Führung 4.0: Wie Führungskräfte trotz Agilität auf Kurs bleiben

Agile Methoden stellen Führungskräfte vor vollkommen neue Herausforderungen. Lesen Sie, wie Sie den Change schaffen. [...]

Der technologische Wandel verändert die Geschäftswelt mit hoher Geschwindigkeit. Die meisten Unternehmen kämpfen, um dieser Entwicklung Schritt zu halten – von der Art und Weise, wie sie mit Kunden interagieren bis hin zu Planung , Steuerung und der Suche nach der zukünftigen Positionierung. Jeden Tag müssen Verantwortliche Vollgas geben, um den Anschluss an die sich permanent ändernden Rahmenbedingungen nicht zu verlieren. Dies gilt selbstverständlich auch für die eigentlichen Führungsaufgaben. Viele Führungskräfte sehen sich durch die agilen Welten mit ihren selbstorganisierenden Teams zunehmend bedroht. Wie navigieren Manager in diesem zunehmend von Geschwindigkeit diktierten Umfeld, und wie gelingt es ihnen, bei Höchstgeschwindigkeit auf Kurs zu bleiben?
Agilität und Führung – Werden Führungskräfte in Zukunft noch gebraucht?
Agile Vorgehensweisen haben ihren Ursprung in der Informationstechnologie – genauer gesagt in der Softwareentwicklung. Sie sind als Alternative zu einer Hörigkeit in „fette“, „dokumenten-orientierte“ und „wasserfallartige“ Lösungsentwicklungsmethoden entstanden. Aus diesem eher begrenzten Anwendungsgebiet heraus begann ab 2001 mit der Veröffentlichung des agilen Manifests ihr Siegeszug. Dieser ist nicht mehr aufzuhalten und hat längst nicht nur die IT- sondern auch die Geschäftswelt erfasst.
Heute verbindet man mit dem Begriff „Agilität“ kurze Entwicklungs- und Auslieferungszyklen, hohen Interaktionsgrad von Beteiligten unterschiedlicher Disziplinen sowie schnelles und direkte Feedback vom Kunden und Geschäftspartnern. Agil wird häufig mit iterativ und inkrementell gleich gesetzt. Iterativ, weil schrittweise eine Annäherung an die Lösung in wiederholten Gängen erfolgt. Inkrementell, weil Umfang und Inhalt nach jeder Iteration wachsen.
Neben den rein inhaltlichen Aspekten geht die agile Entwicklung mit kulturellen Veränderungen einer vernetzten Welt einher. Anstehende Aufgaben werden Teams überlassen, welche sich bzgl. der Aufgabenabarbeitung selbst organisieren. Langfristige Kontrolle und Planbarkeit verlieren aufgrund kurzfristiger Ergebnisorientierung an Bedeutung. Last but not least wird eine Null-Toleranz-Einstellung gegenüber Fehlern durch eine Kultur und Herangehensweise abgelöst, die durch schnellen Experimente, durch Lernen und permanente Anpassungen geprägt ist.
Kein Wunder also, dass diese Entwicklung bei vielen Managern zunächst Skepsis, wenn nicht gar Ängste vor agilen Welten auslöst. Bleibt doch die Frage oft unbeantwortet, ob dies alles nur ein Hype ist und vorübergeht oder es zu einer substanziellen Veränderung in der Führungskultur und der Arbeitsweise kommen wird, die auch vor den Chefetagen nicht haltmacht.
Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten ist. Die schlechte Nachricht ist, dass für Führungskräfte der „alten“ Schule, welche ihre „Macht“ durch die Anzahl an Untergebenen definieren und diese „Macht“ auch so ausleben, immer weniger Platz ist. Die Forderung manch eines extremen „Agilisten“ nach gänzlicher Abschaffung des Managements ist allerdings auch wenig realistisch. In der Tat wird es zu einer Neudefinition von Führung in Unternehmen kommen, die eher von „Einfluss“ auf das Netzwerk als durch „Macht“ geprägt ist. Die gute Nachricht ist deshalb, dass Führungsaufgaben im Unternehmen bestehen und erhalten bleiben. Sie erhalten durch einen veränderten Rahmen allerdings eine neue Bedeutung und erfordern neue Prioritäten. Die Frage ist daher nicht, ob Agilität und Führung im Widerspruch stehen, sondern welche Führungskräfte für agilere Unternehmen gebraucht werden.
„Führung reloaded“: Wie sieht die agile Führungsrolle im agilen Zeitalter aus?
Man könnte meinen, dass durch selbstorganisierende Teams die Rolle der Führungskraft einfacher wird. In der Realität ist das Gegenteil der Fall – Führungsaufgaben werden anspruchsvoller!
Man stelle sich nur eine Menge von Musikern vor, aus der ein Orchester zu formen ist. Die Führungskräfte stellen die notwendigen Ressourcen zur Verfügung und akquirieren entsprechende Personen. Selbstverständlich müssen die Personen die geeigneten Kompetenzen haben, um sich auch entsprechend einbringen zu können. Ist das Team zusammengestellt, benötigt es bestimmte Rahmenbedingungen: Aus Kundenerwartungen sind Ziele zu formulieren und zu kommunizieren („Welches Stück ist zu spielen?“), der Fortschritt der Proben ist zu verfolgen („Ist das Orchester noch im Zeitplan bis zur Aufführung?“) und das Team vor äußeren Einflüssen schützen („Haben Orchester sowie die Musiker genügend Zeit und Raum, um zu üben?“). Last but not least gilt es gemeinsam mit dem Team das Stück erst einmal in kleinere Teile zu portionieren (Auf Neudeutsch: Minimum Viable Products (MVP)), die für sich erst einmal korrekt gespielt werden können.
Je größer der Freiraum des Teams ist, desto stärker muss die Führungskraft an den Grenzen darauf achten, dass das Team den Job erledigen kann. Disziplin an den Grenzen ermöglicht damit freieres Handeln und Agieren im Inneren.
Es ist unumstritten, dass die Führungskraft im Umgang mit selbstorganisierten Teams mehr loslassen muss. Minutiöse Kontrolle vom Schreibtisch aus wird durch Einfluss auf die Lösungsgestaltung in Form Face-to-Face-Kommunikation ersetzt. Damit besteht die agile Führungsrolle im Kern in der Orchestrierung von internen und externen Kunden, der eigenen Teams und der Sicherstellung der zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Rahmenbedingungen.
„Agile Führung“: Was bedeutet das im Unternehmensalltag?
In einem agilen Unternehmen kümmern sich die Menschen um die Aufgaben – und die Führung kümmert sich um die Menschen. Dies bedeutet nicht, alle Autorität am Eingang abzugeben. Denn Führung wird auf das zurückgeführt, was es im Kern sein sollte: Richtungsweisung und Entscheidung. Denn beides schafft Klarheit in mehrdeutigen Situationen. Ehrlicherweise mangelt es daran in vielen Unternehmen.
Geschäftsführer und Vorstände erwarten bei Veränderungsprojekten von ihren Führungskräften im „klassischen“ Unternehmen primär Investitionssicherheit. Wegwerfen passt nicht zu diesem Denkschema. Im agilen Unternehmen müssen Führungskräfte erst einmal mit dem Gedanken vertraut gemacht werden, MVPs wegwerfen zu können.
Dem entsprechend tritt an die Stelle des Null-Fehler-Toleranz-Prinzips das nun vielgepriesene Fail-Faster-Prinzip. Bislang waren Führungskräfte meist dahingehend „konditioniert“, im Zweifelsfall auf Nummer sicher zu gehen. Demgegenüber muss sich die Führungskraft im agile Paradigma permanent fragen, was das größere Risiko darstellt: Das Risiko, etwas falsch zu machen und daraus ggfs. zu lernen oder das Risiko, erst gar nicht begonnen zu haben und damit aufzuhören, für Kunden oder Märkte eine Relevanz zu haben. Um Geschwindigkeit aufzunehmen muss der Motor angelassen und losgefahren werden – auch, wenn die Fahrt dann in der Leitplanke enden kann.
Können diese Herausforderungen nun mit einer Neu-Definition des Führungsstils alleine gelöst werden? Eher nein. Vielmehr ist ein grundsätzliches Umdenken im Umgang mit Unsicherheit erforderlich. Ein solcher Wandel gelingt nur, wenn Veränderungen über alle Ebenen hinweg in kleinen Schritten und mit überschaubaren Investitionen vorgenommen werden – in diesem Sinne werden die Prinzipien ganzheitlich zum Einsatz gebracht, welche für das Unternehmen gelten sollen. Dies beginnt bei der strategischen Ausrichtung, setzt sich über den Umgang mit dem Veränderungsportfolio fort und hat oftmals auch strukturelle und prozessuale Anpassungen im Geschäftssystem zur Konsequenz.
Solche tiefgreifenden Veränderungen sind für viele Unternehmen meist nicht evolutionär darstellbar. Unternehmens-interne Ansätze sind deshalb oft erfolglos und verlaufen im Sande. Damit sie erfolgreich sind, bedarf es deshalb über ein agiles Coaching hinausgehende Erfahrung im Umgang mit den zu Grunde liegenden Transformationsprozessen, wie sie z.B. bei Unternehmensberatungen verfügbar sind. Denn: Hier geht es nicht um den Umbau im „Kleinen“ sondern um eine vollumfänglich Transformation des Unternehmens. Die zum Einsatz kommenden, vielfach erprobten Vorgehensweisen und Methoden ermöglichen wirksame Veränderungen im Sinne eines „Fail Fast – Fail Often“. Dadurch kommen zum einen die Prinzipien zum Einsatz, welche gewünscht sind, und zum anderen sind schnelle Richtungskorrekturen und -wechsel möglich.
Agiles Management beginnt ganz oben
Die Auswirkungen agiler Veränderungen auf die heutige Geschäftswelt lassen sich nicht mehr wegdiskutieren. Gelten die geschilderten Entwicklungen für alle Unternehmen gleichermaßen? Ja und nein. Sicherlich wird es auch in Zukunft in vielen Unternehmen Produktions- oder Betriebsprozesse geben, die durch tayloristische Arbeitsteilung und Standardisierung geprägt sind. Diese sind auch zukünftig angemessen zu führen und zu steuern – nicht alle Unternehmen können permanent und ausschließlich mit hoher Kreativität und selbstorganisierenden Teams an neuen Lösungen arbeiten. Mit Zunahme des technischen Fortschritts werden diese klassischen Prozesse jedoch immer weiter automatisiert. Wer hat z.B. vor Jahren daran gedacht, mit einem Roboter (auf neudeutsch „Chatbot“) zu telefonieren? Diese Entwicklungen werden weiter gehen und sich tendenziell noch beschleunigen.
In der Konsequenz werden an den Großteil der Führungskräfte neue Anforderungen gestellt. Zukünftige Manager müssen bestehende Aufgaben anders fokussieren, priorisieren und stärker ihrer Rolle als Richtungsweiser und Entscheider gerecht werden. Damit verlagert sich der Schwerpunkt weg vom Micro-Management mit vielen Steuerungs- und Kontrollaufgaben hin zur permanenten Organisation und Moderation von Veränderungen im Unternehmen. Weiterhin werden Sie mit der Herausforderungen zu tun haben, sich und ihre Mitarbeiter ständig weiterzuentwickeln und zu verändern. Wer diese Veränderungen mitgeht, wird auch in Zukunft als Führungskraft erfolgreich sein.
Dies erfordert eine andere Kultur auf allen Führungsebenen. Helikopter Management im Sinne „kurz reinfliegen, viel Wind machen und schnell wieder rausfliegen“ wird der Vergangenheit angehören. Bestandteil der Kulturveränderung ist es, das erwartete schon heute im Unternehmen vorzuleben. Denn wer meint, mit den bisherigen Mitteln die erforderlichen hohen Geschwindigkeiten fahren zu können, wird unweigerlich in der Leitplanke landen.
* Oliver Laitenberger leitet bei der Managementberatung Horn & Company das Kompetenzzentrum Digitalisierung und Technologie.

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