Empathie ist eine digitale Kernkompetenz

Digitale Transformation ist kein Change. Wer mit den Methoden des Change-Managements herangeht, wird mittelfristig scheitern. [...]

Foto: GerdAltmann/Pixabay

Warum kommt die digitale Transformation in der Unternehmenspraxis so langsam voran? Das hat eine Vielzahl von Gründen. Vor allem drei Absenzen fallen oft schwer ins Gewicht: kritische Selbstwahrnehmung, Problemorientierung und das Verstehen der kulturellen Aspekte.

Erstens wird die eigene Digitalisierungsmaturität überschätzt, weil man sich selten mit den 10 Prozent der Vorreiter und praktisch nie mit den Besten der Welt vergleicht. Deshalb sehen gerade die digital rückständigen Unternehmen keinen Handlungsbedarf. 

Zweitens werden digitalen Technologien kaum je mit konkreten Problemen im Unternehmen verknüpft. Deshalb werden sie von den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen nicht als nützlich wahrgenommen. Drittens taucht die kulturelle Perspektive meist nur in der Form von Pappkameraden auf: Gewerkschaften und Datenschutz gelten als Blockierer, denen man die Schuld zuschieben kann. Deshalb werden echte Hindernisse übersehen.

So überraschend es ist: Die Unternehmen des Silicon Valley werden nicht als Benchmark angesehen. Oft heißt es „Ja, das kennen wir, das gibt es seit fünfzehn Jahren, für uns ist das ohne Bedeutung,“ Auf deutsch: Wir sind 15 Jahre zurück, aber das kümmert uns nicht, weil wir es kennen. Crazy, nicht?

So unbegreiflich es ist: Das Matching von Technologieinnovationen und Problemen findet in der Unternehmenspraxis kaum statt. Solch ein Matching wird höchstens auf Hackathons angestrebt. Große Ausnahme: Bei Symposien mit Experten und Expertinnen sowie Stakeholdervertretern habe ich tatsächlich intensive Diskussionen darüber erlebt, wie Digitalisierung existierende Probleme lösen könnte.

So sehr es dem Hausverstand widerspricht: Kultur und Empathie spielen zentrale Rollen in der digitalen Transformation. Führungskräfte müssen mit den Augen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und deren fachdisziplinären Wertekanon auf die digitalen Werkzeuge blicken, um zu verstehen, was die Transformation blockiert. Denn die digitale Transformation ist ein kultureller Prozess, der nur gelingt, wenn ethische Prinzipien neu interpretiert werden.

Traditionelles Change-Management versucht die Organisationskultur direkt durch Interventionen zu verändern. Doch das ist ungeeignet für die Bewältigung grundlegender Transformationen: Es ist, als würden Autofahrer-Anfänger dauernd die Position in der Kurve korrigieren, statt auf den Kurvenausgang zu schauen. Mit anderen Worten: die beste Voraussetzung für einen Crash.  

Gleichzeitig darf die Kultur aber nicht ignoriert werden, denn sie liefert wertvolle Informationen darüber, wie gut die Transformation funktioniert. Für viele Führungskräfte ist dieser Mix inakzeptabel: Sie sollen Kultur verstehen, sie dürfen sie nicht kontrollieren. Das widerspricht ihrem Gestaltungsanspruch. In der Folge gelingt es ihnen nicht, ihr Unternehmen digital vorwärtszubringen. Umdenken oder auf den Untergang warten, das ist hier die Frage.

*Reinhard Riedl lehrt als Professor an der Berner Fachhochschule BFH und leitet dort das transdisziplinäre Forschungszentrum „Digital Society“. Er be­schäftigt sich schwerpunktmäßig mit digitalen Ökosystemen.


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