„Es geht auch um ein Zurechtrücken der Erwartungshaltung“

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bietet im Bereich der Business Intelligence enorme Potenziale. Im Rahmen des Roundtable "BI: Mit KI die eigenen Daten optimal nutzen" sprach die ITWelt.at mit Alfred Grünert, Global AI-Lead bei COSMO CONSULT, über Erwartungshaltungen und Vertrauen im KI-Bereich sowie die sich verändernde Rolle der Mitarbeitenden. [...]

Alfred Grünert, Global AI-Lead bei COSMO CONSULT (c) timeline / Rudi Handl
Alfred Grünert, Global AI-Lead bei COSMO CONSULT (c) timeline / Rudi Handl

Welche Erwartungen und auch Enttäuschungen gibt es beim Einsatz von KI in BI?

Ich bin seit 20 Jahren im BI-Bereich tätig und habe mich seit drei Jahren zunehmend intensiv mit generativer KI beschäftigt. Viele meiner internen und externen Kunden im Bereich Business Intelligence erwarteten zu Beginn von generativer KI eine Art Wundermaschine, die auch schlechte Daten automatisch in präzise Ergebnisse -etwa ganz konkrete Vorhersagen – verwandelt. Diese Erwartung hat sich klarerweise nicht erfüllt. KI kann zwar Prozesse verbessern, aber nicht jede Lücke in der Datenqualität schließen.

Wichtig ist, zu unterscheiden: Während generative KI vor allem im semantischen und prozessualen Bereich unterstützt, liegen die analytischen Aufgaben eher in der klassischen KI. Der erste Schritt muss also sein, die realistischen Anwendungsfelder klar voneinander abzugrenzen.

Diese Enttäuschungen – die durch eine Missinterpretation der Möglichkeiten der generativen KI entstanden sind – verschwinden aber zunehmend.

Wie bewertest Du die Bedeutung von Datenqualität im Zusammenhang mit Business Intelligence? 

Datenqualität entsteht nicht in einem BI- oder Data-Warehouse-System, sondern direkt in den operativen Prozessen. Wenn dort unsauber gearbeitet wird, helfen auch spätere Bereinigungen nur bedingt. Natürlich kann man Mappings oder Cleansing-Mechanismen nutzen, doch entscheidend ist, die Qualität im Prozess sicherzustellen. 

Klassische Beispiele zeigen, wie etwa durch inkonsistente Artikelbezeichnungen Lagerbestände falsch eingeschätzt werden – mit der Folge von Fehldispositionen. Konzepte wie Data Stewardship oder Data Mesh helfen, um Daten langfristig konsistent zu halten. BI sollte nicht für die Beseitigung grundlegender Datenprobleme zuständig sein, sondern auf sauberen Prozessdaten aufbauen können.

KI kann hier aber unterstützen: etwa beim automatisierten Auslesen komplexer Zertifikatsdokumente, wo jedes Dokument anders aussieht, oder bei der Migration von Altdaten aus Legacy-Systemen, die jeder Mitarbeiter anders gepflegt hat. Hier schafft man mit KI einen Prüfmechanismus, der das auf eine Struktur bringt und dafür sorgt, dass Daten auch langfristig sauber bleiben und nicht nur einmalig bereinigt werden.

Ich bin überzeugt, Datenqualität ist primär eine Aufgabe der Prozesse, nicht des Controllings oder der Konzern-BI. In diesen Disziplinen fällt die mangelnde Datenqualität halt zumeist zuerst auf, damit wird dort schnell die Zuständigkeit fälschlicherweise zugeordnet. 

Aus Deiner Beratungserfahrung: Wie kann Vertrauen in KI-Ergebnisse geschaffen werden, sodass Mitarbeiter diese auch nutzen?

Es geht zunächst um ein Zurechtrücken der Erwartungshaltung. Ein Beispiel: Dein Kunde muss verstehen, dass KI nicht im klassischen Sinn rechnet wie eine Tabellenkalkulation. Generative KI arbeitet probabilistisch und sagt mit Wahrscheinlichkeiten voraus, welches nächste Token am besten passt. Im Hintergrund laufen dabei hochkomplexe deterministische Berechnungen – etwa Matrixoperationen in neuronalen Netzen auf GPUs. Es ist also nicht ‚keine Berechnung‘, sondern eine andere Form der Berechnung. Wenn man Tabellen hochlädt, führt das Large Language Model selbst keine echten Berechnungen durch, sondern orchestriert gegebenenfalls externe Tools, die für die eigentliche Kalkulation zuständig sind. Wichtig ist daher, genau zu wissen und auch erklären zu können, was die KI tatsächlich tut – und wo ihre Grenzen liegen.

Es wird oft die generative KI-Qualität diskutiert: welches neue Modell ist besser oder schlechter? Doch darum geht es in den wenigsten Fällen im Geschäftskontext. Oft reicht da eine Lösung mit Hausverstand oder ein Mensch im Prozess aus. Geht es um das bereits erwähnte Einlesen von Zertifikatswerten für Lacke und Farben, dann lagere ich das ziemlich unkritisch als Preprocessing in eine KI aus.

Bei kritischen Anwendungen, wie etwa dem Einlesen von Blutwerten oder sicherheitsrelevanten Zertifikaten für Stahlseile, die eine Gondel tragen sollen, setze ich nicht auf ein einzelnes Modell oder einen einzigen Prozess. Stattdessen lasse ich mehrere KIs unabhängig voneinander in parallelen Preprocessings einlesen und prüfen und vergleiche zuerst die Ergebnisse. So erreiche ich eine höhere Genauigkeit. Der Weg benötigt Hausverstand, Erfahrung und Technologie.

Zur Frage der Nutzung: Man darf KI-Anwendungen nicht isoliert im „Elfenbeinturm“ entwickeln. Sie muss einen klaren Geschäfts-Use-Case adressieren. Wenn eine Anwendung wirklich nützlich ist, werden die Mitarbeitenden es von selbst einsetzen – ohne dass man sie erst mühsam überzeugen muss.

Wer kann was umsetzen? Wie relevant ist Self-Service BI, und sollen Fachabteilungen direkt damit arbeiten?

Künstliche Intelligenz fördert Self-Service BI in hohem Maße. Viele moderne Tools, etwa Microsoft Fabric und Power BI, unterstützen bereits bei der Gestaltung semantischer Datenmodelle und Kennzahlen. Früher mussten Nutzer komplizierte Formeln beherrschen, heute liefern KI-Systeme anhand des zugrundeliegenden Modells erste Ergebnisse oder sogar automatisch erstellte Berichte. Zwar ist die optische Qualität dieser automatisch generierten Berichte nicht immer hoch, doch sie bieten ein wertvolles Rohgerüst, mit dem Fachanwender weiterarbeiten können.

Wichtig ist dabei, dass die Anwender verstehen, was sie tun. Wer semantisch korrekte Eingaben liefert und die Datenbasis kennt, kann auf dieser Grundlage präzise Antworten erhalten. So entsteht ein Hauptbericht mit zentralen Erkenntnissen, ergänzt durch Subberichte, die sich über Chatfenster verbinden lassen. Der Bot greift dann auf den richtigen Data Frame zu und liefert die passenden Erklärungen. Die KI kann da vieles leisten, aber man muss schon die Arbeitsweise im Kontext verstehen. 

Besonders nützlich ist KI generell beim schnellen Erstellen von Prototypen: Ein Fachanwender kann erste Berichte selbst entwickeln, die anschließend von Experten professionell weitergeführt werden. Doch der Erfolg hängt entscheidend von Datenqualität, Governance und Sicherheit ab. Je besser diese Grundlagen erfüllt sind, desto stärker profitieren Unternehmen vom Self-Service-Gedanken. Definierte KPIs, klare Datenkataloge und einheitliche Werte verhindern Mehrdeutigkeiten – beispielsweise, dass „Umsatz“ in fünf Varianten auftaucht.

Wie bewertest Du Wirtschaftlichkeit und Effizienz in diesem Kontext?

Ich halte die Messbarkeit von Effizienz und Wirtschaftlichkeit für sehr schwierig. Betrachtet man die Marketingversprechen vieler Anbieter, müsste es eigentlich bald gar nur noch wenige Mitarbeitenden geben, weil so viel automatisiert und eingespart wird. In der Realität ist es jedoch zumeist anders: Abteilungen wachsen weiter, weil ständig neue Themen und Spezialisierungen hinzukommen.

Um Effizienz wirklich messen zu können, müsste man Prozesse detailliert protokollieren, Ausgangspunkte definieren und mit Methoden wie Zero-Based-Budgeting eine klare Vergleichsbasis schaffen. Nur bei wiederholbaren, standardisierten und messbaren Abläufen – beispielsweise in der Produktion mit Process Mining – lassen sich valide Vergleiche ziehen. In vielen Fällen bleibt „Wirtschaftlichkeit“ ein Verkaufsargument, ohne dass messbare Ergebnisse vorliegen.

Der eigentliche Druck wird erst dann entstehen, wenn Unternehmen beginnen, KI konsequent umzusetzen und Prozesse grundlegend neu zu gestalten und Menschen anders oder effizienter einzusetzen. Bis dahin bleibt vieles in der Wirtschaftlichkeit eine teilweise subjektivierte Einzelfallbetrachtung.

Die langfristige Entwicklung sehe ich im gerade Gesagten: Die Zeiten werden rauer werden. In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren werden einige Unternehmen die Möglichkeiten von KI besonders gut ausschöpfen, erhebliche Übergewinne erzielen und dadurch andere verdrängen. Für Unternehmen ist das auch eine Chance, frühzeitig zu prüfen, wie sie KI strategisch für sich nutzen wollen.

Welche Auswirkungen hat das auf die Mitarbeitenden? 

Die Rolle der Mitarbeitenden wird sich verändern. Entscheidend sind künftig weniger akademische Abschlüsse oder wissenschaftliche Publikationen, sondern vielmehr Anpassungs- und Lernfähigkeit. Menschen müssen die Bereitschaft entwickeln, sich ständig neues Wissen anzueignen und Veränderungen aktiv mitzugehen. Dass KI jetzt da ist, nutzt dem einzelnen Menschen zunächst einmal gar nichts, man muss sich damit beschäftigen, diese verstehen und anwenden können. 

Ein Beispiel: Als ich vielen Jahren vor generativer KI etwa Youtube als Lernmedium für mich entdeckte, war ich sicher, dass sich die Allgemeinbildung der Menschheit schlagartig über ein Jahrzehnt verbessern würde, da ja schulische Bildung durch die zusätzlichen Materialien in Youtube potenziell ins Unermessliche katalysiert werden müsse. 

Mein Sohn kannte – in diesen Zeiten vor KI – trotz nahender Physikprüfung die Keppler‘sche Gesetz gar nicht – und das ist schon nach oben aufgerundet. Ich habe ihm geraten, ein Erklärvideo auf YouTube anzusehen. Dort gibt es sehr gute Inhalte – man muss eigentlich nur lernen, das Richtige – oft einfach das mit den meisten Klicks – auszuwählen. Mein Sohn hat mit dem Inhalt eines 30-minutigen Lernvideos zu dem Thema eine deutlich positive Note geschafft – wäre aber alleine nie auf die Idee gekommen, Youtube für sowas zu nutzen. 

Man braucht als Mensch zunehmend Lernbereitschaft, Veränderungsbereitschaft, um beruflich erfolgreich zu sein.


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1 Comment

  1. Manchmal wirkt es, als ob KI die Erwartungen an Effizienz übertreibt, gerade weil Abteilungen ja trotzdem wachsen wie die Kekse. Vielleicht liegt das an der Tatsache, dass die Mitarbeiter die Hausverstand-Lösungen und den Mensch im Prozess einfach nicht schnell genug ersetzen können. Bei der KI-Qualität ist es ja eh oft egal, ob das neue Modell besser ist, wenn man am Ende doch noch einen Menschen im Prozess braucht. Und was die Mitarbeiter betrifft: Da wird ja erwartet, dass man sich ständig neue Wissen aneignet, während das Video-Beispiel zeigt, dass das Lernen oft erst durch einen dringenden Notfall motiviert wird – das ist ja eine klassische KI-Problemlösung für Lerninhibition!wheel of names

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