Wissenschaftler und Techniker wollen den Tod abschaffen und die Menschen unsterblich machen. Die jüngsten Erfolge rücken den heiligen Gral in greifbare Nähe. [...]
1986 sang Freddie Mercury „Who Wants to Live Forever?“, und nicht nur Fans der Rockband Queen gerieten ins Träumen: Ewiges Leben – das wär‘ schon was! Bislang war nichts sicher, nur der Tod. Wir mussten nichts tun, außer sterben. Doch die Wissenschaftler und Techniker des 21. Jahrhunderts schwingen sich auf, diese Gewissheiten ins Wanken zu bringen. Sie wollen den Tod abschaffen und den Menschen Unsterblichkeit schenken.
Ansätze dafür gibt es viele. Die Alphabet-Tochter Calico forscht beispielsweise an Medikamenten gegen Alterskrankheiten und sucht den Schlüssel für ein übermenschlich langes Leben in DNA-Profilen. Außer einigen kryptischen Zielformulierungen ist bislang nicht viel zu hören aus dem Silicon Valley, vor allem keine konkreten Ergebnisse. Anderenorts scheint man bereits weiter zu sein.
Epigenetik: Die biologische Uhr zurückdrehen
Seit 30 Jahren forscht der in Frankfurt am Main geborene Steve Horvath in Kalifornien – heute als Professor für Humangenetik und Biostatistik an der renommierten UCLA. Er ist davon überzeugt, dass es zeitnah Medikamente geben wird, die uns verjüngen. Die zugrundeliegende Wissenschaft, die die menschliche Uhr zurückdrehen soll, heißt Epigenetik. Einfach ausgedrückt bestimmt die Epigenetik, welche Gene der DNA-Sequenz aktiv sind und welche nicht.
Obwohl eineiige Zwillinge genetisch identisch sind, entwickeln sie sich im Laufe ihres Lebens durch Umwelteinflüsse, Gewohnheiten usw. in verschiedene Richtungen – und in gleichem Maße verändern sich auch ihre epigenetischen Codes. Dadurch lässt sich erklären, weshalb sich die Sehstärke der Zwillinge nicht im Gleichschritt verschlechtert oder nur ein Zwilling (und nicht beide) eine Krankheit wie Diabetes entwickelt. In jungen Jahren sind kaum Unterschiede messbar – mit zunehmendem Alter unterscheiden sich die epigenetischen Codes von Zwillingen immer stärker. Als Bindeglied zwischen Umwelteinflüssen und Genen bestimmt die Epigenetik demnach die Genregulation.
Ausgangspunkt für Horvaths Optimismus, dem Tod bald ein Schnippchen schlagen zu können, ist die epigenetische oder „Horvathsche Lebensuhr“, ein Algorithmus, mit dem das biologische Alter eines Menschen mit großer Genauigkeit bestimmt werden kann. Zudem ist eine statistische Voraussage der höchstmöglichen Lebenserwartung möglich. Hierfür braucht es nicht mehr als eine Zellprobe. Laut Horvath lebt der Mensch länger, wenn seine molekulare Uhr langsamer tickt. Eine solche Verlangsamung soll medikamentös möglich werden.
Zumindest im Einzelfall wurde belegt, dass die Uhr sogar zurückgedreht werden kann. Nachdem einem Freiwilligen über mehrere Monate ein spezieller Wirkstoff-Cocktail injiziert wurde, ließ Horvath verlautbaren: „Er ist zwei Jahre jünger geworden – nur in ein paar Monaten.“ Eine wissenschaftliche Sensation. Nachdem in der jüngeren Vergangenheit der Alterungsprozess von Tieren bereits signifikant verzögert werden konnte, wurde nun erstmals die Verjüngung eines Menschen nachgewiesen.
Zu ähnlichen Ergebnissen kam ein Forscherteam des Immunologen Dr. Gregory M. Fahy, der ebenfalls mit Horvath in Los Angeles zusammenarbeitet: Bei neun Männern im Alter von 51 bis 65 Jahren wurden nach der Behandlung positive Effekte auf die Alterungsprozesse festgestellt. Auch für die Forscher an der UCLA waren die spektakulären Ergebnisse eine Überraschung, obwohl die Studie nur mit wenigen Probanden durchgeführt wurde. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Wirkung auch in der nun geplanten, großangelegten Studie bestätigt. Aber die Epigenetik lässt hoffen, dass die Uhren beim chronologischen und biologischen Alter zukünftig verschieden ticken.
Kryonik: Eingefroren in die Zukunft
Wer nicht genug (Lebens-)Zeit hat, um auf den Durchbruch der Epigenetik zu warten, kann seine Hoffnung auf die Zukunft setzen. Heute ist der Mensch noch zum Sterben verdammt, aber in hundert, zweihundert oder fünfhundert Jahren ist die Wissenschaft möglicherweise in der Lage, lebensbedrohliche Krankheiten zu besiegen, den Alterungsprozess aufzuhalten und unser Leben auf unbestimmte Zeit zu verlängern. Hier kommt die Kryonik oder Kryokonservierung ins Spiel: Wer das nötige Kleingeld hat, kann seinen Körper nach dem Tod einfrieren lassen – in der Hoffnung von den weiterentwickelten Nachfahren wieder ins Leben zurückgeholt zu werden.
Klingt nach lauwarmer Science-Fiction? Ist aber eiskalte Realität! Eine Handvoll Firmen bieten die Krykonservierung bereits an. Das amerikanische Cryonics Institute hat laut eigener Aussage schon mehr als 150 Patienten eingefroren, die Alcor Life Extension Foundation exakt 181 Patienten, und das russische Unternehmen KrioRus wirbt mit 74 Menschen und 42 Haustieren, die bislang auf Eis liegen. Die aufwändige Lagerung bei minus 160 bis 200 Grad Celsius ist allerdings kostspielig: Zwischen 40.000 und 200.000 US-Dollar werden fällig. Wer Geld sparen möchte, kann auch lediglich seinen Kopf oder sein Gehirn konservieren lassen – muss dann allerdings darauf hoffen, dass sein Körper in der Zukunft geklont oder anderweitig ersetzt werden kann.
Das Prinzip Hoffnung spielt bei Kryonik-„Patienten“ ohnehin eine große Rolle. Denn sobald der Tod eintritt, beginnen im Körper und vor allem im Gehirn Zerfallsprozesse zu wirken. Vergeht zu viel Zeit bis zur Konservierung, ist demnach auch für die Zukunft nicht mehr viel zu retten. In Deutschland schreiben die Leichenschaugesetze vor, dass der Tod anhand sicherer Todeszeichen festgestellt werden muss: Leichenflecke, Totenstarre oder Fäulnis. Als erstes, nach 20 bis 30 Minuten, werden die Leichenflecke sichtbar. Nach Eintritt des Todes vergeht demnach mindestens eine halbe Stunde bis der „Patient“ eingefroren werden kann – wahrscheinlich zu viel Zeit, um ein einigermaßen intaktes Hirn zu konservieren.
Doch nicht nur deshalb wird die Kryonik mehrheitlich kritisch gesehen: Viele Wissenschaftler halten es für unmöglich, einen verstorbenen Körper zurück aus dem Eis und anschließend wieder ins Leben zu holen. Hinzu kommen viele offene Fragen, die sich auch stellen, wenn die Methode eines Tages erfolgreich ist: Gibt es die Kryonik-Unternehmen in hundert oder zweihundert Jahren überhaupt noch? Und wenn nicht, was passiert in der Zwischenzeit mit den „Patienten“? Wer fühlt sich in der Zukunft dafür verantwortlich, die Menschen wieder aus dem Eis zu holen? Wer kommt für die Kosten der Reanimation und der anschließenden Behandlung auf? Denn bezahlt haben die „Patienten“ nur die Krykonservierung… Und welche physischen und psychischen Nebenwirkungen hat das Prozedere? Beantworten kann diese Fragen nur die Zukunft. Bis dahin bleibt die Kryonik ein uneingelöstes Versprechen.
Digitale Klone: Per KI kopiert
Deutlich greifbarer scheint die digitale Unsterblichkeit zu sein. 2015 veröffentlichten Michal Kosinski von der Stanford-Universität sowie Wu Youyou und David Stillwell von der Cambridge-Universität eine Studie, die besagt: Nur anhand von Facebook-Likes können Computer die Persönlichkeit von Menschen besser beurteilen als Familienmitglieder. Die Spuren, die wir im Netz hinterlassen, geben viel von uns preis. Aus den riesigen Datenmengen kann unser Wesenskern extrahiert und schließlich ein digitaler Klon geschaffen werden.
Der Schlüssel dazu ist Künstliche Intelligenz, die in der Lage ist, Persönlichkeitsprofile zu erstellen. KI erkennt Muster und kann uns imitieren – unsere Vorlieben, unseren Humor, unsere Sprechweise. Auf der ganzen Welt arbeiten Online-Unternehmen mit Hochdruck daran, möglichst exakte digitale Abbilder menschlicher Wesen zu entwickeln. Stimmen werden synthetisiert, Physiognomien mit immer besserer Computergrafik nachgebildet. Auf diese Weise könnten digitale Klone mit ihren Nachfahren sowohl als Audio-Version kommunizieren, als auch körperlich manifestiert, beispielsweise als dreidimensionales Hologramm.
Heute scheint es uns die Vorstellung noch recht absurd, mit einer von KI entwickelten Version eines geliebten Menschen zu sprechen. Doch wie stehen wir dazu, wenn wir die digitale Kopie nicht mehr vom Original unterscheiden können? Blicken wir noch weiter in die Zukunft und setzen einige Fortschritte in der Robotik voraus, finden wir den digitalen Klon vielleicht irgendwann verpflanzt in eine Gestalt, die auch optisch und haptisch ganz und gar dem Original entspricht. Auch wenn die Menschen in dieser Zukunftsvision nach wie vor sterben, bleiben sie für ihr Umfeld für immer lebendig.
„Who Wants To Live Forever?“
Der Wunsch nach ewigem Leben wirft viele Frage auf – praktischer und vor allem ethischer Natur. Was wäre die Konsequenz für eine ohnehin überbevölkerte Erde, wenn Menschen nur noch geboren werden, aber nicht mehr sterben? Ist Unsterblichkeit überhaupt wünschenswert? Würden wir unserem Leben genauso viel Wertschätzung entgegenbringen, wenn wir wüssten, dass wir es unendlich verlängern können?
Ohne zufriedenstellende Antworten auf diese beunruhigenden Fragen zu haben, forschen Wissenschaft und Technik weiter nach dem ewigen Leben. Angespornt von transhumanistischen Träumen rückt die Entdeckung des heiligen Grals spürbar näher, doch scheint immer noch weit entfernt. Vielleicht ist es das Pech unserer Generation den Durchbruch nicht mehr mitzuerleben. Oder das Glück, denn für uns zählt vorerst nur das Heute. Freddie Mercury zieht im Queen-Song „Who Wants to Live Forever?“ das Resümee für die Sterblichen: „Forever is our today“.
*Nils Zeizinger ist freier Autor für PR-, Wirtschafts- und Finanzthemen. Inhaltlich setzt er sich vor allem mit der FinTech-Szene sowie den Tech-Riesen Google, Facebook und Co. auseinander. Der gebürtige Thüringer studierte Publizistik, Politikwissenschaft sowie Komparatistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist Mitglied im Deutschen Journalisten Fachverband.
Be the first to comment