Behördengänge, Anmeldeverfahren, E-Commerce – mit einer Digitalen Identität ließen sich viele Alltagsprozesse vereinfachen. Doch Deutschland und die EU tun sich schwer mit der Umsetzung. [...]
Die Begeisterung für neue digitale Nachweismöglichkeiten ist groß, sogar so groß, dass die Bundesregierung ihre neue „ID Wallet App“ für den digitalen Führerschein unter dem Ansturm der Interessenten nicht ausliefern konnte. Hinzu kamen allerdings auch technische Mängel und Sicherheitsbedenken. Statt auf solch eine Einzellösungen für den Führerschein hätte der Bund wohl besser daran getan, von Anfang an auf eine umfassende Lösung zu setzen: auf eine Digitale Identität für verschiedene Einsatzszenarien.
Die Grundlage dafür schafft derzeit die EU-Kommission, die einen konkreten Plan für die Einführung einer Digitalen Identität für alle EU-Länder zum 1. September 2022 verfolgt. Die sogenannte EUid soll eine einfache, universelle Möglichkeit schaffen, sich zu identifizieren ohne Benutzer-IDs und Passwörter zu verwenden. Verschiedenste Dokumente, etwa Führerschein, Bahnticket oder Zeugnis lassen sich damit verknüpfen.
Digitale Identität – drei Varianten für den Ausweis
Auch Deutschland arbeitet an einer nationalen eID-Wallet, erste Pilotprojekte werden bereits umgesetzt – so etwa die Digitalisierung des Meldescheins für den Check-in bei Hotels unter Federführung des Bundesinnenministeriums. Auch der Personalausweis soll künftig auf dem Smartphone verfügbar sein. Hierfür sind aktuell drei digitale Ausweisvarianten unterschiedlicher Sicherheitsniveaus geplant.
Es gibt derzeit diverse Initiativen, aber offenbar noch keinen übergreifenden Plan, wann und in welcher Form die Bürger Digitale Identitäten in der Fläche nutzen können. Entsprechend groß ist die Verwirrung. Die folgenden Fragen und Antworten sollen erklären, worum es sich bei einer Digitalen Identität überhaupt handelt und was mit ihr im digitalen Raum künftig möglich sein könnte.
Was ist eine Digitale Identität?
Egal ob wir uns in den sozialen Medien registrieren, einen neuen E-Mail-Account anlegen oder uns beim Online-Gaming anmelden: Im Internet erstellen wir ständig neue Identitäten, Profile und Avatare, um uns im virtuellen Raum dem Kontext entsprechend zu zeigen und Zugang zu verschaffen. Oft stecken diese Identitäten hinter einem anonymisierenden Nutzernamen, sie lassen die ‚echte Person‘ dahinter kaum oder gar nicht erkennen.
In der Regel müssen sich User, die beispielsweise Beiträge und Kommentare in einem Forum schreiben möchten, nicht offiziell ausweisen. Nur in wenigen Fällen verwenden sie ihre Klarnamen und meistens auch nur dann, wenn es sich um formelle Registrierungsgründe handelt wie sie etwa bei Behördenportalen, eHealth-Systemen oder Wirtschaftsplattformen vorliegen. In diesem Kontext müssen Nutzer ihre persönlichen Daten angeben und ihre Identität offiziell belegen. Nur dann können sie einem Sachverhalt oder einer digitalen Akte zugeordnet werden.
Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt das Elster-Verfahren: Sobald sich Bürgerinnen und Bürger auf der Finanzamt-Plattform anmelden, können sie für den Identitätsnachweis unter anderem zwischen einer eigens dafür ausgestellten Zertifikatsdatei oder dem digitalisierten Personalausweis wählen.
Eine weitere Möglichkeit zur Identifikation ist das sogenannte Bankident-Verfahren, das von der Solarisbank angeboten wird. Hier müssen Nutzer etwa beim digitalen Abschluss eines neuen Handyvertrags nur einige persönliche Informationen und ein Referenz-Bankkonto angeben. Da die Identität bei der Kontoeröffnung bereits eindeutig festgestellt wurde, kann die Bank diese mithilfe des Verfahrens bestätigen. Anschließend erhält der Nutzer eine Qualifizierte Elektronische Signatur (QES), um den Prozess abzuschließen. Das Verfahren ist schnell, rund um die Uhr verfügbar und kommt ohne Medienbrüche aus, die oft zum Abbruch von Transaktionen führen.
Ein einheitliches Identifizierungsverfahren, mit dem sich die Identität für mehrere verschiedene Online-Services bestätigen lässt, wäre im digitalen Zeitalter wünschenswert. Das Konzept der Digitalen Identität sieht vor, dass eine Person eine verifizierte elektronische Identität besitzt, die sich vielseitig nutzen und mit verschiedenen Dokumenten und Informationen verknüpfen lässt. Um bei den Beispielen Elster und Online-Banking zu bleiben: Nutzerbräuchten in beiden Fällen dem Anbieter für die Anmeldung lediglich ihre Digitale Identität freizugeben, die sämtliche relevanten Informationen enthält.
Welche Vorteile hat eine Digitale Identität?
Heute wandern immer mehr Services in den digitalen Raum – einschließlich Vertragsabschlüsse für Versicherungen, Bankgeschäfte oder auch in Form der elektronischen Patientenakte. Mit der Pandemie hat sich dieser Trend noch beschleunigt. Für die meisten dieser Angebote und Behördengänge müssen Antragstellende online ihre Identität sowie weitere offizielle Dokumente vorweisen.
Mit der Digitalen Identität ließen sich mit den Personalausweis-Daten weitere Informationen verknüpfen, wodurch darauffolgende Prozesse vereinheitlicht und beschleunigt werden könnten. Die Nachreichung von eingescannten Papierdokumenten würde entfallen.
In welchen Bereichen lässt sich eine Digitale Identität einsetzen?
Von einer eID profitieren würden beispielsweise…
das Finanz- und Versicherungswesen: Antragsformulare für das Einrichten von Bankkonten und Versicherungen könnten auf dem PC oder einem mobilen Endgerät ausgefüllt, der Digitalen Identität hinzugefügt und elektronisch versandt werden. Der Identitätsnachweis erfolgt dann über die eID;
Behörden: Für die Zulassung eines neu gekauften Fahrzeugs könnten Führerschein, Fahrzeugbrief sowie elektronische Versicherungsbestätigung der vorab abgeschlossenen Kfz-Versicherung (eVB-Nummer) mit der Digitalen Identität vernetzt werden, um einen zügigen Versand sämtlicher Dokumente an die zuständige Zulassungsbehörde zu ermöglichen;
Gesundheitswesen: Sind mit der Digitalen Identität auch Informationen zur Krankenversicherung oder Impfnachweise verknüpft, können Nutzer zum Beispiel bei Reisen ins Ausland erforderliche Nachweise zu bestimmten Impfungen mit ihrem Flugticket verbinden;
Bildungswesen: Mit dem Identitätsnachweis ließe sich eine EU-weite Immatrikulation an Hochschulen reibungslos durchsetzen. Auch der BAföG-Antrag könnte zügiger erfolgen. Möglich würde dies das Einspeisen von Immatrikulationsnachweis, Zeugnissen/ECTS-Nachweisen, Elternauskünften sowie entsprechenden Formularen machen;
E-Commerce:Für den Onlinehandel lassen sich Bankkonten für effizientere Transaktionen verknüpfen.
Online-Anträge stellen mit Digitaler Signatur – geht das?
Einige Geschäfts- und Vertragsabschlüsse benötigen eine händische Unterschrift beider Parteien oder nur des Antragstellenden. Heute sind elektronische Unterschriften allgemein akzeptiert, solange sie der Reglementierung der eIDAS-Verordnung hinsichtlich elektronischer Signaturen, Siegel und Zeitstempel entsprechen.
Die Angebote existieren in zwei Varianten: Auf einer SmartCard, die sich lokal am PC mit Lesegerät und Software abrufen lässt, oder als Cloud-basierter eIDAS-konformer Remote-Signing-Service für elektronische Signaturen. Beide Varianten ließen sich effektiv in eine Digitale-Identitäts-Plattform integrieren. Dadurch wären Nutzer in der Lage, Dokumente wie Miet-, Versicherungs- oder Einrichtungsverträge für neue Bankkonten oder andere geschäftliche Korrespondenzen rechtskräftig von ihrem Smartphone aus digital zu unterzeichnen. Das Ausdrucken, Unterschreiben und Einscannen von Dokumenten könnte entfallen.
Was ist die von der EU-Kommission vorgeschlagene EUid?
Einige Länder haben bereits länderspezifische Lösungen gefunden, mit denen sich ihre Bürgerinnen und Bürger online ausweisen können. So gibt es in Deutschland seit 2010 die Online-Ausweisfunktion, die ab 2017 obligatorischer Teil des Personalausweises wurde. Um den Ausweis online zu aktivieren, wird der in der Ausweiskarte enthaltene Chip über ein NFC-fähiges Smartphone oder ein spezielles Lesegerät eingelesen.
In der App AusweisApp2 wird die eID im Smartphone geprüft. Damit erfolgt die Registrierung für Behördengänge oder geschäftliche Angelegenheiten wesentlich einfacher – sofern die jeweilige Plattform die Online-Ausweisfunktion akzeptiert. Allerdings ist der Nutzen eingeschränkt, Vorgänge wie die Anmietung einer Wohnung erfordern häufig weitere Dokumente, die wie gewohnt eingescannt und per E-Mail oder Post versandt werden müssen.
Im Juni dieses Jahres hat die EU-Kommission die Entwicklung einer einheitlichen EUid beschlossen. Dabei handelt es sich um ein Wallet, mit dem sich Bürgerinnen und Bürgerim gesamten EU-Raum online und offline ausweisen und digitale Services in Anspruch nehmen können. Darüber hinaus werden unterschiedliche Informationen und Dokumente wie zum Beispiel Führerschein, Zeugnisse, Versicherungen oder Bankkonten mit der digitalen Brieftasche verknüpft.
Jeder EU-Mitgliedstaat muss seinen Bürgern ab Ende 2023 ein sicheres ID-Wallet anbieten können, dessen Grundlage die EUid sein soll. Diese wird von den jeweiligen EU-Ländern auf deren Anforderungen angepasst, so dass es EU-weit voraussichtlich 26 verschiedene ID-Wallets geben wird. Realistischerweise hat Brüssel darauf verzichtet, einen harten europaweiten Standard vorzugeben, da dieser vermutlich zu endlosen Diskussionen und Verzögerungen geführt hätte.
Immerhin wird damit ein gemeinsamer Standard auf Mindestniveau vorgegeben, so dass die verschiedenen ID-Wallets der Länder für bestimmte einheitliche Grundfunktionen zu gebrauchen sein werden. Ziel der EUid ist, den EU-weiten Abschluss von Verträgen sowie anderer Geschäfte zu vereinheitlichen, zu vereinfachen und zu beschleunigen. Gleichzeitig soll die persönliche EUid den Nutzern die Kontrolle und Freigabe ihrer eigenen Daten gewährleisten. Bis zum Jahr 2030 sollen 80 Prozent der europäischen Bevölkerung eine eID-Lösung verwenden und alle öffentlichen Dienste online verfügbar sein.
Fazit: Die Vorteile überwiegen
Die Einführung einer Digitalen Identität in Europa hat viele Vorzüge: Die Nutzer können alle relevanten Dokumente und Informationen zentral sammeln, bewahren dadurch den Überblick und die Kontrolle über ihre eigenen Daten und können sich im gesamten EU-Raum online und offline ausweisen. Sie ersparen sich zudem einiges an Zeit und Aufwand, da sich die gespeicherten Informationen vielseitig einsetzen lassen und sie nicht mehr ständig neue Profile und Online-Identitäten anlegen müssen.
Deutschland hat im Juli 2021 das Gesetz zur Einführung eines elektronischen Identitätsnachweises mit einem mobilen Endgerät verabschiedet und damit einen Grundstein für Digitale Identitäten gelegt. Die Umsetzung der einheitlichen Services schreitet voran und wird neue digitale Verfahren ermöglichen; sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene. Bemerkenswert dabei ist die Einbindung der Nutzer, die eigenverantwortlich und nachvollziehbar über Umfang und Tiefe ihrer Identitätsdaten entscheiden dürfen.
*Andreas Vollmert, Strategic Growth Manager bei Swisscom Trust Services.
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