Die Digitalisierung hält Einzug in die Lagerhallen. Veränderte Erwartungshaltungen der Kunden lassen sich nur mit neuen Technologien bedienen, deren Nutzen und Reifegrad für die Unternehmen nicht leicht zu beurteilen sind. Doch stehen kleine und mittelständische Unternehmen der Digitalisierung durchaus skeptisch gegenüber. [...]
Die Bedenken sind groß, dass sich KMU durch Digitalisierungsprojekte in ein „Korsett“ einschnüren, das ihre Flexibilität dämpft. Allerdings bieten Einschätzungen von Experten hilfreiche Unterstützung bei der Digitalisierung; die Grundlage für die Technologieauswahl sollte daher die jeweilige Digitalisierungsstrategie des Unternehmens sein. Ein modernes, hoch kompatibles Warehouse-Management-System sichert die Integration und die Vernetzung mit vor- und nachgelagerten Systemen. Am Ende steht ein digitalisiertes Unternehmen – ob Konzern oder KMU – gestärkt da und ist in der Lage, flexibler auf Kundenanforderungen und Auftragsänderungen zu reagieren.
Technologien für die Lagerlogistik mussten früher vor allem eines sein: robust. Wenngleich Staub- und Stoßbelastung im Lager noch immer eine Rolle spielen, ist doch der Wandel nicht zu übersehen: Neue Technologien entwickeln sich sprunghaft und sind in erster Linie – smart. Es geht um autonome Fahrsysteme, Roboter, mobilen Datenzugriff nicht nur für Mitarbeiter, sondern auch für Kunden; Echtzeitdaten und durchgehende Informationsflüsse innerhalb der Supply Chain. Gleichzeitig ist eine neue Art der Widerstandsfähigkeit gefragt: Schutz gegen Cyberattacken, Ausfallsicherheit der Systeme.
Treiber der Entwicklungen ist das veränderte Käuferverhalten. Endkunden erwarten, jederzeit auch online und mobil Bestellungen aufgeben, Zeit und Ort der Lieferung selbst wählen zu können; sie wollen schnell und zuverlässig beliefert und über den Status der Lieferung informiert sein. Das überträgt sich mehr und mehr auch auf Bestellungen im B2B Bereich und wirkt sich auf die Produktion aus. Auch in der Industrie geht der Trend hin zur kundenspezifischen Fertigung bis hin zur Losgröße 1 im Sinne von Industrie 4.0.
Mit mobiler Datennutzung schneller kommissionieren
Die Lagerlogistik großer Konzerne, aber auch von KMU, muss sich also auf eine wachsende Anzahl an Online-Bestellungen, kürzere Liefer- und Rückgabeintervalle, kleinteiligere Sendungen und Operieren mit Echtzeit-Daten einstellen und braucht dazu die neuen Technologien. Doch wie sind deren Potenziale zu bewerten, wo die Schwerpunkte zu setzen? Wenn man – trotz branchenbestimmter Schwankungen – davon ausgeht, dass die Kommissionierungskosten etwa 50 Prozent der Lagerhaltungskosten ausmachen und der Aufwand aufgrund der genannten Tendenz zu mehr und kleineren Lieferungen eher wächst, so ergibt sich hier ein hoher Bedarf an technologischer Unterstützung.
Tatsächlich ist die Artikelsuche anhand ausgedruckter Listen nicht mehr wettbewerbsfähig. Systeme wie Pick by Voice oder Pick by Light, die Mitarbeitern helfen, schnell und mit sehr viel geringerer Fehlerrate zu kommissionieren, sind schon seit mehreren Jahren im Einsatz, ebenso wie mobile Geräte. Wearables wie Westen oder Smart Watches werden erprobt, Augmented Reality (AR) Lösungen z. B. Datenbrillen (Pick by Vision) versprechen Potenzial für die Zukunft.
Kollege Roboter – die Lagerhalle der Zukunft
Doch die schiere Menge an Paketen, die sich allein aus dem ständig wachsenden Online-Handel ergibt, ist allein durch menschliche Arbeitskraft nicht mehr zu bewältigen. Selbst wenn man Pick-Fehler weitgehend ausschließen könnte, ist doch die Strecke, die ein Mensch pro Tag zurücklegen kann, begrenzt. Ohne Roboter und autonome Transportsysteme geht es künftig nicht mehr. Wie die Arbeit im Lager der Zukunft aussehen könnte, lässt sich heute bereits in den Logistikzentren des Branchenriesen Amazon, etwa in DuPont, USA, beobachten: Überdimensionale Lastarm-Roboter im Wareneingang, Hochregallager, ein Geflecht von Förderbändern und daneben der Roboterbereich. Flache, orangefarbene Roboter – klein und wendig genug, um flink unter den Regalen hindurchfahren zu können, aber stark genug, um ganze Regale anzuheben und zu einem Mitarbeiter zu bewegen, der dann die einzelnen Artikel entnimmt. Es gibt – andernorts – auch bereits Pick-Roboter, die stückgenau greifen können, wie zum Beispiel den vom Start-up Magazino entwickelten Roboter Toru, der mittels integrierter Kamera und Computer-Algorithmen selbstständig in freien Räumen navigieren und einzelne, quaderförmige Gegenstände wie Bücher aus dem Regal entnehmen kann.
Sensorik und Echtzeitdaten
Am European 4.0 Transformation Center der RWTH Aachen konzentrieren sich Forschungsinstitute und Industrieunternehmen auf die „automatisierte Informationslogistik innerhalb einer Fabrik“. Thomas Gartzen, Prokurist der European 4.0 Transformation Center GmbH, sieht neben den bereits erwähnten Technologien der Informationsbereitstellung für Mitarbeiter (über Wearables und mobile Devices) und Robotik einen dritten Trend: die Erzeugung von Echtzeitinformationen über den Lager- und Lieferzustand durch Sensorik. Auch die aktuelle Studie der Bundesvereinigung Logistik (BVL) zu „Trends und Strategien in Logistik und Supply Chain Management“4 bescheinigt Sensoriklösungen eine mittlere bis hohe Relevanz. Neben Informationen zu Temperatur, Erschütterung oder Luftfeuchte lieferten sensorische Systeme auch Daten zu den Betriebszuständen für eine vorausschauende Wartung.
Expertenbewertungen helfen bei der Einschätzung einzelner Technologien
Auch wenn sich Schwerpunktthemen ausmachen lassen, dürften die meisten Anwender mit der Bewertung der einzelnen Technologien überfordert sein. Hier helfen Experten-Einschätzungen. Die erwähnte BVL-Studie identifiziert aktuelle Trends, bewertet 26 Technologiekonzepte nach ihrer Bedeutung in den Unternehmen und dem Grad der Umsetzung und erlaubt so eine Einschätzung, welche der Technologien in den nächsten Jahren verstärkt eingeführt werden.
In einer Arbeitsgruppe „Digitalisierung im Lager“ der Bundesvereinigung Logistik (BVL)5 –untersuchen Experten der Automobil-, Handels- und Logistikbranche gemeinsam mit der Unternehmensberatung Capgemini 30 aktuelle Technologien, strukturiert nach den vier Technologiefeldern: Cyber-physische Systeme, Fördermittel und –systeme, Identifikationstechnologien sowie automatisierte Prozessanlagen. Es folgt eine Bewertung der Technologien hinsichtlich Effizienz, Marktreife, Nutzbarkeit, Stabilität und Arbeitssicherheit. Die Ergebnisse sollen dann auf dem Deutschen Logistikkongress im Oktober 2017 vorgestellt werden.
Digitalisierungsstrategie
Studien und Experten-Einschätzungen bieten wertvolle Hilfe zur Beurteilung der einzelnen Technologien, ersetzen aber natürlich nicht die Erarbeitung einer eigenen Digitalisierungsstrategie im Unternehmen. Die Digitalisierung der Lagerlogistik ist letztlich nur ein Teilbereich. Ausgangspunkt ist die Frage nach dem Mehrwert für die Kunden. Was wünschen unsere Zielgruppen? Was wird schon bald zum Branchenstandard und welchen Service wollen wir künftig bieten, um uns vom Wettbewerb abzuheben? Dabei sollte die gesamte Supply Chain und die Vernetzung mit Lieferanten oder Kunden betrachtet werden.
Allerdings arbeiten gerade sehr kleine Firmen sowie Unternehmen des Mittelstandes nicht selten auch nach individuell erarbeiteten und bewährten Vorgehensweisen. Was sich mühevoll als produktiv für das jeweilige Unternehmen etabliert hat und als Flexibilitätsvorteil geschätzt wird, fürchten KMU-Unternehmer zuweilen durch Digitalisierung wieder zu verlieren oder zumindest einzuschränken. So wird die Digitalisierung als „Korsett“ gefürchtet, in das das Unternehmen gepresst wird. Angesichts einer somit befürchteten Schädigung der Flexibilität durch Digitalisierung, erscheinen entsprechende Projekte den Unternehmern wenig attraktiv: Der Aufwand wäre hoch – der Benefit allerdings äußerst zweifelhaft. Dennoch lohnen sich auch für KMU die Überlegung und der Schritt in Richtung Digitalisierung, um bislang noch schlummernde Potentiale zur Optimierung und Flexibilisierung der Lagerlogistik zu entdecken und zu nutzen. Maßgeblich sollten daher die Digitalisierungsstrategie und Zielsetzungen des Unternehmens sein. Wenn feststeht, welche Dienstleistungen und Verbesserungen angestrebt sind, lassen sich auch die in Frage kommenden Technologien eingrenzen.
Doch selbst die leistungsfähigsten neuen Systeme im Lager nützen nur, sofern sie integriert sind. Die Studie der BVL nennt Inkompatibilität mit bestehenden Systemen sogar als die größte Herausforderung bei der Einführung neuer Technologien. Als übergreifendes System kommt hier eine Lösung ins Spiel, die nicht neu ist, aber als höchst relevant eingestuft wird: ein Warehouse-Management-System (WMS). 56,7 Prozent der in der Studie befragten Unternehmen haben ein solches bereits im Einsatz. Ein WMS soll Bewegung-, Bestands- und Auftragsmanagement in Echtzeit abbilden. Entsprechende Lösungen wie z. B. storagement Echtzeit-WMS setzen dies um und ermöglichen durch modulare Erweiterbarkeit und Skalierfähigkeit auch die Einstellung auf das anwendende Unternehmen. So passt sich ein WMS flexibel dem Unternehmen an und kommt den Bedenken in KMU hinsichtlich möglicher Einschränkungen der Geschäftsprozesse entgegen.
Aus den oben genannten Entwicklungen ergeben sich zudem als weitere wesentliche Anforderungen für ein zukunftsfähiges Warehouse Management:
- Anbindung von Automatisierungslösungen zur Robotik, Förderanlagen-Steuerung, Anbindung automatischer Lagersysteme, künftig auch die Beauftragung und Führung von autonomen Transportsystemen (FTS) sowie Schnittstellen zu allen eingesetzten mobilen Datenübertragungslösungen.
- Algorithmen zur Anpassung der Lieferkonzepte auf kleine, individualisierte Losgrößen. Im Falle des WMS Systems storagement wird diese Anforderung zum Beispiel mit einem eigenen Versand-Optimierungs-System umgesetzt, das die aktuelle Kommissionierung „live“ in Abhängigkeit von den Auftragsstrukturen für die Versandabwicklung optimiert – vom einzelnen Schräubchen bis zur 40-Tonnen-Nachschublieferung. Ebenso lassen sich kundenindividuelle Dienste mit (Value Added Services) abbilden, Montage-Vorgänge nach Stücklisten steuern und detailliert abrechnen.
- Datenaustausch über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg, also auch mit Lieferanten, Partnern und Kunden sowie mit allen Systemen zur Erfassung von sensorischen und anderen Echtzeitdaten. Da es für die Schnittstellen keine Standards gibt, sollte ein WMS die gesamte Bandbreite der möglichen Schnittstellen zu vor- und nachgelagerten Systemen enthalten und an deren Logik anpassbar sein.
Weitere Anforderungen betreffen Hochverfügbarkeit, Datensicherung und Cloudanwendungen.
Mit einer auf die Belange des Unternehmens abgestimmten Digitalisierungsstrategie und einer flexiblen, möglichst modular aufgebauten WMS-Lösung sind Unternehmen für den Einsatz neuer Technologien in der Lagerlogistik gerüstet. Im Ergebnis können KMU wie große Konzerne von der Nutzung bisher unentdeckter Potentiale profitieren und Bedenken hinsichtlich einer möglichen Benachteiligung durch Digitalisierung zerstreuen.
*Stefan Brunthaler ist Geschäftsführer der Dr. Brunthaler Industrielle Informationstechnik GmbH.
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