Digitalversicherung: Provinzial baut agilen Versicherer auf

Der Münsteraner Provinzial-Konzern hat mit andsafe die erste Digitalversicherung in der Cloud auf den Markt gebracht. In der agilen Organisation verschmelzen IT und Fachbereiche. [...]

Christian Brandt (links) und Christian Buschkotte haben die Digitalversicherung andsafe als agile Organisation aufgebaut (c) Andsafe

Wie baut man eine agile Organisation auf? Die Antwort fand der Provinzial-Konzern, der mit einem Brutto-Beitragsvolumen von mehr als sechs Milliarden Euro zu den zehn größten deutschen Versicherern gehört, auch in der Person von Jenny Gursch, Projektleiterin beim IT-Dienstleister Adesso. Sie begleitete als eine von zwei agilen Coaches den Aufbau der ­Provinzial-Tochter andsafe, mit der der Konzern die erste Digitalversicherung in der Cloud auf den Markt brachte.

Agilität als dauerhafte Organisationsform

Für Christian Buschkotte, einer der beiden Managing Directors von andsafe, stand fest: „Es gibt keine Blaupause für die Gründung eines Versicherers, darum ist es wichtig, inkrementell vorzugehen.“ Auch deshalb entschied man sich für Agilität als dauerhaftes Arbeitsmodell. Christian Brandt, ebenfalls Managing Director von andsafe, ergänzt: „Agil ist bei uns Dauerzustand. Selbstorganisation und Verantwortungsübernahme werden von unserer ganzen Mannschaft gelebt.“

Für Gursch bedeutete das, im ersten Schritt Werte und agile Prinzipien zu vermitteln: „Nachdem sich die Teams gut im Scrum-Framework auskennen, be­obachte ich, wie die Zusammen­arbeit funktioniert, biete Sparring und Super­vising an, moderiere Meetings und vermittlen agile Best Practices zu auftretenden Situationen.“ Immer wieder miteinander ins Gespräch zu kommen sieht sie als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an.

Ist das agile Mindset vermittelt, ändert sich die Arbeitsweise, konstatiert Brandt: „Wer ein solches hat, will verstehen, warum was wie wichtig ist. Teams arbeiten an Systemen, um diese kontinuierlich zu verbessern – planbar, messbar, nachhaltig, Stück für Stück.“ Ziel ist es, so vieles wie möglich zu automatisieren. Buschkotte nennt ein Beispiel: „Bei der gewerblichen Haftpflichtversicherung gibt es 1800 Betriebsarten, für die jeweils unterschiedliche Risiken bestehen. Überwiegend handelt es sich in der Realität um Mischbetriebe mit mehreren Betriebszweigen. Unser ist in der Lage, automatisiert das differenzierte Haftpflichtrisiko zu zeichnen. Dabei spielt unsere umfangreiche Datenlage natürlich eine wesentliche Rolle.“

Aus Sicht einer klassischen Organisation seien bei andsafe fast nur ITler beschäftigt, da alle Tätigkeiten von durchdrungen sind. Die Teams aus Softwareentwicklern, Vertrieblern und Versicherungsmathematikern sind interdisziplinär aufgestellt, sie zu formenn war eine von Gursch Aufgaben.

Zusammenarbeit in interdisziplinären Teams

Eine Teilung zwischen und Fachbereiche existiert in der Digitalversicherung nicht. Statt dessen verfügen laut Brandt alle über ausgeprägte Business-Analyse-Skills, um „aus ersten Ideen digital gedachte Konzepte, Prototypen und Lösungen auf den Punkt beschreiben zu können“. Der Schaden-Spezialist könne auch beschreiben, wie ein Schadenregulierungsprozess abläuft, um diesen der Maschine beizubringen. Ein Versicherungsmathematiker, der die Tarife berechnet, könne auch einen Data Scientist unterstützen.

„Natürlich kann man von einem Business-Analysten nicht erwarten, dass er in die Backend-Entwicklung einsteigt“, räumt Coach Gursch ein. Dennoch sei es wichtig, dass die unterschiedlichen Spezialisten auch voneinander lernen, um sich zu verstehen und gegenseitig unterstützen zu können. In ihren Augen besteht Agile Coaching darum zum großen Teil aus Beziehungsmanagement. Sie muss sich bei andsafe an vielen Stellen einbringen, damit alle an einem Strang ziehen. „Das liebe ich an meinem Job,“ sagt sie.

Jenny Gursch, Projektleiterin beim IT-Dienstleister Adesso, begleitet den Aufbau der Digitalversicherung Andsafe als eine von zwei agilen Coaches (c) Jenny Gursch

Soll Agilität in einer Organisation auch jenseits eines konkreten Projektvorhabens wirken, geht das nur mit Unterstützung des Managements. Dessen Verständnis versucht Gursch durch regelmäßige Gespräche zu gewinnen: „Eine Aufgabe, die mir Spaß macht, denn nicht in allen Projekten bin ich so nah dran am .“

Christian Brandt und Christian Buschkotte sehen agile Coaches sehen als „dauerhaft sinnstiftende Rollen“, da sich Teams, Produktzuschnitte, Teammitglieder und Aufgabenüber die Zeit ändern. „Anfänglich fokussierten wir sehr stark Sales-Prozesse, mit zunehmender Kundenanzahl benötigen wir nun einen Fokus in Service-Prozessen“, erläutert Brandt. Dazu passte man Teams und deren Aufgaben an, die agile Coaches moderierten den Prozess und sorgten für ein rasches Zusammenwachsen. Weitere Moderationsaufgaben für die Coaches ergeben sich durch die vierteljährliche Portfolioplanung, in der die OKRs (Objectives and Key Results) festgelegt werden.

Wie schnell sich das Portfolio einer agilen Versicherung erweitern kann, zeigt das jüngste Produkt: Die Fahrradversicherung. Ursprünglich hatte andsafe vor allem die gewerbliche Haftpflichtversicherung im Blick. Doch im Zuge der Corona-Pandemie war hier das Wachstum begrenzt, während sich immer mehr Menschen teure Räder kauften, die auch versichert werden wollten.

Digitaltochter verprobt agiles Arbeiten für Konzern

Die starke Orientierung am Endkunden gehört für Buschkotte zum Selbstverständnis, Tests mit Usern, ob das Frontend benutzerfreundlich ist, sind ein Beispiel dafür. In diesem iterativen Prozess müsse man auch mit hoher Unsicherheit und unvollständigen Informationen umgehen und dennoch effizient arbeiten können. Auch das sollten die Coaches vermitteln, so Brandt. Es gelte, Inkremente auszuliefern, die möglichst wertschöpfend sind. „Aber wir sind nie zu Ende“, ergänzt Buschkotte. Durch das agile Arbeits- und Organisationsmodell könne man schneller reagieren und Anpassungen vornehmen können. In Zeiten der Pandemie stelle dieses Modell „ein sehr gutes Immunsystem beziehungsweise eine ausgeprägte Resilienz“ zur Verfügung.

Zugleich verprobt andsafe das agile Arbeiten in den crossfunktionalen Teams für den Konzern, damit auch die Schwestergesellschaften an den Erkenntnissen partizipieren können. Auch innerhalb der Provinzial gibt es bereits einige agile IT-Projekte.

*Alexandra Mesmer: Karriere und Management in der IT ist ihr Leib- und Magenthema – und das seit über 20 Jahren. Langweilig? Nein, sie entdeckt immer neue Facetten in der IT-Arbeitswelt und im eigenen Job. Sie recherchiert, schreibt, redigiert, moderiert, plant und organisiert.


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