Digitalisierung: Der Mittelstand ist besser als sein Ruf

Der deutsche Mittelstand ist in Sachen Digitalisierung weiter als vielfach angenommen. Dennoch gibt es viele ungenutzte Potenziale, wie eine Techconsult-Studie im Auftrag der Telekom zeigt. [...]

„Die Digitalisierung ist in vielen Unternehmen längst bestimmendes Thema“, schreiben die Autoren des Kasseler Analystenhauses Techconsult. In der repräsentativen Studie „Digitalisierungsindex Mittelstand“ schätzten fast drei Viertel der befragten mittelständischen Firmen die Digitalisierung als wichtig oder sehr wichtig für ihr Unternehmen ein. „Wer seine Wettbewerbsfähigkeit weiter ausbauen will, muss die Beziehungen zu seinen Kunden, die internen Prozesse und sein Geschäftsmodell auf den Prüfstand stellen und mit digitalen Technologien weiterentwickeln“, so die Marktforscher. Das wüssten inzwischen die meisten Mittelständler.

Deutlich wird in der Studie aber auch, wie lang der Weg der digitalen Transformation vielerorts noch ist. Im Durchschnitt erreichten die Unternehmen im Digitalisierungsindex nur 52 von 100 möglichen Punkten. Die gute Nachricht aus Sicht der Analysten: „Die Digitalisierung hat im Mittelstand also längst begonnen“. Manche Unternehmen stünden zwar noch am Anfang, es gebe aber auch digitale Vorreiter, die mit Indexwerten zwischen 80 und mehr als 90 Punkten schon sehr gute Ergebnisse vorweisen könnten. Bei den Digital Leaders, den besten zehn Prozent im Mittelstand, korrelierten der Digitalisierungsstatus und die Zufriedenheit mit dem eigenen Geschäftserfolg.

Im Juni 2016 befragte Techconsult im Auftrag der Deutschen Telekom 1.016 kleine und mittelständische Unternehmen aus verschiedenen Branchen zum Status quo in Sachen Digitalisierung. Die Marktforscher untersuchten dazu die vier Handlungsfelder Kundenbeziehungen und Services, Produktivität, Geschäftsmodell sowie IT-Sicherheit und Datenschutz. Den Digitalisierungsgrad messen die Auguren mit dem Digitalisierungsindex, der anhand von 64 Kriterien gebildet wird.
Digitalisierung: Große Mittelständler sind weiter als kleine
Geht es um die wahrgenommene Bedeutung der Digitalisierung für das eigene Unternehmen, klafft eine Lücke zwischen großen und kleinen Mittelständlern. So sieht lediglich die Hälfte der Kleinstfirmen mit bis zu neun Mitarbeitern die Notwendigkeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten halten dies mit 90 Prozent dagegen fast für selbstverständlich. Auch zwischen einzelnen Branchen gibt es erhebliche Unterschiede. Fertigungsunternehmen und Dienstleister gaben am häufigsten an, dass Digitalisierung für ihr Unternehmen große Relevanz besitze. Im Baugewerbe dagegen hält nur jedes fünfte Unternehmen das Thema für wichtig. Im Handel ergibt sich ein uneinheitliches Bild.

Nutzen der Digitalisierung: Innovation, Produktivität, Kundenbeziehung
Relativ klare Vorstellungen haben die Befragten vom erhofften Nutzen der digitalen Transformation. Jeweils gut die Hälfte der Unternehmen verspricht sich mehr Innovationskraft und Produktivität, eine nachhaltige Verbesserung der Kundenbeziehung und -erfahrung sowie die Chance, neue Kunden und Märkte zu gewinnen. Doch es gibt auch die Skeptiker: Fast ein Viertel der Befragten hält Digitalisierung für einen überbewerteten Hype, 27 Prozent sehen darin sogar eine Bedrohung für die eigene Wettbewerbsposition.
Die wichtigsten Treiber der Digitalisierung
Als interne Treiber der Digitalisierung, nannten 49 Prozent den Wunsch nach beschleunigten Prozessen und 47 Prozent die Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Jeweils 42 Prozent wollen ihre Kostenstruktur verbessern sowie neue Märkte und Kunden erschließen. Rund 40 Prozent nannten als Treiber die Anforderungen der Kunden.

Geht es um die konkrete Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen, zeigt sich wiederum ein uneinheitliches Bild. Nur 27 Prozent der Befragten haben dafür eine übergreifende Digitalisierungsstrategie entwickelt, 46 Prozent verfolgen einzelne Projekte. Elf Prozent der Studienteilnehmer haben sich noch gar nicht mit Digitalisierung beschäftigt. Wo die Probleme in der Praxis liegen, zeigen weitere Ergebnisse der Befragung. So rechnen 41 Prozent mit hohen Investitionskosten, 36 Prozent fürchten zusätzliche IT-Sicherheitsrisiken. Aber auch der Dauerbrenner Fachkenntnisse spielt hier eine Rolle. 23 Prozent nannten fehlendes Know-how in den Fachbereichen als Ursache für ihre Zurückhaltung in Sachen Digitalisierung.
Digitale Geschäftsmodelle sind rar
Betrachtet man den Digitalisierungsgrad in einzelnen Handlungsfeldern, fällt auf, dass die Unternehmen beim Thema „IT-, Informationssicherheit und Datenschutz“ mit Werten von mehr als 60 Punkten schon relativ weit sind. Spionageaktivitäten staatlicher Organe, Millionenschäden durch Cyberangriffe sowie rechtliche Regelungen zu Compliance und Datenschutz hätten das Bewusstsein für IT-Sicherheit geschärft, erläutern die Studienautoren. Auch kleine und mittelständische Unternehmen mussten sich zwangsläufig damit befassen.

Im digitalen Handlungsfeld „Beziehung zum Kunden verbessern“ liegt der Indexwert dagegen nur bei 51 Punkten. Beim Vorhaben, die Produktivität zu steigern, kommen die Befragten auf 49 Punkte. Die größten Herausforderungen liegen im Bereich „Digitale Angebote und Geschäftsmodelle“. Der Digitalisierungsgrad ist hier mit 46 Punkten am geringsten. „Erfolge in diesem Handlungsfeld setzen einen gewissen Digitalisierungsgrad auf den anderen Handlungsfeldern voraus“, merken die Analysten dazu an.
„Digitalisierung ist Chefsache“
Erkenntnisse liefert die Studie auch zur Frage, wer in den Unternehmen Digitalisierungsthemen vorantreibt. In 63 Prozent der Fälle ist dies die Geschäftsführerebene, gefolgt von der IT-Abteilung mit 44 Prozent. Erst mit großem Abstand folgen Vertrieb und Marketing (jeweils 15 Prozent). Die Bedeutung der IT-Abteilung in Sachen Digitalisierung steigt mit der Unternehmensgröße, zugleich nimmt die Rolle der Geschäftsführung dabei ab. In Firmen mit mehr als 250 Mitarbeitern spielen den Marktforschern zufolge auch der Chief Digital Officer (CDO) und dedizierte Teams eine wichtige Rolle.

*Wolfgang Herrmann ist Deputy Editorial Director der IDG-Publikationen COMPUTERWOCHE und CIO.


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