Digitale Taktik ist besser als Doping

Eine Studie revolutioniert das Verständnis von Windschatten-Strategien im Profiradsport. Mithilfe hochpräziser CFD-Simulationen zeigt sie, dass alternative Formationen effizienter sind als die klassische Einreihe. Digitaltechnik wird damit zum taktischen Gamechanger. [...]

(c) Markus Spiske/Unsplash

Die Tour de France und andere Radrennen zeigen immer mehr: Im modernen Profiradsport entscheiden oft Sekunden über Sieg oder Niederlage. Umso wichtiger ist es, die Kräfte der Teamleader zu schonen – vor allem, wenn sie nach einem Defekt oder Sturz den Anschluss ans Hauptfeld wiederfinden müssen. Traditionell übernimmt das die sogenannte Einreihe: Teamkollegen reihen sich direkt hintereinander auf, der geschützte Fahrer ganz hinten. Doch ist das wirklich die effizienteste Formation?

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Bert Blocken (Heriot-Watt University, KU Leuven) hat genau das untersucht – mit aufwändigen CFD-Simulationen (Computational Fluid Dynamics) und Windkanaltests. 27 Formationen mit drei, vier und fünf Fahrern wurden analysiert, um herauszufinden, wie man den Luftwiderstand für den geschützten Fahrer am stärksten reduzieren kann.

Momentaufnahme der momentanen Konturen des Geschwindigkeitsverhältnisses und des statischen Druckbeiwerts in einer horizontalen Ebene in 1,1 m Höhe über der Strassenoberfläche für zwei Fünfer-Formationen. (c) Heriot-Watt University, Ansys/Synopsis

Überraschende Ergebnisse

Die Resultate sind deutlich: Die Einreihe ist zwar einfach zu organisieren, aber keineswegs die aerodynamisch beste Lösung.

  • In Dreiergruppen bietet eine umgekehrte Dreiecksformation (zwei Fahrer vorne, einer dahinter) dem geschützten Fahrer einen Luftwiderstand von nur 39 Prozent gegenüber einem Einzelradler – besser als die Einreihe, aber auf Kosten der Energie der vorderen Fahrer.
  • In Vierergruppen ist die Raute (Diamond-Formation) besonders effizient: Der geschützte Fahrer erfährt nur 38 Prozent des normalen Widerstands – und alle Fahrer profitieren gleichzeitig.
  • In Fünfergruppen ist die Formation 2×2 vorne, ein Fahrer hinten unschlagbar: Der geschützte Fahrer muss nur noch 24 Prozent des Widerstands überwinden – ein enormer Vorteil gegenüber der besten Position in der Einreihe, die bei 44 Prozent liegt.

Aus Theorie wird Taktik

Die Erkenntnisse sind nicht nur für Sportwissenschaftler interessant. Sie liefern Teams ganz konkrete Hinweise für Renntaktiken in der Praxis. Denn: Wer die optimale Formation wählt, kann die Erholungszeit verkürzen, Energie sparen – oder das Tempo steigern, ohne den Leader zu belasten.

Jedes Detail zählt. Hochauflösendes Rechengitter für das Heriot-Watt University & Ansys-Radfahrermodell (8,4 Millionen Zellen mit wandnaher Zellgrösse von 20 Mikrometern). (c) Heriot-Watt University, Ansys/Synopsis

Dr. Frédéric Grappe, Performance-Chef der WorldTour-Equipe Groupama-FDJ, betont: „Das Ziel ist immer, dem Leader möglichst gleichmäßige Anstrengungen zu ermöglichen. Die Formationen müssen sich an der Rennsituation orientieren – aber mit solchen Daten im Hintergrund kann man viel gezielter entscheiden, wie viele Fahrer man einsetzt und wie man sie anordnet.“

Digitalisierung als Gamechanger

Die Studie ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie digitale Methoden – in diesem Fall präzise Strömungssimulationen – die Welt des Spitzensports verändern. Wo früher Intuition und Erfahrung dominierten, helfen heute digitale Zwillinge und präzise Berechnungen, Taktiken zu optimieren. Das Potenzial ist groß: Weitere Forschung könnte variable Rennbedingungen simulieren – etwa Windböen, Sprints oder Anstiege – und so die strategische Planung im Peloton auf ein völlig neues Niveau heben.

Nicht nur für Windschatten-Fahrer interessant: Hier geht es zu den Studienergebnissen

* Christian Bühlmann ist Chefredaktor der Computerworld und Teil des Redaktionsteams von com! professional.


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