Die Marktforschung hat eine lange Tradition und gehört dennoch – oder gerade deshalb – nicht gerade zu den innovativsten Branchen. Doch langsam kann selbst sie sich nicht mehr vor der Digitalisierung verstecken. Mittlerweile ist die Online-Marktforschung zur wichtigsten Erhebungsdisziplin geworden: Laut der Untersuchung "Global Market Research 2014" von ESOMAR liegen Online-Befragungen mit 24 Prozent an der Spitze der Erhebungsmethoden, weit vor der klassischen Telefonbefragung mit 12 Prozent oder Face-to-Face-Interviews mit 9 Prozent. Schriftliche Befragungen per Post rangieren sowieso nur noch unter "ferner liefen" mit 2 Prozent und sind am Aussterben. [...]
Social Networks sind für Marktforscher ebenfalls ein interessantes Feld. „Social Media Monitoring gilt nach wie vor als neue Marktforschungswunderwaffe. Und in der Theorie klingt es natürlich verlockend, wenn man ’nur‘ noch mitlesen und zuhören muss und sich das Fragen ersparen kann. Damit Umschifft man nicht nur elegant das Problem von sozial erwünschtem Antwortverhalten, sondern spart dabei gleichzeitig auch Geld“, so Schwabl. In der Praxis etablieren sich diese Tools seiner Meinung nach als ausgezeichnete Ergänzung, „das vielfach sehr spezielle Informationsbedürfnis der Auftraggeber kann damit oft nicht abgedeckt werden“, schränkt er aber ein. „Nichts desto trotz bleibt es spannend zu beobachten, ob Umfragen in Zeiten der Omnipräsenz sozialer Netzwerke noch ihre Berechtigung haben.“
In einem aktuellen Trend sieht Schwabl jedoch großes Potenzial für Marktforscher – wenn sie sich den neuen Gegebenheiten anpassen. Big Data Analytics heißt diese „Goldgrube“. Egal ob Surfverhalten im Internet, Bewegungsprofile via Smartphones, Kundenkarten oder Fitness-Tracker, das täglich anfallende Datenvolumen ist schier unüberblickbar und somit auch ein Abenteuerspielplatz für die Markt- und Meinungsforschung. Diese Daten ermöglichen noch nie zuvor dagewesene Analysen und Auswertungen, die vielfach noch ungenützt sind. „Hier existieren in vielen Bereichen wahre Goldminen mit enormen Datenschätzen, die aber nicht nur gehoben, sondern auch verdichtet, interpretiert, analysiert und verstanden werden müssen“, erklärt Schwabl.
Dieser strukturelle Wandel hat zwangsläufig Auswirkungen auf das Berufsbild der Demoskopen. Während die Erhebung in den Hintergrund tritt, nimmt die Bedeutung von Beratung, Consulting und Analyse zu. Denn was helfen Milliarden an Daten, wenn man darin ertrinkt und nicht die richtigen Schlüsse daraus ziehen kann. Der moderne Markt- und Meinungsforscher wird quasi zum spezialisierten „Data Scientist“.
GAMIFICATION IN DER MARKTFORSCHUNG
Aber solange es noch nicht so weit ist, dass Marktforscher als Data Scientists in den Big Data Pool steigen und bis in seine tiefsten Tiefen erkunden, um mit einem dicken Fisch an der Angel und einer Handlungsempfehlung für ihren Kunden wieder daraus aufzutauchen, müssen sie noch dafür sorgen, dass die Befragten auch brav ihre Fragebögen ausfüllen und ihre Meinung kundtun. In Zeiten stetig sinkender Aufmerksamkeitsspannen keine leichte Aufgabe. Survey-Entertainment und Gamification sollen dazu beitragen der Panelmüdigkeit entgegen zu wirken. Mit anderen Worten, sterilen oft langweiligen und ermüdenden Fragebögen wird der Kampf angesagt. Durch spielerische Elemente sollen die Response erhöht und die Abbruchquote bei komplexeren Studien reduziert werden. Das Befüllen der Fragebögen mit Leben ist einer der Strategien, einer sinkenden Teilnahmebereitschaft entgegenzuwirken.
Auch neue Werkzeuge und Methoden können helfen. Was mit Online Eye Tracking vor einigen Jahren begann, äußert sich heute in laufend neuen Forschungsmöglichkeiten. Facial Coding, ein heiß gehandelter Kandidat unter den neuen Tools, untersucht nonverbaler Reaktionen, hauptsächlich im Gesicht der Umfrageteilnehmer, auf verschiedene Marketingreize, wie beispielsweise Anzeigen oder Werbespots. Was noch vor Jahren mittels aufwendiger Technologie und hohem Kosteneinsatz realisiert werden musste, lässt sich heute bereits mittels Webcam umsetzen. „Die Digitalisierung erweitert unseren Bauchladen“, so Thomas Schwabl.
Wer weiß: Mit etwas Glück ist in diesem Bauchladen vielleicht schon bald kein Platz mehr für langweilige Telefoninterviews in den unpassendsten Momenten. (rnf)
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