Disruptive Beschaffung – Raus aus den Büros, rein in die Fabriken

A.T. Kearney hat mit dem Ansatz "Disruptive Procurement" ein innovatives Konzept für die Top-Management-Ebene entwickelt, das die Rolle des Einkaufs neu definiert. [...]

„Seit Langem beobachten wir, dass sich viele Einkäufer buchstäblich hinter ihre Schreibtische verkriechen und nicht mehr in der Lage sind, die Bedürfnisse ihrer Lieferanten und Kunden zu verstehen. Nach Jahrzehnten von Analysen zur Reduktion von Lieferantenmargen wurde ihnen abgewöhnt, echten Mehrwert und einen Wettbewerbsvorteil für ihr Unternehmen zu schaffen“, kommentiert Michael Strohmer, Partner bei A.T. Kearney und Leiter des Kompetenzteams Einkauf in Deutschland, Österreich und Schweiz die gängige Beschaffungspraxis in vielen Unternehmen. „Jetzt ist es Aufgabe der Top-Management-Ebene, die Einkaufsfunktion neu zu erfinden und in ihren Möglichkeiten wiederzubeleben. Einkäufer müssen das Gespräch vor Ort mit Lieferanten, Kunden und Kollegen suchen: in den Fabrikhallen, Kaffeeküchen oder Forschungsabteilungen“, ergänzt Christian Schuh, Partner bei A.T. Kearney und Leiter des Kompetenzteams Einkauf in Europa.
Die Champions disruptiver Beschaffung arbeiten nicht mehr nur an der Verbesserung bestehender Prozesse wie der Prüfung von Ausgaben, der Analyse des Zuliefermarktes oder alleine an Strategien, um Einsparpotenziale zu erzielen. Vielmehr stellen sie diese mit erfolgsversprechenden Alternativen in Frage, etablieren innovative Verfahren und treiben die Entwicklung neuer Produkte und Services voran, mit derer sich sehr hohe Potenziale erzielen lassen.
Innovationskraft und Einsparpotenziale
In ihrem Ansatz zu disruptiver Beschaffung haben die Autoren von A.T. Kearney eine Matrix zur Bewertung verschiedener Beschaffungspraktiken hinsichtlich Innovationskraft und Einsparpotenzialen entwickelt. Sie orientiert sich an den beiden Fragen: Wie hoch ist das Wissen der Einkäufer um den Wert der Lieferanten für das Unternehmen? Und: Wie ausgebildet ist das Bewusstsein über den Wert, den das Unternehmen selbst für die Kunden schafft? Die Matrix bildet neun verschiedene Beschaffungsansätze ab – vom reinen „Desktop Procurement“ über „kollaborative Geschäftsentwicklung“ bis hin zur „Disruption“, also der vollkommenen Neukonzeption von Produkten oder Services durch Kenntnis der Wertgenerierung auf Lieferanten- und Kundenseite.
„Viele Unternehmen befinden sich derzeit noch im unteren linken Bereich, dem zahlenfokussierten Einkauf“, so Strohmer. „Damit sind typischerweise Beschaffungsabteilungen gemeint, die zwar fleißig Analysen zur Festlegung von Preisniveaus durchführen, jedoch zu wenig konkretes Wissen über Wertschöpfungspotenziale haben, die über reine Kosten hinausgehen.“ Lediglich Einsparungen bei Lieferanten zu suchen, könne im schlimmsten Fall dazu führen, dass diese an den falschen Enden sparen bzw. von Wettbewerbern überholt werden.
Während in diesem Bereich die geringsten Wertschöpfungspotenziale zu finden sind (im Schnitt vier bis zehn Prozent), zeichnet sich das andere Ende der Matrix sowohl durch umfassende Kostenvorteile als auch hohe Innovationskraft aus. Das bedeutet, dass Einsparungen im hohen zweistelligen Bereich oder signifikante Umsatzpotentiale realisiert werden. Prominentes Beispiel ist der Elektroautohersteller Tesla, der in Zusammenarbeit mit Lieferanten neue Möglichkeiten der Elektrotechnik und Digitalisierung für das Auto fruchtbar macht und den Automobilmarkt neu aufrollt.
„Viele Unternehmen haben noch einen weiten Weg vor sich, bis sie die wertschöpfenden Potenziale disruptiver Beschaffung zur Gänze ausschöpfen können“, konstatiert Schuh. „In einem ersten Schritt müssen Unternehmenslenker kritisch analysieren, wo die eigene Einkaufsabteilung steht, in welches Feld man sich entwickeln kann und ob die benötigten Management-Kompetenzen und umfassende Rückendeckung aller Unternehmensbereiche vorliegen“.
Ein Lieferanten-Fitness-Programm oder ein durchdachter Wertschöpfungsplan sei für die meisten Unternehmen bereits eine angemessene erste Maßnahme. Dem Einkäufer selbst empfiehlt Schuh, sich in die Perspektive eines Branchen-Neulings zu versetzen und das Gespräch bei Lieferanten vor Ort zu suchen: „Schon die alten Wahrnehmungsmuster zu durchbrechen und mit den Lieferanten in ihren Wirkungsstätten zu sprechen, setzt wichtige Energien frei und zeigt Innovationspotenziale, auf die Unternehmen bei der derzeitigen disruptiven Marktlage nicht verzichten können.“

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