Über zwei Jahre hat die globale Internet Community an einem neuen Modell für die Aufsicht über die weltweite Internet-Adressverwaltung gearbeitet. Genau dieser Multistakeholder-Ansatz hat die US-Regierung überzeugt, ihren Einfluss aufzugeben und Ende September 2016 die Aufsicht an ICANN und somit an die Internet-Community zu übertragen. Beim Domain pulse in Wien stimmten internationale Experten ein Loblied auf das konsensorientierte "bottom-up" Multistakeholder-Modell an und empfahlen es als effektive Alternative zu klassischer top-down Regierung. [...]
„Das neue ICANN Modell ist der Garant dafür, dass nie wieder eine Regierung oder zwischenstaatliche Organisationen die Aufsicht über die IANA Funktion im Internet haben wird“, brachte ICANN Vizepräsident Cherine Chalaby die Thematik auf den Punkt. IANA (Internet Assigned Numbers Authority) ist die Abteilung bei ICANN, welche für die Namensauflösung im Internet zuständig ist und die Root-Server des Domain Name Systems betreibt.
ICANN ist eine offene Organisation, in der alle Player – von der Wirtschaft über Regierungen bis hin zu den Internet-Usern und der Zivilgesellschaft – in die Diskussionsprozesse und die Beschlussfassung involviert sind. Das Besondere dabei: Entscheidungen werden auf Basis von Konsens getroffen. Beschlüssen gehen intensive Konsultationsphasen voraus, die transparent und öffentlich sind und an denen jeder teilnehmen kann.
Das ist auch das Einzigartige an ICANN, wie Chalaby betont: „ICANN lebt die demokratischen Prinzipien von Transparenz und Partizipation, alle arbeiten kollaborativ und freiwillig mit. Niemand hat die alleinige Kontrolle, es gibt keinen „single point of failure“ und Regierungen können nicht direkt Einfluss nehmen.“ Dies war letzten Endes auch ausschlaggebend, dass die US-Administration guten Gewissens ihre Kontrollfunktion an ICANN abgegeben hat.
Regierungen alle „gleich unzufrieden“
Doch wie sehen die internationalen Regierungsvertreter den Rückzug der US und die Tatsache, dass Regierungen bei ICANN nicht mehr oder weniger Einfluss haben, als alle anderen Stakeholder? Thomas Schneider vom Schweizer Bakom, gleichzeitig Vice-Chair der Regierungsvertreter bei ICANN, erklärt: „Regierungen vertreten die Interessen ihrer Bürger und Unternehmen – das Wichtigste ist daher, dass die Stabilität des Internets weiterhin gewährleistet ist. Die Tatsache, dass ein Land alleinig für die Aufsicht zuständig war, war für viele nicht akzeptabel. Mit dem Ausstieg der USA sind nun alle Regierungen gleichberechtigt, was wir grundsätzlich begrüßen – aber was natürlich auch alle gleich unzufrieden macht.“
Bedeutet die Tatsache, dass ICANN seinen Sitz in Kalifornien hat, dass die USA als Gastland über das nationale Recht Einfluss nehmen können? „Prinzipiell ja“, sagt Völkerrechtler Erich Schweighofer, „denn es gibt keinen völkerrechtlichen Vertrag für die weltweite Anerkennung ICANNs, der auch Unabhängigkeit vom Gastland garantiert.“ Derzeit sei das kein Problem, da es ein stabiles Rechtssystem in Kalifornien gibt. Sollte sich das jedoch ändern, müsse die ICANN Community Alternativen in Betracht ziehen.
Community hat das letzte Wort
Thomas Rickert vom deutschen Eco-Verband ist einer der Masterminds für das neue ICANN Modell, in dem die Community – organisiert in fünf Committees – nun viel mehr Vollmachten hat als früher. Auf die Frage, ob das neue Modell auch krisenfest sei, meint er: „Das von uns entwickelte Governance-Modell wurde von der Community nach merheren öffentlichen Konsultationen verabschiedet, von spezialisierten Kanzleien geprüft, von Corporate-Governance Experten für gut befunden und gegen unterschiedlichste Risiken im Rahmen von Stresstests geprüft. Schließlich hat es auch die US-Regierung als hinreichend robust bewertet. In der Praxis werden nun die verschiednen Gruppen im Multistakeholder-Modell, die die so genannte Empowered Community bilden, die das Sagen über ICANN hat, ihre internen Abstimmungsprozesse auf die neue Situation umstellen müssen. Rickert sieht darin aber kein Problem und ist zuversichtlich: „Das hat in den letzten zwei Jahren bei der Erarbeitung des neuen Modells funktioniert, also wird es auch in der Zukunft funktionieren.“
Wolfgang Kleinwächter, Internet Governance Experte, sieht zwei Governance-Kulturen aufeinanderprallen: das innovative, moderne Multistakeholder-Modell und das herkömmliche „Regieren von oben“. „ICANN hat bewiesen, dass das Modell zur Lösung komplexer Probleme mit unzähligen Stakeholdern erfolgreich geeignet ist. Die Frage ist nun, ob diese Erfahrungen auch in anderen Bereichen eingesetzt werden, wie z.B. bei Cybercrime, die Förderung der Digitalwirtschaft oder die Wahrung der Menschenrechte.“ Der Vorteil: „Auch wenn Entscheidungsfindungen länger dauern, sind die ausgehandelten Kompromisse nachhaltiger und beständiger, da sie auf dem Konsens aller beruhen“, ist Kleinwächter überzeugt.
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