Der Digitale Produktpass (DPP) wird ab 2027 schrittweise verpflichtend und avanciert zu einem zentralen Instrument der europäischen Kreislaufwirtschaft. Austrian Standards stellt Unternehmen passende europäische Normen zur Verfügung und unterstützt mit praxisnahen Trainingsangeboten. [...]
Die am 18. Juli 2024 in Kraft getretene EU-Ökodesignverordnung („Ecodesign for Sustainable Products Regulation“, ESPR) setzt neue Maßstäbe für nachhaltige Produkte. Reparierbarkeit, Zuverlässigkeit, Wiederverwendbarkeit, Energieverbrauch und Energieeffizienz werden künftig noch klarer definiert und unterstützt. So wird der DPP ab 2028 verpflichtend. Für große Batterien über 2 kWh Kapazität sind aufgrund der Batterieverordnung bereits ab Frühjahr 2027 digitale Produktpässe bereitzustellen.
Die dafür erforderlichen Standards wurden von der europäischen Standardisierungs-Organisation CEN/CENELEC im Auftrag der Europäischen Kommission erarbeitet, und das unter Einbindung österreichischer Expertise. Otto Handle, Leiter der CEN/CENELEC JTC 24 WG 4 (Joint Technical Committee Working Group), ist maßgeblich an der Entwicklung beteiligt. Standards bilden die Grundlage für die IT‑Architektur des DPP, gewährleisten einheitliche Schnittstellen und Interoperabilität in Europa.
„Der Digitale Produktpass wird nur funktionieren, wenn wir in Europa dieselbe Sprache sprechen. Genau dafür schaffen die Standards die Grundlage“, betont Otto Handle.
Design follows Planet
Um Unternehmen auf die bevorstehenden Verpflichtungen vorzubereiten, bietet die Austrian Standards Academy am 23. Oktober 2025 ihr erstes Live-Online Training zur Ökodesignverordnung und dem Digitalen Produktpass an. In diesem Training vermittelt Otto Handle persönlich praxisnahes Knowhow zur technischen Umsetzung des DPP und zeigt auf, wie Unternehmen die gesetzlichen Vorgaben effizient in ihre Prozesse integrieren können. Das Webinar richtet sich insbesondere an Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Digitalisierungs-Beauftragte. Details und Anmeldung zum Training finden Sie hier.
Interview mit Otto Handle
Der Digitale Produktpass gilt als zentrales Instrument der europäischen Kreislaufwirtschaft. Er soll Informationen zu Produkten transparent und dauerhaft für Konsument:innen, Hersteller und Behörden gleichermaßen zugänglich machen. Wir haben mit Otto Handle, Vorsitzender der europäischen Arbeitsgruppe CEN/CLC JTC 24, Working Group 4 – Interoperability Framework, über die laufenden Normungsarbeiten gesprochen.
Herr Handle, Sie leiten die europäische Arbeitsgruppe CEN/CLC JTC 24, Working Group 4 – Interoperability Framework zum Digitalen Produktpass. Können Sie uns erzählen, was diese Arbeitsgruppe macht?
Otto Handle: Unsere Arbeitsgruppe entwickelt vier der acht europäischen Standards für den DPP. Es geht darum, klare Regeln zu schaffen, damit die aufgrund der Ökodesignverordnung und der zugehörigen Delegierten Rechtsakte verpflichtend bereitzustellenden Informationen für Menschen und Softwaresysteme problemlos lesbar und systemübergreifend nutzbar sind. Beteiligt sind rund 240 Expertinnen und Experten, die aus der EU kommen, aber auch aus Nicht-EU Ländern wie der Schweiz, Norwegen, England oder der Türkei. Die Arbeit erfolgt auf Basis des Standardisierungsauftrages der Europäischen Kommission und berücksichtigt die Anforderung von Behörden, Konzernen, kleinen Unternehmen und Konsumentinnen und Konsumenten in gleichberechtigter Weise.
Warum ist Interoperabilität für den DPP so entscheidend?
Otto Handle: Der Digitale Produktpass ist im Kern ein Datendienst. Interoperabilität stellt sicher, dass diese Daten dauerhaft, zuverlässig und kostenlos genutzt werden können – von Softwaresystemen ebenso wie von Konsument:innen. Nur so kann der DPP seinen Zweck erfüllen. Wenn Interoperabilität fehlt, würden unzählige Insellösungen entstehen, die weder miteinander kommunizieren noch skalierbar wären. Das würde den Nutzen des DPP massiv einschränken. Interoperabilität bedeutet somit, Vertrauen in das System zu schaffen, weil sich alle auf dieselben Grundregeln verlassen können.
Sie sprechen vom sogenannten „Vendor-Lockin“. Was verbirgt sich dahinter?
Otto Handle: Die Standards müssen System- und Anbieterabhängigkeiten – Stichwort Vendor-Lock-In – unterbinden und gleichberechtigten niederschwelligen Zugang zum DPP-System für jeden Marktteilnehmer ermöglichen. Offene Formate und niedrige Zugangshürden sind deshalb ein zentrales Prinzip. Damit wird verhindert, dass einzelne Unternehmen durch Monopolstellungen die Kosten für die Nutzung künstlich erhöhen oder Innovationen ausbremsen. Ziel ist es, einen fairen Wettbewerb sicherzustellen.
Welche Rolle spielen Behörden wie Marktüberwachung oder Zoll im System des DPP?
Otto Handle: Eine zentrale. Produkte ohne gültigen DPP gelten als nicht gesetzeskonform und dürfen in der EU nicht verkauft werden. Der Zoll muss daher schon bei der Einfuhr prüfen können, ob Produkte zulässig sind. Damit übernehmen die Behörden eine Art „Gatekeeper“-Funktion, die sicherstellt, dass die Marktregeln eingehalten werden. Für Unternehmen bedeutet das mehr Rechtssicherheit, für Konsument:innen mehr Transparenz.
Wie wird sichergestellt, dass das System auch langfristig stabil und verlässlich funktioniert?
Otto Handle: Jeder Hersteller ist verantwortlich, seine Produktpässe bereitzustellen. Um Ausfälle abzusichern, werden alle DPP zusätzlich über Certified Backup Operator gespiegelt. Diese übernehmen im Notfall die Bereitstellung anstelle des Herstellers und garantieren so das Vertrauen in das System. Das ist vergleichbar mit einer Versicherung: Auch wenn ein Unternehmen ausfällt oder seine Systeme nicht erreichbar sind, bleibt der DPP in jedem Fall dauerhaft, kostenfrei, systemunabhängig und zuverlässig verfügbar.
Welche Standards entwickelt Ihre Arbeitsgruppe konkret?
Otto Handle: Unsere Arbeitsgruppe ist beauftragt, vier der insgesamt acht europäischen Normen für den Digitalen Produktpass zu erarbeiten. Diese bilden das Rückgrat des Systems, sie legen die technische Basis, ohne die der DPP nicht skalierbar wäre. Deshalb sind sie entscheidend für die gesamte Kreislaufwirtschaftsstrategie der EU.
- System Interoperability: Sie legt die Grundregeln fest, wie ein DPP aufgebaut sein muss, damit er überall in Europa gleich funktioniert. Das schafft Einheitlichkeit und vermeidet Missverständnisse.
- Data Exchange Protocols: Hier geht es um die „Sprache“ der Daten. Wir definieren den Zugriff über sichere, maschinen- und menschenlesbare Formate wie JSON und HTML sowie Protokolle wie HTTPS. Damit wird der Austausch einfach, sicher und global verständlich.
- Archivierung und Versionierung: Produkte verändern sich im Laufe der Zeit. Deshalb legen wir fest, wie verschiedene Versionen eines DPPs über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts hinweg abrufbar bleiben. Behörden und Verbraucher:innen können so auch nach Jahren noch nachvollziehen, ob ein Produkt damals gesetzeskonform war.
- APIs (Application Programming Interfaces): Sie regeln die Schnittstellen, über die Software standardisiert auf DPPs zugreift, diese erstellt, ändert oder löscht. Damit wird sichergestellt, dass verschiedene Systeme reibungslos zusammenarbeiten.
Alle vier Normen greifen ineinander. Sie sorgen dafür, dass der Digitale Produktpass nicht nur auf dem Papier funktioniert, sondern in der Praxis wirklich anwendbar ist und das für Hersteller, Konsument:innen und Behörden gleichermaßen.
Österreich ist ein KMU-Land. Was bedeutet der Digitale Produktpass für kleine und mittlere Unternehmen?
Otto Handle: Die Europäische Kommission legt großen Wert darauf, das DPP-System auch für KMU und Kleinstunternehmen zugänglich zu machen, um Marktbeschränkungen zu vermeiden und Marktfairness sicher zu stellen.

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