die SEO-Agentur Improove. Während man 2018 im Spanischen Büro 1.57 Mio. Euro Umsatz mit 12 Mitarbeitern erwirtschaftete, sind es in den USA schon eine Mio. Euro mit 6 Mitarbeitern. Michael Schwarz, der zuvor bei Google arbeitete, entwickelte ein eigenes System im SEO-Bereich und war damit laut Eigenaussage “von Tag eins an” erfolgreich. Auch in den USA, wo man laut Schwarz technologisch rund fünf Jahre vor Europa liege. Das Erfolgsgeheimnis sieht er darin, Dinge rasch mit Plug & Play Lösungen umzusetzen, ohne der Digital Marketing Abteilung mehr Arbeit zu machen. Neben der technologischen Komponente müsse aber auch die menschliche Komponente besonders beachtet werden. “Am Ende des Tages haben wir immer mit Menschen zu tun”, so Schwarz. Dies betrifft auch die Art und Weise, wie seine internationalen Büros geführt werden. Österreichisches Enineering, Genauigkeit, Fleiß, Ehrlichkeit und Engagement würden in der ganzen Welt gut ankommen. Und dann müsse man das eben mit regionalem Knowhow umsetzen.

Ein weiteres Erfolgsbeispiel für gelungene Internationalisierung ist die LOOP New Media GmbH, mit Büros in New York, Sydney, Berlin und Kopenhagen. Oder die SMC Social Media Communications GmbH, die neben Linz und Salzburg auch in München und Zürich aktiv ist. Oder create 21st century mit Outlets in Wien und München.

Im Fall von Kraftwerk liegt der Grund am internationalen Erfolg ursprünglich in den Gastauftritten bei einschlägigen Konferenzen. “Durch die Vorträge sind wir an Kunden gekommen, und dann an Weiterempfehlungen”, so Hammer. LOOP wieder setzt seit Jahren darauf, Talente und Erfahrungswerte aus international agierenden Agenturen nach Salzburg zu holen. Laut CEO Michael John sind 50 Prozent der 150 Mitarbeiter in Salzburg Expats, die zuvor in Agenturen in Großbritannien, Indien, Südafrika oder den USA gearbeitet hätten. “Damit haben wir früh eine sehr umfangreiche Vision inklusive starkem Background für internationale Markenbetreuung aufbauen können, die wir heute voll und ganz einsetzen können”. Große Unternehmen seien heute flexibel und würden mit Agenturen aus New York, London oder eben Salzburg zusammenarbeiten – wenn sie dafür Know How und Erfahrungswerte aus verschiedenen Märkten bekommen könnten. Die Globalisierung greift also auch in einer ursprünglich sehr regional orientierten Branche.

Wie sich Digitalagenturen in Österreich positionieren

Das Ranking der Digitalagenturen zeigt ein ungebrochenes Wachstum: Rund 9 Prozent mehr Umsatz und Mitarbeiter als 2017. Wir haben zudem die rund 400 verzeichneten Digitalagenturen in Österreich zur Beantwortung einer Umfrage eingeladen. Wir erhielten 88 Antworten, von denen wir 77 in die Wertung nahmen.

In unserer offenen Frage zur Zukunft der Digitalagenturen sehen sich diese nach wie vor in erster Linie als Berater (30,56 Prozent), Helfer bei der Digitalisierung (16,67 Prozent), und technische Spezialisten (16,67 Prozent). “Es gibt noch kein Standardmodell für den Einsatz innovativer Technologien”, meint etwa Herwig Kreidl, Geschäftsführer bei Netwerk Kreidl. Daher liege der zukünftige Fokus für Digitalagenturen weiterhin in der Schaffung kreativer Exzellenz bei der Umsetzung von klassischen Webprojekten – mit besonderem Fokus auf die Themen Voice Search, Schema.org Annotationen und künstliche Intelligenz.

Auch Heinz Duschanek, Geschäftsführer der E-Werkstatt ist davon überzeugt, dass Digitalagenturen unverändert benötigt werden. Allerdings würden sich die Aufgaben zu Bereichen verschieben, in denen echtes Knowhow gefragt sei. “Websites werden dagegen zunehmend selbst erstellt, und bald eventuell auch gut laufende Google Ads-Kampagnen. Der Schwerpunkt der Agenturen könnte sich daher mehr zu Analyse, Beratung und Detailarbeiten verschieben”.

Eine Verschiebung zum Schwerpunkt Beratung lässt sich aber anhand der Umfragedaten nicht beobachten. Im Gegenteil: in den zwei Jahren seit der ersten Umfrage 2017 haben sich die Tätigkeitsfelder leicht von “Beratung / Strategie / Projektmanagement” mit 87,93 Prozent in 2017 (75,41 Prozent in 2019) hin zu “Technische Umsetzung / Programmierung” mit 85,25 Prozent in 2019 (von 84,48 Prozent in 2017) verschoben. “Kreative Umsetzung / Design” schrumpfte leicht von 79,31 Prozent (2017) auf 73,77 Prozent (2019), und auch “Analyse, UX und Conversion Projekte” schrumpften von 51,72 Prozent (2017) auf 42,62 Prozent im Jahr 2019.

Die Bereiche, in denen Umsatz generiert wird, blieben weitgehend konstant. 2019 war die gewichtete Reihenfolge: Online-Projekte, E-Commerce Projekte, Mobile Projekte, Digitale Werbekampagnen. Zu 2017 hat sich nicht viel verändert, lediglich Mobile und E-Commerce haben Platz getauscht. Dass Digitalagenturen nun etwas weniger Umsatz im Bereich Mobile machen, kann nur zwei Gründe haben: Entweder haben Firmen ihre Budgets in App-Projekte leicht reduziert, oder das Geld fließt mittlerweile vermehrt an Spezialisten.

Bei den relevantesten Web- und Online-Marketing Technologien rangiert immer noch “Mobile First” an erster Stelle, mit 76,74 Prozent (64,44 Prozent im Jahr 2017). An zweiter Stelle rangieren nun Progressive Web Apps mit 46,51 Prozent (28,89 Prozent im Jahr 2017) und WordPress mit 41,86 Prozent (33,33 Prozent im Jahr 2017). 

Die Entwicklung von Services werde immer wichtiger, meint Stefan Traunmüller, COO der seso media group. “Das heisst Digitalagenturen werden in Zukunft noch enger mit den Kunden customer centricity Lösungen entwickeln müssen, um das bestmögliche Produkt für den Kunden abzuliefern”. 

Eine riesige Herausforderung sei jedenfalls die nahezu halbjährliche Veränderung im Online-Verhalten der User, meint Michael John, CEO der Agentur Loop. Agenturen stünden deshalb vor der ständigen Challenge, Trends schnell zu erkennen und die nötigen strukturellen und personellen Veränderungen durchzuführen, um Kunden mit relevanten Leistungen zu betreuen. Nicht wenige Unternehmen hätten innerhalb von kürzester Zeit Vorreiterrollen im Bereich Digital Marketing verloren oder auch eingenommen – und die betreuende Agentur einer Marke spiele eine wesentliche Rolle dabei. 

Florian Wassel, CEO von TOWA, bestätigt dies: “Der Aufbau von interdisziplinären Teams aus Produkt-Experten, Designern und Developern ist am derzeitigen Arbeitsmarkt die größte Herausforderung, um der großen Nachfrage gerecht zu werden”.

Fachkräftemangel: Problem und Chance

Der Fachkräftemangel spielt den Agenturen dabei mitunter in die Hände. “Digitalagenturen werden künftig die Rolle des Interims-Digitalmanagers übernehmen, um dem Fachkräftemangel in der Branche entgegenzuwirken”, meint etwa der Digital Marketing Experte Jörg Wukonig. “Wir haben einige Coaching-Projekte, bei dem wir vakante Online-Marketing Stellen besetzen und ein Inhouse-Team neu aufbauen. Dieser Trend nimmt sicher künftig zu, da es viel zu wenige Professionals im Digitalmarketing gibt”.

Allerdings ist es auch umgekehrt ein Problem, Fachkräfte für die Agentur zu finden. Die befragten Agentur-Leiter halten dies unisono für die größte Herausforderung (45,71 Prozent). Erst weit abgeschlagen an zweiter Stelle kommt der rasche Technologiewandel mit 14,29 Prozent der Nennungen, und der allgemeine Kulturwandel mit 11,43 Prozent. 

Jörg Wukonig etwa macht dabei auch das Ausbildungs-Niveau zum Thema: “Auch Digitalagenturen leiden schon unter dem Fachkräftemangel, da Fachhochschulen & Universitäten in Österreich noch nicht das Ausbildungsniveau haben, welches 2019 State of the Art sein sollte”. Seine Devise ist Selbsthilfe: “Wir bilden unsere Consultants selbst aus”.



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