Frühstückstisch und Arbeitsplatz: 95 Prozent wollen Homeoffice

Das Homeoffice wird – auch unabhängig von der Corona-Pandemie - immer mehr zum fixen Bestandteil der Berufswelt. Daraus resultieren viele offene Fragen, die das Team des Human Capital Management (HCM) in der oö. Standortagentur Business Upper Austria gemeinsam mit der FHOÖ analysiert hat. [...]

Expertinnen und Experten am Wort: Die Ergebnisse der Umfrage wurden von den Studienautoren per Online-Event präsentiert. (c) Business Upper Austria
Expertinnen und Experten am Wort: Die Ergebnisse der Umfrage wurden von den Studienautoren per Online-Event präsentiert. (c) Business Upper Austria

Was viele Berufstätige nur vom Hörensagen kannten, wurde im Frühjahr über Nacht Realität: Der eilige abgeräumte Frühstückstisch verwandelte sich in einen Arbeitsplatz, Aufgaben wurden in der Jogginghose erledigt und statt der Bürokollegen mutierte der Kühlschrank zum omnipräsenten Gegenüber. Tech-Startups, digitale Nomaden und Einpersonen-Unternehmen schwärmten schon lange von den Vorteilen der mobilen Arbeitswelt und der angeblich daraus resultierenden höheren Produktivität und Zufriedenheit. An der breiten Masse gingen die modernen Technologien und ihre angeblichen Errungenschaften in der präcoronaren Zeit allerdings vorbei. Die Pandemie änderte dies schlagartig. Nach der Schockwelle bot sich Zeit für Reflexion, die das HCM-Team zur analytischen Betrachtung nutzte. Um die Rolle von Heimarbeit aus der Sicht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jetzt und in Zukunft zu beleuchten, wurde gemeinsam mit der FHOÖ eine Umfrage durchgeführt. Wie zufrieden sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrer Arbeitsleistung und welche Vor- und Nachteile sehen sie in der Nutzung von Homeoffice? Die Resultate sind eine brauchbare Basis für Unternehmen, die Homeoffice anbieten oder optional „umsatteln“ wollen.

Am Wort: Expertinnen und Experten

Die Ergebnisse der Studie sowie rechtliche Aspekte wurden bei einer Online-Veranstaltung von den Studienautoren am 12. Oktober präsentiert, dies waren Peter Brandstätter MBA, Fachbereichsleiter für Führung und Soziale Kompetenzen an der FHOÖ, Campus Steyr und seit ca. 2004 Beirat im HCM sowie FH-Prof. Christine Ebner, Fachbereich Führung & Sozialkompetenz. Sie ist seit 2015 an der Fachhochschule OÖ als Professorin für Führung und Sozialkompetenz an der Fakultät für Wirtschaft und Management tätig.

Aus Sicht von Brandstätter und Ebner werden beim Homeoffice Mischformen bevorzugt. Nur sieben Prozent wollen überwiegend oder ausschließlich daheim arbeiten, aber auch nur fünf Prozent der Berufstätigen lehnen Homeoffice grundsätzlich ab.

„Zwei von drei Mitarbeitern wünschen sich einen Anteil von 21 bis 60 Prozent im Homeoffice – das entspricht bis zu drei Werktagen“

Dr. Christine Ebner

„Wenn Organisationen das Rad auf null zurückdrehen wollen, werden sie wahrscheinlich ein Problem haben; wenn andere Unternehmen der Meinung sind, Homeoffice ist die ultimative Lösung, werden sie auch ein Problem haben.“

Peter Brandstätter MBA

Ein Blick in die Unternehmen

Beim Digitaldienstleister Netural war Homeoffice vor dem Lockdown kein dringliches Thema. Aufgrund der Komplexität der Digitalprojekte und der agilen Organisation waren interdisziplinäre Teams, kurze Wege und Arbeitssettings wie „alle an einen Tisch“ gängige Arbeitsformen. Der Umzug in die Homeoffices hat aufgrund der Strukturen von einem Tag auf den anderen funktioniert und die operativen Projekte wurden nahtlos fortgesetzt.

Heute arbeitet Netural in einer Hybrid-Form, die es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erlaubt, je nach Arbeitsinhalt und persönlicher Situation im Homeoffice oder im Büro zu arbeiten. Gesteuert wird die Anwesenheit durch klare Spielregeln und für die Sicherheit nutzt Netural Covidoor – das Gesundheitsticket. 

„Es gibt keine Regelung, die für alle passt. Deswegen bin ich auch kein Fan eines fixen Homeoffice-Freitag. Es braucht aus meiner Sicht ein flexibles Modell, das kurzfristig auf die jeweilige Arbeits- und Lebenssituation angepasst werden kann und die Produktivität sicherstellt.“

Mag. Irene Bouchal-Gahleitner, Director People & Organization bei Netural

Bei Richter Pharma war Homeoffice kein Neuland. Das Unternehmen hat schon vor ein paar Jahren gemerkt, dass das Recruiting im oberösterreichischen Zentralraum schwierig ist. Der Ruf nach Homeoffice wurde immer lauter, seit 2017 liefen verschiedene Projekte, bei denen es entsprechende Vereinbarungen gab. Beim Lockdown wechselten 120 der 430 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einem Schlag ins Homeoffice.

„Wir hatten den Vorteil, dass es bei uns schon Vereinbarungen und klare Regeln für das gab. Ein Problem aus meiner Sicht ist, dass manche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bei denen kein Homeoffice möglich ist, Vorurteile haben. Hier ist es notwendig Transparenz zu schaffen und Überzeugungsarbeit zu leisten.“

Petra Seiler, Leitung Human Resources bei Richter Pharma

Die Umfrageergebnisse im Detail

Der Fokus der Umfrage lag darauf, bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und Unternehmen ein Stimmungsbarometer einzuholen. Die Zielgruppe waren Personen mit und ohne Homeoffice-Erfahrung. Der Schwerpunkt lag auf Oberösterreich. 1.106 vollständig ausgefüllte Fragebögen kamen zurück, der Anteil der Befragten mit Führungsverantwortung betrug
29 Prozent, 71 Prozent waren nicht mit Führungsaufgabe betraut.
Die Umfrage erfolgte branchenübergreifend.

  • 55 Prozent haben vor COVID-19 schon im Homeoffice gearbeitet
  • Während des COVID-19-Shutdowns waren rund 74 Prozent der befragten Personen zu mehr als 80 Prozent im Homeoffice
  • Mit Stand 12. Oktober waren 24 Prozent nicht mehr im Homeoffice und 32 Prozent zu maximal 20 Prozent im Homeoffice; 56 Prozent arbeiten maximal ein Tag pro Woche in den eigenen vier Wänden. Jeder vierte Mitarbeiter hat gar kein Homeoffice mehr.

87 Prozent im virtuellen Dialog 

  • 64 Prozent haben mehrmals in der Woche eine virtuelle Besprechung, ein Fünftel der befragten Personen sogar täglich
  • Der Anteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nie oder nur selten virtuelle Besprechungen mit dem Team haben, liegt bei 13 Prozent
  • Regelmäßige Abstimmung findet in den meisten Fällen statt

94 Prozent wollen klare Regeln

  • 94 Prozent der Personen mit Homeoffice-Erfahrung betrachten die Regelung der Zusammenarbeit als „wichtig“ oder „sehr wichtig“.
  • 84 Prozent der Betroffenen schätzen die Infrastruktur im Homeoffice als „gut“ oder „sehr gut“ ein: hier ist wenig Handlungsbedarf gegeben

Hohe Zufriedenheit mit Arbeitsleistung

  • über 80 Prozent sind mit der eigenen Arbeitsleistung im Homeoffice zufrieden
  • 37 Prozent geben an, das Arbeitstempo sei höher bzw. 58 Prozent schätzen es gleich ein
  • fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter glauben, bessere oder gleich gute Arbeitsqualität zu erbringen (76 Prozent gleich, 22 Prozent besser)
  • Das Angebot Homeoffice erhöht die Zufriedenheit mit der eigenen Arbeitsleistung bei besserer oder gleicher subjektiver Arbeitsmenge und Qualität
  • Der Umgang mit digitalen Medien stellt bei den befragten Personen keine wesentliche Hürde dar

Jobwechsel: Homeoffice ist ein Kriterium

Auch am Arbeitsmarkt sind Unternehmen, die Homeoffice anbieten, klar im Vorteil. Wie die Umfrage zeigte, wünschen sich 4 von 5 Bewerber die Option, von daheim aus arbeiten zu können.

Vorteile und Nachteile von Homeoffice

  • Vorteile gereiht 
    1. Keine Anreise zum Arbeitsplatz
    2. Ungestört arbeiten können
    3. Gute Vereinbarkeit beruf/Privat
    4. Flexible Arbeitszeit
    5. Ungezwungene Arbeitsumgebung
       
  • Nachteile gereiht 
    1. Mangelnde soziale Kontakte zu Kollegen
    2. Erhöhter Abstimmungsaufwand
    3. Mangelhafter Informationsfluss
    4. Schwierig, Kollegen um Hilfe zu fragen
    5. Kein Platz in der Wohnung

Rechtliche Aspekte entscheidend

Andreas Gattinger, seit 2012 Tätigkeit in der Rechtsabteilung der WKO mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht, listete die rechtlichen Aspekte für Homeoffice-Regelungen in den Unternehmen auf. Aus Sicht des Experten ist Rechtssicherheit der entscheidende Punkt: „Schriftliche Vereinbarungen zwischen den Unternehmen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind zwingend notwendig, sonst besteht die Gefahr, dass sich Gewohnheitsrecht breit macht und für Schwierigkeiten sorgt“, betont Gattinger. Arbeitszeitrechtlich macht es keinen Unterschied, von wo der Arbeitnehmer arbeitet. Auch sonst gelten alle arbeitsrechtlichen und kollektivvertraglichen Vereinbarungen. Hauptproblem: Es gibt noch kein Homeoffice-Gesetz, erst im März 2021 soll konkreter Entwurf präsentiert werden.

Business Upper Austria: www.biz-up.at


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