Florian Brody: „Freitag Frühschluss kennt hier niemand“

Anlässlich der IncrediblEurope-Konferenz in Wien, die unter dem Motto "Co-Create the Future" Mitte Juni stattfindet, sprach Marion Fugléwicz-Bren mit Florian Brody über Kulturunterschiede zwischen Wien und dem Silicon Valley, über Mut, Chancen und professionellen Alltag. [...]

Marion Fugléwicz-Bren: Florian, Du lebst jetzt seit über 20 Jahren im Silicon Valley, bist aber regelmäßig in Wien. Wo siehst Du die größten Unterschiede zwischen dem professionellen Alltag hier und dort – wo kann man voneinander lernen?

Florian Brody: In der San Francisco Bay Area geht es genauso wie in den meisten Teilen der USA immer um Arbeit. Das ist nicht zuletzt in den Moralvorstellungen der puritanischen Einwanderer begründet und ein fundamentales Element des American Dreams (vom Tellerwäscher zum Millionär): Nur daß sich eben im Silicon Valley alles um Technologie, das Potenzial von Technologie und um Start-Ups dreht. Das manifestiert sich in zwei Wochen Urlaub und vier Krankheitstagen pro Jahr et cetera. Andererseits ist es dann auch wieder akzeptabel und erstrebenswert, nach Jahren harter Arbeit auch eine Auszeit (Sabbatical) zu nehmen. Freitag Frühschluss kennt hier niemand. Der große Vorteil andererseits ist die Flexibilität, die jedem erlaubt, nach Interesse und Fähigkeiten immer wieder neu anzufangen. Viele haben eine zweite, eine dritte Karriere. So genannte „Lifer“ – also jemand, der sein ganzes Leben bei einer Firma arbeitet – etwa bei IBM – sind selten. Die Bandbreite ist einfach weitaus größer und niemand ist erstaunt, wenn die Personalchefin einer Handelsbank, sobald die Tochter an der Uni ist, den Job hinwirft und Zenmönch wird, eine Catering Firma aufmacht oder eine Farm am Land betreibt. Sozialstaat („Obamacare“) wird als Einmischung des Staates und als unfairer Weg, bei dem Menschen mit weniger Geld oder weniger Chancen auf Kosten der Bessergestellten geholfen wird, abgelehnt: Jeder hat die gleichen Chancen und wer arm ist, ist möglicherweise faul. Nun werden aber auch Fotofallen an Straßenkreuzungen, die Rotlichtüberschreitungen aufzeichnen als unfair abgelehnt – bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei hat man zumindest eine ehrliche Chance zu entkommen. Menschen mit mentaler Ausrichtung oder Begrenzung, die es ihnen nicht ermöglicht, einer „normalen“ Arbeit nachzugehen, enden in Wien in geschützten Werkstätten, in San Francisco auf der Straße. Multipel Behinderte im elektrischen Rollstuhl, die in Wien gern etwas versteckt werden, nehmen hier völlig selbstverständlich am Wirtschaftsleben, auch auf Konferenzen und Messen teil. Es gibt da kein „besser“ oder „schlechter“, es gibt da auch wenige Details, die man lernen könnte. Am meisten profitiert man davon, beide Seiten zu kennen und die Flexibilität zu gewinnen, Dinge offener zu sehen, neue Optionen zu erkennen und zu erkennen, dass es auch anders gehen kann.

Du kommst immer wieder zu Konferenzen und Workshops nach Wien – diesmal zum IncrediblEurope Summit (14.-15. Juni; http://www.incredibleurope.com/ ). Der Konferenz-Slogan lautet „Co-create the Future!“ – welche Möglichkeiten hat der Einzelne, die Zukunft mitzugestalten, sind die Abhängigkeiten heute kleiner oder größer als früher, wohin geht die Entwicklung?

Je nach Auffassung sind wir lauter Einzelne und damit ist jeder für die Zukunft verantwortlich oder die gesellschaftliche Struktur ist ein unteilbares Ganzes. In jedem Falle ist jeder in jedem Moment für die Zukunft mitverantwortlich. In welcher Form die Konferenz hier einen Beitrag leistet, bleibt abzuwarten. Letztlich geht es aber gar nicht um die Zukunft, sondern immer nur um das Jetzt – um den Moment. Ich arbeite an einer Präsentation dazu mit jungen Uni-Absolventen, die als Young Ambassadors europäische Länder bei der IncrediblEurope repräsentieren.

Braucht man heute mehr Mut für die Zukunft als etwa vor 20 Jahren?

Man braucht Mut für die Gegenwart, für den Moment jetzt. Mut ist aber immer auch von den eigenen Erfahrungen geprägt und die liegen in der Vergangenheit. Ein heute zwanzigjähriger Absolvent brauchte vor zwanzig Jahren sehr viel Mut für die ersten Atemzüge.

Was rätst Du jungen Start-Ups, hier und/oder in Kalifornien, worauf sollen sie achten?

Eine realistische Einschätzung aller Parameter und Teilnehmer am Ökosystem zu beachten, in dem sich der Start-Up bewegt sowie die professionelle Arbeit und die Chance zu nützen, sich die jeweils andere Seite auch anzusehen. Es gibt beispielsweise mehrere Möglichkeiten für österreichische Start-Ups ins Silicon Valley zu kommen. Wer sie ergreift, sollte unbedingt darauf achten, die Zeit optimal zu nutzen.

Zu Deiner Person: Wo liegen Deine derzeitigen Business-Schwerpunkte? Wo kann man „besser“ leben (und Projekte verwirklichen) – in Wien oder im Valley?

Ich arbeite seit mehreren Jahren im Bereich Mobile Payment und Mobile Offers und leite Marketing für Start-Ups. Ich unterrichte in Europa und in Kalifornien und arbeite als Berater für mehrere Organisationen im kommerziellen und Non-Profit Bereich. Ich bin immer an Projekten interessiert, die eine Kooperation zwischen Österreich und dem Silicon Valley fördern und freue mich, dass das Projekt eines StartUp Inkubators für österreichischen Firmen, das ich initiiert hatte, inzwischen gut funktioniert. Leben kann man sicher besser in Wien; meine Arbeit mache ich besser in Kalifornien und mein Ziel ist, wieder vermehrt beides zu verbinden und intensiv an Projekten zu arbeiten, die Europa und das Silicon Valley verbinden. Meinen Lehrauftrag an der Uni Linz zum Thema Finanzierung von eBusiness Start-Ups habe ich partiell per Skype durchgeführt und werde die Studenten auch in Linz treffen. Sowohl in Form als auch in Inhalten bemühe ich mich, die Unterschiede der beiden Businessumgebungen darzustellen.

Welche kulturspezifischen Unterschiede sind aktuell hervorstechend für Dich?

In Wien möchte ich versuchen, mit meiner kleinen Tochter die Figaro-Inszenierung an der Staatsoper zu sehen – so wir Karten bekommen. Die San Francisco Symphony unter Michael Tilson Thomas ist Weltspitze – aber das Verständnis von „ars longa – vita brevis“ fehlt meist. Es gibt in Kalifornien erstklassige Museen, die weitaus mehr auf Information als auf Sammlung ausgerichtet sind; Kunstunterricht an der Schule hingegen ist ein Luxus, den sich derzeit wohl niemand leisten kann. Manchmal fällt mir ein Satz ein, der auch für mich schon verblasst ist: Mein Professor an der Theaterwissenschaft, Marcel Prawy, sagte uns: „Sechs Tage die Woche Schule, sieben Tage Oper. Schule kann man schwänzen…“

Das Gespräch führte die freie Autorin Marion Fugléwicz-Bren.

ZUR PERSON:

Florian Brody ist ein international anerkannter Medienspezialist mit österreichischen Wurzeln. Mehr über Ihn erfahren Sie auf seiner Website http://www.brody.org/ oder in seinem Blog http://www.brody.org/Brody/Blog.html .

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