ERP, Blockchain und KI – ideales Trio?

Kann die Blockchain-Technologie - auch im Duett mit KI - ERP-Systeme schlagkräftiger machen? Lesen Sie, was für und gegen diesen Ansatz spricht. [...]

Im Dominospiel werden die Steine zu einer nachvollziehbaren und für alle sichtbaren Kette aneinandergefügt. Eine Blockchain ähnelt in diesem Bereich dem Spiel (c) pixabay.com

Bei Blockchain denken die meisten zuerst an Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ethereum. Auf der Suche nach weiteren praktischen Einsatzfeldern der Blockchain-Technologie sind im B2B-Umfeld nun auch ERP-Systeme in den Mittelpunkt gerückt.

Eine Blockchain bietet vor allem eine sichere, nachträglich nicht mehr veränderbare Speicherung von Daten. Deshalb rücken in Unternehmen verschiedene Einsatzbereiche in den Blick. Ein Beispiel ist die Chargenrückverfolgung in der Prozessindustrie, bei der die Produktionschargen auf Erzeuger, Inhaltsstoffe oder auf besondere Herstellprozess- und Produktmerkmale zurückgeführt werden müssen. Sie müssen zudem revisionssicher und lückenlos dokumentiert sein, damit im Fall eines Qualitätsmangels ein schneller Rückruf möglich ist.

Manipulationssichere Lösungen

Oder die Archivierung nach den „Grundsätzen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen“ (GDPdU) in der Finanzbuchhaltung. In diesem Fall stellt eine „private“, rein unternehmensinterne Blockchain eine unveränderliche und manipulationssichere Lösung dar, welche alle 

Daten der Organisation speichert und vorhält. Der Nutzen: Die aufgezeichneten Daten werden transparent und auditierbar. Denn Blockchains lassen sich aufgrund ihrer Struktur – durch kryptografische Verfahren und verkettete Blöcke – nachträglich nicht mehr ändern.

Allerdings stellt sich hierbei die Frage nach dem grundsätzlichen Bedarf für Blockchain. Wozu braucht ein Unternehmen eine weitere Datenebene, steht doch mit einem ERP-System bereits eine zentrale, koordinierende Instanz als Garant für Datenkorrektheit und Integrität zur Verfügung? Zumindest innerhalb eines Unternehmens bietet ein ERP mit seiner gesicherten Datenbank grundsätzlich schon jene Vorteile, die Blockchain verspricht: Transparenz, Auditierbarkeit und Sicherheit. Mit Blick auf das ERP-System eines einzelnen Unternehmens bieten Blockchain-Technologien also keine nennenswerten Vorteile.

Weitet man den Blick über die Unternehmensgrenzen auf die Supply Chain mit Partnern und Lieferanten, sieht es etwas anders aus. Gerade bei sensiblen Produkten, die zum Beispiel gekühlt werden müssen, ist ein Ende-zu-Ende-Überblick über die kompletten Lieferketten wichtig, aber wegen verschiedener IT-Systeme oder Medienbrüche oft nicht möglich. Mit einer dezentralen Blockchain hingegen würden sich auch unternehmensübergreifende Kühlketten, etwa im Lebensmittel- oder Pharma-Umfeld, lückenlos dokumentieren lassen. In diesem Fall schreiben smarte und mit dem Internet verbundene Temperatursensoren die jeweils aktuelle Temperatur eines Transportguts entlang der Lieferkette in eine Blockchain. So können nachträgliche Manipulationen ausgeschlossen werden.

Hier könnte ein Distributed Ledger jene zuverlässige und übergreifende Datenhaltung und -verwendung ermöglichen, die es heute zumeist nicht gibt. Eine Blockchain schafft hier eine dezentrale „single source of truth“, die alle Geschäftspartner integriert und die Lieferkette durchgängig transparent macht. Allerdings gilt es hier zu beachten, dass solche Supply-Chain-Lösungen oft von einer zentralen Institution wie etwa einem Branchenverband initiiert und betrieben werden. Die Lösung wäre dadurch wieder ein „zentrales“ System, das die Nichtveränderbarkeit der Daten auch ohne Blockchain-Technologie sicherstellen könnte.

Blockchain, KI, ERP und Industrie 4.0

Beim Thema Automatisierung von Prozessen spielt künstliche Intelligenz (KI) eine wichtige Rolle. Hier ist im ERP-Kontext vor allem das maschinelle Lernen (ML) relevant. ERP-Systeme eignen sich generell für eine solche Nutzung, bieten sie doch die strukturierten Daten, mit denen sich solche ML-Modelle trainieren lassen – zum Teil angereichert durch externe Informationen wie etwa Markt-, Wetter- oder Social Media-Daten.

Seitens der Blockchain lassen sich durch Regelwerke, sogenannte Smart Contracts, zudem geschäftliche Transaktionen innerhalb und außerhalb des Unternehmens automatisieren – vorausgesetzt, die Vertragspartner sind Teil derselben Blockchain. Ziel ist es hier, große Mengen an manuellen und zeitaufwändigen Aufgaben einzusparen und gleichzeitig die Sicherheit der Abläufe zu erhöhen.

Kann so aus der Kombination von Blockchain, KI und ERP ein „Framework“ für Industrie 4.0 entstehen? Etwa in der Form, dass Smart Contracts in der Blockchain die Regeln eines Unternehmens abbilden, zum Beispiel in der Produktion und für die Maschinen. Ergänzend erstellen und optimieren KI-Entscheidungsverfahren anstelle von Menschen/Programmierern die dafür notwendigen Regeln. Und nicht zuletzt liefert das ERP gleichzeitig die gesamte Betriebswirtschaft sowie die Schnittstellen zu Kunden und zu digitalen Plattformen.

Eine Herausforderung in diesem Szenario besteht darin, dass Blockchains nur begrenzt skalierbar sind. Ihre Geschwindigkeit ließ zudem oft zu wünschen übrig – etwa durch komplexe Mining-Verfahren.
Zum Vergleich: Die Block Time, also das Erstellen eines neuen Blockchain-Elements, beträgt bei Bitcoin rund zehn Minuten und bei Ethereum zehn bis 19 Sekunden. Für das Zahlen kleinerer Beträge (Micropayment) ist die Blockchain daher nicht geeignet. Abhilfe schafft hier die nächste Evolutionsstufe von Blockchain 3.0, bei der die Geschwindigkeit mittlerweile hoch genug ist, damit sich auch Mikrotransaktionen in großem Umfang umsetzen lassen.

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Von der Technologie zum Industrie 4.0-Framework

Damit wird Blockchain jetzt auch nutzbar für die IoT- und M2M-Kommunikation in der Produktion – etwa im Industrie-4.0-Kontext beim Kauf von Rohstoffen und dem Verkauf fertiger Produkte direkt durch die Produktionsmaschinen. Prinzipiell können die beschriebenen Blockchain- und KI-Szenarien – gerade auch in Kombination miteinander – Produktionsunternehmen daher befähigen, weitgehend autonom und unabhängig von menschlichem Eingreifen am Wirtschaftsgeschehen teilzunehmen.

So lassen sich heute von der technologischen Seite her umfassende Industrie-4.0-Frameworks vorstellen, die auf einer Kombination von Blockchain, KI und ERP beruhen. Fakt ist aber auch: Die Digitalisierung in der Produktion hat sich in den vergangenen Jahren erst einmal auf mehr singulären und einfach erzielbaren Nutzen konzentriert: vom Internet of Things über mobile Lösungen bis hin zum Location Tracking. Als Ganzes gleicht Industrie 4.0 damit in den meisten Unternehmen noch eher einem digitalen Flickenteppich aus Insellösungen. Der Weg zu integrierten „Decentralized Autonomous Organizations“ (DAOs) ist daher noch sehr weit.

*Dirk Bingler ist seit 2011 Sprecher der Geschäftsführung in der GUS Group. Seit 2014 engagiert er sich aktiv als Vorstand des Arbeitskreises ERP im Bitkom. Seine Themenschwerpunkte sind die Zukunft von ERP-Systemen sowie die Auswirkung der Digitalisierung auf deren Architekturen. Dirk Bingler verfügt über 21 Jahre Branchenerfahrung im internationalen Konzernumfeld bei der Siemens AG und seit 2003 im Mittelstand.


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