Durchstarten statt Durcheinander: Mit Agilität erfolgreicher arbeiten

Agile Methoden haben bei einigen CIOs den Ruf, für Chaos in der Firmenstruktur zu sorgen. Dabei sind sie ein guter Ansatz, neuen Herausforderungen zu begegnen. [...]

Geht es um den Einsatz agiler Methoden, hinken deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich hinterher (c) pixabay.com

Lange als Buzzword gehandelt, ist das Thema Agilität mittlerweile in vielen Unternehmen angekommen. Auch in Deutschland haben zahlreiche Organisationen agile Methoden in ihre Strukturen und Prozesse integriert. Doch eine McKinsey-Analyse zeigt: Deutschland hinkt im Vergleich zu anderen Ländern deutlich hinterher. Insbesondere Unternehmen aus den skandinavischen Ländern, aber auch einige osteuropäische Pendants, haben die Transformation hin zu mehr Agilität schon deutlich weiter vorangetrieben als die großen hiesigen Unternehmen. So liegt der Anteil der erfolgreichen Transformationen hierzulande bei 17 Prozent, wohingegen im globalen Vergleich nahezu jede dritte Transformation erfolgreich ist – eine enorme Herausforderung und Chance für CIOs und weitere Stakeholder.

Wollen deutsche Unternehmen aufholen, müssen sie einen Mentalitätswandel schaffen. Traditionell stützen sich Unternehmen hierzulande vor allem auf eine unternehmensinterne Kontrolle und eine starke Hierarchie. Dieser Fokus behindert veränderungsbereite Führungskräfte bei ihrem Vorhaben, agile Arbeitsweisen und die erforderliche Haltung im Unternehmen zu verankern. Leider hat die Corona-induzierte Flexibilität der Agilität noch nicht den gewünschten Schub gegeben. Gerade in Skandinavien ist dies häufig anders: Flache Hierarchien, schnelle Entscheidungswege ohne unnötige Bürokratie und bewusst schlanker gehaltene interne Kontrollsysteme fördern die Entwicklung.

Noch keine ganzheitlichen Agilitätskonzepte

Zwar gibt es in vielen Unternehmen Initiativen, ausgewählte Bereiche agiler zu gestalten. Doch häufig bleibt es bei Einzelinitiativen für wenige isolierte Teile. Das Konzept findet keine Nachahmer über die gesamte Struktur hinweg. So wird verhindert, dass sich agile Methoden ganzheitlich auf Geschäftsprozesse übertragen lassen. Eine bestimmte Einheit mag zwar Fortschritte machen und effizienter arbeiten, die gesamte Arbeitssystematik des Unternehmens ändert sich dadurch jedoch nicht. Dabei reicht es bei weitem nicht, agile Termini wie „Sprints“ und „Backlogs“ sowie Zeremonien (zum Beispiel Stand-ups und Demos) in den Alltag einzubauen.

Die Erhebung von McKinsey zeigt das Ausmaß des deutschen Rückstands: In einem von vier Unternehmen gibt es keine Pläne, das Unternehmensmodell zu transformieren. Die Sektoren, die bereits eine ganzheitliche Transformation hin zu mehr Agilität angestoßen haben, sind in erster Linie Unternehmen aus den Bereichen Finanzen und Telekommunikation.

Doch was droht Unternehmen, die sich dem Wandel verweigern oder denen die Umsetzung nicht gelingt? In erster Linie riskieren sie, von zunehmender Komplexität erdrückt zu werden. Die Konsequenzen der Corona-Krise, die immer weiter fortschreitende Digitalisierung, neue Herausforderungen in globalen Lieferketten oder die in vielen Bereichen zunehmende Geschwindigkeit – oft von Kunden eingefordert – sind nur einige der aktuellen Beispiele.

Schon jetzt haben viele Unternehmen Schwierigkeiten, sich optimal zu organisieren. Die Time-to-Market verlängert sich, viele Unternhemen können bei aktuellen Trends nicht mehr mit der nötigen Geschwindigkeit mitgehen und Startups laufen ihnen bei speziellen Produkten den Rang ab. Der wahrscheinlich langfristig gravierendste Effekt: Unternehmen, die nicht wirklich agil denken und handeln, können die erforderlichen Talente nicht anziehen und halten.

Schnell reagieren und dabei stabil bleiben

Agilität ist die Fähigkeit, sich schnell an Veränderungen anzupassen und dabei ein stabiles, effizientes und standardisiertes Geschäftsmodell als starkes Rückgrat zu haben. Diese Kombination bietet der Unternehmensorganisation klare und gewinnbringende Vorteile: Startups können typischerweise schnell auf Veränderungen reagieren, ihnen fehlt aber die stabile Basis. Unternehmen, die diese zwar haben, aber nur sehr langsam auf Veränderungen reagieren können, sind häufig in ihrer eigenen Bürokratie gefangen. Nur Unternehmen, die in beiden Variablen auftrumpfen, sind wirklich agil.

Gerade im Technologiebereich muss diese Maxime gelten: Dem immer rasanteren technologischen Wandel, der nahezu exponentiell steigenden Anzahl insbesondere von Cloud-basierten Services und den gleichzeitig zunehmenden Herausforderungen in puncto Cyber-Sicherheit müssen Firmen durch agiles Denken und Handeln begegnen. Statt lange laufenden Programmen, vermeintlicher Top-Down-Kontrolle und vielfältigen Übergaben müssen die tatsächlich kompetenten Teams Verantwortung übernehmen und Agilität zu ihrem Kernprinzip machen.

Auch wenn einige Unternehmenslenker das Thema Agilität noch als Wortblase abtun, sind auch positive Beispiele identifizierbar: Insbesondere die zunehmende Digitalisierung und Elektrifizierung der Automobil- und Zuliefererbranche hat eine breite Diskussion über neue Arbeitsmethoden ausgelöst. Die Firmenchefs der deutschen OEMs und Zulieferer haben erkannt, dass sich nicht mehr alles zentral organisieren und kontrollieren lässt. Aber wie können agile Arbeitsweisen möglichst reibungsfrei implementiert werden?

Agile Methoden: Das Top-Team in der Pflicht

Grundsätzlich gilt, dass nicht nur die CIOs, sondern das gesamte Topmanagement die Bedeutung und Funktionsweise von agilen Arbeitsmethoden verstehen und unterstützen muss. Entscheider sollten genügend Zeit aufbringen, um das Thema Agilität selbst zu durchdringen und die Funktionsweise sowie die Umsetzung im eigenen Betrieb zu erörtern und zu planen.

Bei der Evaluation sollten vor allem diese Fragen im Mittelpunkt stehen: Was soll mit Agilität erreicht werden und wie kann Agilität dazu beitragen, die Strategie umzusetzen? Eine solche Vorlaufzeit kann je nach Entwicklungsstand durchaus sinnvoll sein. Grundsätzlich ist es wesentlich effizienter, sich ein ganzheitliches Konzept für die gesamte Organisation zu überlegen, statt Agilität punktuell als Dauertest laufen zu lassen. So können Unternehmen agile Methoden in die bekannten Prozesse einbringen und die gesamte Organisation effizienter gestalten.

Mit dem beschriebenen Ansatz konnte ein Unternehmen beispielsweise eine klassische „Demand-Supply“-IT mit hohem Anteil externer Dienstleister konsequent in eine „Produktorganisation“ überführen. So übernahmen beispielswiese 90 Produktteams eines Unternehmens mit den Produktverantwortlichen aus den Fachbereichen die gesamte Verantwortung für alle Software- und Analytik-basierenden Kompetenzen. Ganz ohne Aktionismus wurde dabei vor allem auf den Auf- und Ausbau der technischen Fähigkeiten in den Teams geachtet und Agilität mit einem Schwerpunkt auf messbaren Kundenerfolg umgesetzt. Diese agile Transformation war der Schlüssel zur erfolgreichen Bewältigung zahlreicher Aufgaben, insbesondere auch während der Coronakrise.

Doch die Implementierung agiler Arbeitsweisen ist kein Selbstläufer: Häufig zeigt sich, dass die Entscheidung für oder wider Agilität je nach Anwendungsfall in die entsprechenden Bereiche herunterdelegiert wird. Es fehlen klare Vorgaben, was innerhalb der Teams zu Unsicherheit und Effizienzverlusten führt.

Im schlechtesten Fall werden die Prozesse am Ende noch ineffizienter. Diese Entwicklungen zeigen, dass die notwendige Konsequenz für einen Wandel hin zu mehr Agilität in den Führungsetagen in zahlreichen Fällen noch fehlt – zu groß sind die Skepsis und die Sorge, Kontrolle abzugeben. Ohne diese Bereitschaft der gesamten Führungsspitze, den Wandel anzustoßen und konsequent voranzutreiben, funktioniert es aber nicht, selbst wenn CIOs sich dem Thema aktiv annehmen.

Leadership-Ansatz führt zum Erfolg

Unternehmen brauchen also beides: Teststellungen, um agile Arbeitsweisen innerhalb der Organisation auszuprobieren, aber auch das Commitment der Entscheider für die breite Implementierung von Agilität. Häufig haben Mitarbeitende auf dritter oder vierter Hierarchie-Ebene bereits viel Leidenschaft und Zeit investiert; für einen durschlagenden Erfolg fehlt jedoch der entscheide Anstoß von oben. Bleibt die Top-Down-Vorgabe aus, verzetteln sich Unternehmen in den vielen unterschiedlichen möglichen Ansätzen, wie Agilität gelebt wird, was zu Problemen an den Schnittstellen mit nicht-agilen Bereichen führt.

Ein wichtiger Baustein beim Einführen agiler Arbeitsweisen ist die transparente Ergebnismessung. Teams sollten sich nicht daran messen lassen, wie viele Funktionsanfragen sie umgesetzt haben, sondern an dem tatsächlichen Geschäftsergebnis, beispielsweise mehr Kundeninteraktion, geringere Stück- und Prozesskosten oder höhere Konversionsraten. Wenn die Organisation lernt, auf den Ergebnisbeitrag statt auf Durchsatz und Produktivität zu achten, motiviert das auch die Teams und erlaubt mehr Eigenständigkeit und Autonomie.

Agilität ist der Turbo, der es Unternehmen ermöglicht, mit der neuen Geschwindigkeit der Weltwirtschaft Schritt zu halten. Je länger Organisationen eine breiten Einsatz agiler Methoden hinauszögern, desto schwieriger wird die bereichsübergreifende Zusammenarbeit. Es ist deshalb Zeit, Agilität nicht mehr fälschlicherweise als ein chaotisches Modell zu begreifen, das eine funktionierende Struktur aus dem Gleichgewicht bringt – Stichwort: „Never change a winning team“ – sondern als Antwort auf die zahlreichen neuen Herausforderungen. Wichtig dabei ist Klarheit, in der Strategie ebenso wie in den Prozessen und Funktionen. Nur so lässt sich die bereichsübergreifende Flexibilität im nötigen Umfang erreichen. Es ist Zeit, diese Klarheit in allen Bereichen zu schaffen und weiter voranzutreiben.

*Dr. Kirsten Weerda ist Partnerin bei der Unternehmensberatung McKinsey im Münchner Büro. Die Agilitäts-Expertin unterstützt seit 2000 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen dabei, flexible Organisationsmodelle umzusetzen.

**Karel Dörner ist Senior Partner im Münchner Büro von McKinsey. In leitenden Funktionen bei McKinsey Digital und als Mitbegründer von ebay Europe hat er den Online- und Multichannel-Commerce in Deutschland entscheidend geprägt.


Mehr Artikel

Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, über die Digitalisierung im Mittelstand und die Chancen durch Künstliche Intelligenz. (c) timeline/Rudi Handl
Interview

„Die Zukunft ist modular, flexibel und KI-gestützt“

Im Gespräch mit der ITWELT.at verdeutlicht Gregor Schmid, Projektcenterleiter bei Kumavision, wie sehr sich die Anforderungen an ERP-Systeme und die digitale Transformation in den letzten Jahren verändert haben und verweist dabei auf den Trend zu modularen Lösungen, die Bedeutung der Cloud und die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Unternehmenspraxis. […]

News

Richtlinien für sichere KI-Entwicklung

Die „Guidelines for Secure Development and Deployment of AI Systems“ von Kaspersky behandeln zentrale Aspekte der Entwicklung, Bereitstellung und des Betriebs von KI-Systemen, einschließlich Design, bewährter Sicherheitspraktiken und Integration, ohne sich auf die Entwicklung grundlegender Modelle zu fokussieren. […]

News

Datensilos blockieren Abwehrkräfte von generativer KI

Damit KI eine Rolle in der Cyberabwehr spielen kann, ist sie auf leicht zugängliche Echtzeitdaten angewiesen. Das heißt, die zunehmende Leistungsfähigkeit von GenAI kann nur dann wirksam werden, wenn die KI Zugriff auf einwandfreie, validierte, standardisierte und vor allem hochverfügbare Daten in allen Anwendungen und Systemen sowie für alle Nutzer hat. Dies setzt allerdings voraus, dass Unternehmen in der Lage sind, ihre Datensilos aufzulösen. […]

Be the first to comment

Leave a Reply

Your email address will not be published.


*