„Entwickler sind noch lange nicht überflüssig“

Casey West ist bei Google als Lead Developer Advocate tätig. Sein Fokus liegt auf externen Entwickler, also Kunden, Partnern und die allgemeine Developer Community. Seit 2018 arbeitet er mit SAP zusammen. Die ITWelt.at traf Casey West Anfang November auf der TechEd in Berlin und sprach mit ihm darüber, wie KI den Developerbereich verändern wird. [...]

Casey West, Lead Developer Advocate bei Google (c) Google
Casey West, Lead Developer Advocate bei Google (c) Google

Der Tenor auf der Entwicklerkonferenz TechEd ist, dass KI Developer stärken und nicht ersetzen wird. Was ist Ihre Meinung dazu?

Für mich ist die pauschale Aussage, dass Entwickler durch KI ersetzt werden können, ein großes Missverständnis. Ich glaube, dass unerfahrene, unprofessionelle Entwickler tatsächlich durch KI ersetzt werden könnten, da ich ja KI in meiner eigenen Erfahrung quasi als „unerfahrenen und unprofessionellen Entwickler“ betrachte.

Um KI zu einem wirklich kompetenten, professionellen Entwickler zu machen, der produktionsreife Unternehmensanwendungen erstellt, bedarf es der nötigen Skills, des Fachwissens und der Aufsicht von sehr fähigen Ingenieuren. Nach meiner jüngsten Erfahrung mit Gemini bin ich sicher, dass meine berufliche Karriere nicht gefährdet ist – das Modell leistete zufriedenstellende Arbeit, erforderte aber umfangreiche Aufsicht, Hilfestellung und Korrekturen. Die Perspektive von SAP, Daten und Geschäftsprozesse in den Kontext des Modells einzubringen, ist besonders wichtig für den Aufbau von Geschäftsanwendungen, die den tatsächlichen Anforderungen der Benutzer und des Kontexts entsprechen. Um eine Lösung – selbst eine, die zum Teil von KI erstellt ist – in Produktion zu bringen, sind hochentwickelte und erfahrene Entwickler erforderlich, die den Prozess leiten und überwachen.

Die Governance-Guardrails und Metriken zur Bestimmung des Erfolgs der Softwareentwicklung verschieben sich. Traditionelles Testen stützte sich auf deterministische Szenarien (Unit- und Integrationstests) für deterministische Systeme. Dies gilt im Zeitalter der KI nicht mehr, da Lösungen unter Verwendung natürlicher Sprache erstellt und an ein nicht-deterministisches Modell übergeben werden, das auf eine unerwartete Weise handeln kann. Die sich ändernden Guardrails erfordern mehr Evaluierung. Eine LLM wird im Wesentlichen gebeten, ein gewisses Maß an Kreativität, menschlichem Denken und Argumentation in eine Geschäftsanwendung einzubringen. Um dies zu tun, muss die Effektivität evaluiert werden. KI-Evaluierungen – ein wachsender Bereich, der missionskritisch ist, um in Produktion zu gehen – sind notwendig und erfordern talentierte Ingenieure. Ich glaube, dass Entwickler noch lange nicht überflüssig sind.

Wir verlangen eine Endkontrolle durch den Menschen. Doch wenn immer ein Mensch das System beziehungsweise die Ergebnisse prüft, stoppt das die Automatisierung. Wie gehen Sie damit um?

Menschliche Kontrollpunkte sind notwendig, müssen aber so begrenzt wie möglich sein. Ein Mensch sollte nur dann in einen automatisierten Prozess eingeführt werden, wenn ein strategischer Bedarf besteht, dass er zu einem sehr spezifischen Zeitpunkt eine Gegenprüfung vornimmt. Oftmals führt die Platzierung eines human-in-the-loop dazu, dass dieser die Analyse selbst durchführen muss. Die Verwendung von Modellen wie Gemini und Daten aus Systemen wie SAP ermöglichen viel mehr Analyse im Vorfeld durchzuführen. Diese Vorabanalyse bedeutet, dass nicht bei jeder Interaktion ein Mensch in the loop benötigt wird. Wird Systemen in hohem Maß vertraut können sie hochentwickelte Tests und Argumentationen zusammen mit vorab festgelegten Guardrails nutzen, um autonome Entscheidungen zu treffen. Nur wenn das Vertrauen gering ist, muss auf den Menschen zurückgegriffen werden. In diesem Fall muss der Mensch so effizient wie möglich eingesetzt werden, indem ihm der gesamte notwendige Kontext zur Verfügung gestellt wird, um eine schnelle und vor allem fundierte Entscheidung treffen zu können, anstatt nur einen Knopf zu drücken. Denn Agentic Automation ist eine der wichtigsten neuen Möglichkeiten.

Wie unterstützt Google Cloud SAP-Kunden, die Offenheit und starke Garantien für die Daten-Governance gemäß dem neuen KI-Gesetz (EU AI Act) benötigen?

SAP ist einer der Softwareanbieter, die Hyperscaler wie Google dazu zwingen, Offenheit und Mobilität einzuhalten. Google nimmt Interoperabilität und die konsequente Einhaltung von Standards sehr ernst. Zum Beispiel kann ein Kunde, der auf Google Kubernetes Engine (GKE) bereitstellt, dieselbe Lösung auch bei einem anderen Anbieter wie EKS (Amazon Elastic Kubernetes Service) oder AKS (Azure Kubernetes Service) bereitstellen. Google unterstützt Kunden, die Multi-Cloud-Strategien benötigen, indem sichergestellt wird, dass sie die notwendigen Werkzeuge dafür haben, was durch Googles Investitionen in die CNCF (Cloud Native Computing Foundation) belegt wird, wie das ja auch SAP macht.

In Bezug auf KI, Daten und Datenlokalität konzentriert sich Google stark auf Governance und Compliance innerhalb seiner Rechenzentren, die auch in mehreren EU-Regionen stehen, und bietet regionsspezifische Konfigurationen für die meisten Datendienste, sodass Kunden die globale Replikation deaktivieren können.

Was ist Ihre Meinung zu „Vibe Coding“? Ist es für Business User geeignet?

Ich glaube nicht, dass „Vibe Coding“, so wie es derzeit verstanden wird, geeignet ist. KI-gestützte Codierung ist absolut geeignet. Aber es ist nicht geeignet, Business Usern die ungeprüfte Möglichkeit zu geben, alles zu bauen, was sie wollen. Lösungen erfordern Aufsicht und Guardrails.

Arbeitet Google an Small Language Models (SLMs)?

Ja, Google arbeitet an SLMs. Gemini Nano läuft auf TPUs (Google Tensorprozessoren) und Pixel-Telefonen, ist jedoch hardwarebeschränkt. Darüber hinaus bieten wir Gemma-Modelle (produziert von DeepMind) als offene Modelle in verschiedenen einbettbaren Größen an. Google glaubt an SLMs. Die Hauptmöglichkeiten bei Gemma liegen im Fine-Tuning und der Abstimmung des eigenen Modells. Gemma-Modelle beginnen bei Basisgrößen wie 270 Millionen oder 4 Milliarden Parametern. SLMs bieten große Möglichkeiten, insbesondere am Edge für Anwendungen wie Logistik, Fertigung und On-Device-Support.

Erwarten Sie, dass viele KI-Funktionen als SaaS-Lösungen verfügbar werden? Das ist derzeit bei größeren SaaS-Anwendungen wie SAP und Salesforce zu beobachten, aber Google scheint diesbezüglich zurückhaltender zu agieren.

Ich erwarte, mehr KI-Funktionen in SaaS. Viele Google-Lösungen, einschließlich Funktionen in Gmail und der Google Suche, sind seit Jahren KI-gestützt, obwohl Google dies früher nicht öffentlich betont hat. Ein kleinerer Prozentsatz der Agentic Solutions, bei denen ich Unternehmen unterstützt habe, ist Chat-basiert. KI-Lösungen werden definitiv in SaaS auftauchen, aber nicht unbedingt auf die Art und Weise, wie Konsumenten typischerweise mit KI interagieren.


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