Fachkräftemangel und Cloud-Skepsis bremsen Österreichs IKT-Branche

Die österreichische Wirtschaft wächst wieder. Mit plus zwei Prozent für 2017 und plus 1,8 Prozent für 2018 fallen die vom WIFO prognostizierten Wachstumszahlen deutlich stärker aus als noch am Ende des Vorjahres prophezeit. Erfreulicherweise schlägt sich das auch erstmals seit Jahren in den Arbeitslosenzahlen nieder. Diese sollen in den kommenden beiden Jahren auf 8,9 Prozent leicht fallen, was allerdings gerade in der IKT-Branche den Fachkräftemangel noch verstärken könnte. [...]

„Die gute Entwicklung ist auf eine starke Binnenkonjunktur zurückzuführen, die nun durch eine hervorragende internationale Konjunktur ergänzt wird. Darauf deutet neben den vorliegenden Wirtschaftszahlen auch der Optimismus österreichischer Unternehmen bei derExport-orientierten Sachgüter-Erzeugnis hin“, erklärt Marcus Scheiblecker, stv. Leiter des WIFO, im Rahmen des Future-Network-Ausblicks auf die Entwicklung des IKT-Marktes in Österreich. Schätzungen zufolge verzeichneten die Warenexporte im Jänner 2017 nominell ein fünfprozentiges Wachstum.
Keine Auswirkungen von Brexit und Trump
Die nach oben revidierte Zahl von plus zwei Prozent sei angesichts der internationalen Konjunkturentwicklung sogar noch vorsichtig angesetzt, meinte Scheiblecker. Verblüffung herrscht bei den Wirtschaftsforschern derzeit über die Situation in Großbritannien und den USA, wo mit dem Brexit und Donald Trump zwei wirtschaftspolitisch destabilisierende Faktoren zum Tragen kommen, diese sich aber sowohl in der Konjunkturentwicklung als auch auf den Finanzmärkten nicht negativ niedergeschlagen haben. „Die Konjunktur ist derzeit so stark, dass sie sämtliche Unsicherheiten und negativen Ausblicke übertünchen dürfte. Denn rational bewertet kann der Brexit für Großbritannien langfristig eigentlich nicht für eine positive Wirtschaftsentwicklung sorgen“, gibt Scheiblecker zu bedenken.
Die positive Stimmung unter Konsumenten und Unternehmen spiegelt sich auch in der IKT-Branche wider, die in einigen Segmenten mit großen Wachstumszahlen rechnet. Laut dem Beratungsunternehmen PAC, das seine Forschungsergebnisse bei der Future Network Tagung in Wien präsentierte, kristallisieren sich „Cloud Computing“ (plus 31,7 Prozent auf 587 Millionen Euro) und das „Internet der Dinge“ (plus 19,5 Prozent auf 583 Millionen Euro) als größte Wachstumstreiber 2017 im österreichischen Software- und IT-Services-Markt heraus.
Cloud-Skepsis weiterhin stark
„Zwar wächst der Cloud-Markt relativ stark, jedoch von kleinem Niveau. Vor allem im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern ist die Cloud-Nutzung noch sehr verhalten. Die Skepsis scheint in Österreich besonders stark ausgeprägt zu sein“, erklärt Martin Barnreiter von PAC. Dieser Umstand lässt sich auch am niedrigen Niveau des Segments „Software as a Service“ (SaaS) ablesen, das zwar mit 31,7 Prozent Wachstum auf 216 Millionen Euro stark anzieht, im internationalen Vergleich aber weiterhin Schlusslicht-Charakter aufweist.
Laut Barnreiter ist die mangelnde Cloud-Akzeptanz österreichischer Firmen problematisch, da sie das Wachstum der Branche durch fehlende Agilität undFlexibilität eher hemmt denn fördert. Diese Meinung teilte auf der Veranstaltung auch Peter Voith von Atos. Gerade kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) könnten unternehmerisch von cloud-basierten Software- und IT-Lösungen profitieren, da die Einstiegsschwelle finanziell gesehen rechtniedrig sei. „Der größte Hemmschuh für Cloud-Lösungen in Österreich sind weiterhin die Fragen: Wem gehören die Daten? Mache ich mich angreifbar, wenn ich Daten außer Haus gebe?“, erklärt Peter Voith die Zurückhaltung vieler Firmen.
Dauerbrenner Fachkräfte-Mangel
Den PAC-Umfrageergebnissen zufolge bereitet der Fachkräfte-Mangel der Branche weiterhin großes Kopfzerbrechen. Knapp ein Drittel der Befragten wertet die Suche nach ausreichend qualifizierten Mitarbeiter als große Herausforderung. 29 Prozent sehen das Problem im Vergleich zum Vorjahr verschärft – ein Umstand, der sich durch die leichte Erholung am österreichischen Arbeitsmarkt also noch verstärken könnte. Dieser Ansicht ist man auch beim AMS, das mit Programmen seit Jahren versucht gegenzusteuern. Da Technologien und daher auch die Anforderungen für Beschäftigte sich so rasant weiterentwickeln, sei dies allerdings kein leichtes Unterfangen, meint Andreas Kuen vom AMS.
„Der Bedarf an IT-Fachkräften wird in den nächsten Jahren weiter steigen – somit auch der Abstand zwischen der Nachfrage und dem Angebot an Arbeitskräften in diesem Bereich. Das AMS unterstützt hier beispielsweise die innerbetriebliche Aus- und Weiterbildung im Rahmen der Qualifizierungsförderung für Beschäftigte. Ein weiteres Angebot stellt das FiT (Frauen in Technik)Programm dar“, sagte Kuen. Die Politik habe insofern auch reagiert, indem sie IT-Berufe auf die Liste der Mangelberufe gesetzt und somit einen vereinfachteren Zugang zum Arbeitsmarkt aus dem Ausland ermöglicht habe. 
Für Christian Angerer vom Netzwerkausrüster Alcatel-Lucent muss das Thema Fachkräftemangel umfassender gedacht und angegangen werden: „In Wahrheit geht es nicht nur um spezialisierte Ausbildung, sondern auch darum, dass die IT-Affinität von Grund auf gesteigert wird.“ Immer noch werde von den Schulen aus viel zu wenig in diese Richtung gemacht. „Fachkräfte sind schön und gut, gleichzeitig müssten aber auch Anwender besser mit IT umgehen können. E-Government ist dafür das beste Beispiel. International werden wir für die Umsetzung stets gelobt – im Land selber können viele Menschen aber nichts damit anfangen“, sagt Angerer.
Investitionen in IT-Sicherheit
Neben dem Dauerbrenner IT-Fachkräftemangel spielt auch das Thema „IT- und Cybersicherheit“ ein immer größeres Thema. „Die Sicherheit der eigenen Infrastruktur und Daten war zwar auch im Vorjahr bereits ganz präsent in den Köpfen der Entscheider – nun findet sich Security aber auch als Top-Priorität bei den Investitionsvorhaben“, schlüsselt Barnreiter die von PAC erhobenen Ergebnisse auf. Laut diesen erachten über 70 Prozent der befragten Unternehmen Investitionen in IT- und Cybersicherheit als „sehr wichtig“ oder „wichtig“. 
Weitere Herausforderungen sind einmal mehr die angestrebte Kostenreduktion und die Effizienzsteigerung im IT-Betrieb sowie das Reagieren auf veränderte Kundenbedürfnisse in einer zunehmend digitalisierten Welt.Letzteres ist für 29 Prozent der Befragten eine noch größere Herausforderung geworden als im Vergleich zum Vorjahr. „Von digitaler Transformation wird tatsächlich schon seit längerem gesprochen. Jetzt merkt man aber, dass der Schub zu digitalen Geschäftsmodellen immer kräftiger wird. Viele Kunden versuchen ihre klassische Applikationsentwicklung in der Cloud abzubilden und machen sich Gedanken über Kollaborationsmodule“, sagt Jörg Steinbauer vom Technologieanbieter Infonova.
Wie in der Privatwirtschaft ist die Reduktion von Kosten und die Erhöhung der Effizienz auch in der öffentlichen Verwaltung ein Haupttreiber der Digitalisierung. „Dank der digitalen Transformation steigen Produktivität und Servicequalität, indem sehr viele Interaktionen zwischen Verwaltung und Bürger automatisiert werden“, sagt Markus Kaiser vom Bundesrechenzentrum bei der Future-Network-Veranstaltung.  Ziel müsse es sein, Services nicht nur zu digitalisieren, sondern völlig neu zu denken. „Unsere Herausforderung ist dabei stets: Welche innovativen Dienstleistungen können wir unseren Kunden unter Sicherstellung der höchsten Sicherheitsstandards anbieten?“, so Markus Kaiser. 
Internet der Dinge/Industrie 4.0
Wie die Zahlen von PAC zeigen, ist das „Internet der Dinge“ zusammen mit der „Industrie 4.0“ längst kein Zukunftsthema mehr, sondern bereits im unternehmerischen Alltag der Branche angekommen. Die Fragen,  die damit einhergehen, werden aber ebenfalls mehr. „Jeder unserer Kunden aus der Industrie weiß, dass IoT bzw. Industrie 4.0 große Auswirkungen auf ein produzierendes Land wie Österreich haben wird. Nur 15 bis 20 Prozent der Führungskräfte wissen aber, wo und wie sie bei der Umsetzung dieser neuen Konzepte anfangen sollen“, gibt Peter Voith von Atos zu bedenken. 
Ein ähnliches Stimmungsbild zeichnet Günther Seyer von PwC Österreich: „Auch bei uns sagen 75 Prozent unserer betreuten Unternehmen, dass sie in das Internet der Dinge investieren werden. Unserer Digital-IQ-Umfrage zufolge, die jährlich 3000 Befragte umfasst, herrscht erstmals seit vielenJahren bei vielen eine Ratlosigkeit, welche verfügbaren Technologien sie einsetzen sollen, um unternehmerisch davon zu profitieren. Der Unterstützungsbedarf ist diesbezüglich so hoch wie noch nie.“
Hardware-Markt stagniert
Der in Österreich traditionell stark ausgeprägte Hardware-Markt, der immer noch ein Jahres-Volumen von 1,93 Milliarden Euro umfasst, wird 2017 laut PAC auf diesem Niveau stagnieren. Der vorsichtige Umstieg auf Cloud-Services, der Hardware-Lösungen in Unternehmen zunehmend obsolet macht, aber auch der Preisverfall sind die Faktoren für die Stagnation. Im internationalen Vergleich sei Österreich aber auch mit dem Nullwachstum eine Ausnahme – in den meisten Ländern sei der Hardware-Markt längst im Schrumpfen begriffen, sagt Martin Barnreiter von PAC.

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