Führung in Corona-Zeiten: Mitarbeiter wünschen sich mehr Empathie

Das Corona-Management der meisten Führungskräfte bekommt Mitarbeiter-Lob. Häufig werden jedoch Konflikte verschleppt, die sich dann negativ auf das Arbeitsklima auswirken können. [...]

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„Vieles geht ein wenig langsamer“, resümiert Ergovia-Geschäftsführer Jens Buchloh, nachdem seine rund 25 Mitarbeiter nun knapp zwei Jahren weitestgehend vom Home-Office aus arbeiten. Als Führungskraft könnte damit auch sein Arbeitsalltag etwas ruhiger sein, doch gleichzeitig investiert er mehr Zeit in empathische Führung.

„Schleichend geht ein Teil der Unternehmenskultur verloren“, sagt der Kieler, denn allen fehle der Schnack am Arbeitsplatz oder das Bier nach Feierabend. Also muss er verstärkt für den sozialen Kitt sorgen – öfter fragen, wie es geht und ob sich die Mitarbeiter wohl fühlen. Wie in vielen IT-Unternehmen war bei Ergovia schon vor Corona fachliche Führung wenig gefragt, weil die Mitarbeiter selbst diese Kompetenz sowie Eigenverantwortung mitbringen müssen, sonst funktionieren flache Hierarchien oder agile Projektarbeit nicht. Doch Buchloh stellt fest, dass die Arbeit auf Distanz noch intensivere und offenere Kontaktpflege erfordert.

Jens Buchloh, Ergovia: „Die Gefahr besteht, dass ein Teil der Unternehmenskultur verloren geht.“

Als Beispiel nennt der Geschäftsführer die jeweilige Reaktion auf Veränderungen der Corona-Lage: „Wir haben fast immer vor der Politik reagiert“. So hat Ergovia seine Weihnachtsfeier abgesagt, als es noch um 2G, 3G mit oder ohne plus ging. Derartige Entscheidungen trifft Buchloh nie allein, sondern informiert die Mitarbeiter während eines Online-Meetings über den Stand der Dinge, dann wird diskutiert und gemeinsam beschlossen.

Das Gleiche im Sommer bei der Anzahl der Tests: Der Geschäftsführer setzt den Rahmen, das Team beschließt. Dadurch herrscht in dem Unternehmen das Gefühl: Wir gehen gemeinsam durch Corona. Das Feedback der Mitarbeiter ist deshalb bestens: Wir fühlen uns gut aufgehoben, wir agieren, der Chef sorgt sich um uns.

Auch Pluspunkte für Chefs

Branchenübergreifend ist die Mehrheit der Mitarbeiter (57 Prozent) zufrieden mit dem Engagement und der Fürsorge ihrer Führungskräfte – ob Home-Office, Arbeitsmöglichkeiten oder Technik, Homeschooling, Kontaktbeschränkungen wegen Eltern oder überhaupt Zusammenspiel von Familie und Beruf. Drei Fünftel der Beschäftigten haben den Eindruck, dass ihr Unternehmen ein besseres Verständnis für sie entwickelt hat. Das ist das Ergebnis der zweiteiligen Studie „Corona und die Folgen“, die der Personaldienstleister Hays im November veröffentlichte.

Einerseits wurden 1000 Beschäftigte befragt, andererseits 755 Führungskräfte. Knapp zwei Drittel der Mitarbeiter honorieren die offene Kommunikation ihres Unternehmens über die aktuelle Lage, selbst wenn die Geschäftsführung nur die eigene Unsicherheit oder Genervtheit über die wechselnden Verordnungen mitteilen konnte. Auch der kommunizierte Kontrollverlust stärkt die Gemeinsamkeit. Grundsätzlich fühlen die Mitarbeiter durch den Austausch Wertschätzung und Anerkennung.

Mitarbeiter fühlen sich kontrolliert

Allerdings gibt es auch Kritik am Führungsverhalten. Das betrifft einerseits eine engmaschigere Kontrolle und andererseits fehlende Empathie. So beklagen knapp die Hälfte der Mitarbeiter den gestiegenen Druck, fast 40 Prozent registrieren Führung von oben herab und 36 Prozent, dass sie sehr genau kontrolliert werden, wann, wie viel und wie sie arbeiten. 45 Prozent fühlen sich stärker austauschbar und weniger wichtig und mehr als ein Drittel ist sogar nachhaltig enttäuscht vom eigenen Arbeitgeber.

Führung sei ein Balanceakt zwischen Vertrauen und Kontrolle, so Dirk Hahn, CEO der Mannheimer Hays AG: „Die Aussagen zur zunehmenden digitalen Kontrolle und dem in der Realität nur teilweise umgesetzten partizipativen Führungsstil sollte Führungskräfte aufhorchen lassen. Hier zeigen sich wichtige Stellschrauben zur Mitarbeiterbindung, gerade vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels“.

Dirk Hahn, Hays: „Führung ist ein Balanceakt zwischen Kontrolle und Vertrauen.“

„Kommunikation und Engagement sind momentan eminent wichtig“, stellt auch Marcus Briesen fest. Die Brisanz des vergangenen Frühjahres gebe es aktuell so nicht mehr, aber Verbindungen zu schaffen innerhalb und zwischen verschiedenen Teams bleibt ein Kernthema, so der Prokurist der Disy Informationssysteme.

„Wir haben sehr schnell über unsere solide bis sehr gute Wirtschaftslage berichtet, über die Kunden und den Stand der Projekte“, erinnert sich der Karlsruher. So merkten die 170 Mitarbeiter, dass sie sich keine finanziellen Sorgen machen mussten.

Marcus Briesen, Disy Informationssysteme: „Kommunikation und Engagement sind momentan eminent wichtig.“

Bis alle im Home-Office voll arbeitsfähig waren, vergingen lediglich 14 Tage, dann stand das Internet, Bürostühle oder Monitore waren vom Büro nach Hause umgezogen und die geregelte Kommunikation funktionierte virtuell. Weil sich die Geschäftsführung intensiver um berufstätige Eltern mit Kindern gekümmert hat sowie um Singles, für die das Büro einen großen Teil des Soziallebens ausmachte, bekam sie viel positives Feedback: „Wir haben sehr berührende Mails bekommen“.

Der „Klebstoff“ geht verloren

Die Stimmung in der ersten Phase des Home-Office war erstaunlich gut – kein Zeitverlust durch Anfahrt, neue Kommunikations-Tools oder engere Verbindung von Arbeit und Familie. Inzwischen fällt Briesen ganz ähnlich wie Jens Buchloh auf, dass durch die rein virtuelle Zusammenarbeit seit einiger Zeit der „Klebstoff“ verloren geht. Wurden vor zwei Jahren kleine Konflikte im direkten Kontakt in drei Minuten gelöst, werden sie heute eher verschleppt, werden größer und sind mit höherem Aufwand zu lösen.

Oder: Im Service und in der Beratung wächst das Wissen über Kunden, Möglichkeiten der Problemlösung und auch über Fachliches durch den engen Kontakt: Man hört dort was, fragt da schnell nach. Das fehlt beinahe komplett, weil im gleichen Büro zu sitzen, durch virtuelle Kontakte nicht zu ersetzen ist. Da half es auch nicht, dass Disy einen webbasierten Messaging-Dienst ausbaute, einen virtuellen Raum mit Kaffeemaschine oder gemeinsame Mittagspausen schuf. „Der unmittelbare Kontakt ist schlicht nicht zu ersetzen“, sagt Briesen, „auch die Entwickler, die seit langem eng virtuell zusammenarbeiten, trafen sich vor Corona regelmäßig an einem Ort“.

Direkter Kontakt heißt mehr Kreativität

Corona führt zu Veränderungen in der Arbeitswelt, da sind sich die meisten einig. Es gibt eine Reihe von Tätigkeiten, die effektiver, weil mit mehr Ruhe im Home-Office erledigt werden können. Unternehmen werden Mitarbeitern, die ein krankes Kind zu Hause haben oder einen Arzttermin wahrnehmen wollen, mehr vertrauen und flexibler reagieren. Dienstreisen werden durch virtuelle Konferenzen ersetzt, um Geld und vor allem Zeit zu sparen. Doch der unmittelbare Kontakt zwischen Mitarbeitern ist unersetzlich – für die Mitarbeiter selbst, für die kreative Zusammenarbeit und für einen größeren Unternehmenserfolg.

*Jens Gieseler arbeitet als freier Journalist in Tübingen.


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