Geschlechterkluft in der IT: Wie unterschiedlich Männer und Frauen Chancen bewerten

Eine aktuelle Acronis-Studie untersucht, wie unterschiedlich Männer und Frauen die Karrierechancen von Frauen in der IT-Branche wahrnehmen. Die Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede in der Einschätzung von Gleichberechtigung, Work-Life-Balance und Karrierehürden. ITWelt.at hat sich das Whitepaper angesehen. [...]

Die Studie zeigt, dass sich traditionelle Rollenvorstellungen weiterhin auf den beruflichen Alltag auswirken. (c) Pexels
Die Studie zeigt, dass sich traditionelle Rollenvorstellungen weiterhin auf den beruflichen Alltag auswirken. (c) Pexels

Laut der Untersuchung glauben nur 60 Prozent der befragten Frauen, dass Männer und Frauen im IT-Sektor die gleichen Entwicklungsmöglichkeiten haben. Bei den Männern liegt dieser Wert bei 75 Prozent. Ähnlich groß ist die Diskrepanz beim Thema Work-Life-Balance: 63 Prozent der Frauen geben an, dass Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ihre Karriere „signifikant“ oder „stark“ beeinträchtigen, während nur 49 Prozent der Männer diesen Einfluss erkennen.

Zudem empfinden 42 Prozent der Frauen, dass eine unausgeglichene Work-Life-Balance vor allem Frauen betrifft, wohingegen nur 34 Prozent der Männer diese Einschätzung teilen. Diese Wahrnehmungsunterschiede ziehen sich durch nahezu alle Themenfelder der Studie.

Geschlechterunterschiede im IT-Alltag

Frauen sind laut der Studie „FOMO at Work: The Opportunity Gap Between Men and Women in Tech“ von Acronis häufiger überzeugt, für den beruflichen Aufstieg mehr leisten zu müssen. Zwei Drittel der Befragten glauben, länger arbeiten zu müssen, um voranzukommen. Unter den Männern teilen lediglich 56 Prozent diese Ansicht. Auffällig ist auch, dass 41 Prozent der Frauen und 33 Prozent der Männer Geschlechterstereotype und Vorurteile als Hauptgrund dafür sehen, warum Frauen seltener eine Karriere in der Cybersicherheit anstreben.

Auch beim Thema Führung zeigt sich eine ähnliche Tendenz: 41 Prozent der Frauen und 36 Prozent der Männer nennen Bias und stereotype Rollenbilder als größte Hürde für weibliche Führungskarrieren. Gleichzeitig betrachten Männer häufiger die Work-Life-Balance als zentrales Hindernis für weibliche Führungskräfte (35 Prozent gegenüber 24 Prozent der Frauen).

Ungleichgewicht in Führungsrollen

Frauen beurteilen die positiven Effekte weiblicher Führungspersonen im Unternehmen deutlich stärker als Männer. 82 Prozent der befragten Frauen glauben, dass mehr weibliche Führungskräfte die Unternehmenskultur positiv beeinflussen würden, bei den Männern sind es 74 Prozent.

Dennoch wünschen sich viele Frauen gezieltere Entwicklungsprogramme: 70 Prozent halten spezielle Leadership-Trainings für Frauen für besonders wichtig, während nur 56 Prozent der Männer diesen Bedarf sehen. Damit wird deutlich, dass Frauen verstärkt auf institutionelle Unterstützung und strukturelle Maßnahmen setzen, um Karrierehindernisse zu überwinden.

Die Work-Life-Balance bleibt ein kritischer Faktor

Die Studie zeigt, dass sich traditionelle Rollenvorstellungen weiterhin auf den beruflichen Alltag auswirken. So sagen 42 Prozent der Frauen, dass familiäre Verpflichtungen häufig dazu führen, dass sie wichtige berufliche Veranstaltungen verpassen – und mehr als die Hälfte (52 Prozent) äußert große Sorge, dass sich dies negativ auf die Karriere auswirkt. Unter den Männern teilen nur 42 Prozent diese Befürchtung.

Interessant ist, dass Männer und Frauen ähnliche Erfahrungen machen, wenn es darum geht, Chancen aus Rücksicht auf das Privatleben abzulehnen: 19 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer haben schon mehrfach eine Beförderung oder Weiterbildung aus Sorge um die Work-Life-Balance abgelehnt. Dennoch empfinden Frauen die Auswirkungen auf ihre berufliche Entwicklung deutlich stärker.

Wahrnehmung von Gleichberechtigung

Ein zentrales Ergebnis der Studie betrifft die Einschätzung der Gleichstellung im IT-Bereich. Während 75 Prozent der Männer glauben, dass gleiche Chancen bestehen, sind nur 60 Prozent der Frauen dieser Meinung. Umgekehrt sehen 38 Prozent der Frauen eine Benachteiligung, während lediglich 24 Prozent der Männer das so empfinden.

Auch in der Frage, ob sie aufgrund familiärer Verpflichtungen Karrierechancen verpassen, antworteten 55 Prozent der Frauen, dass sie sich gelegentlich oder häufig ausgeschlossen fühlen – bei den Männern sind es 50 Prozent. Die Unterschiede zeigen, dass sich Männer zunehmend bewusst sind, dass familiäre Belastungen auch für sie eine Rolle spielen, Frauen jedoch weiterhin stärker betroffen sind.

Programme zur Förderung von Diversität

Die Zufriedenheit mit Diversity-Maßnahmen fällt insgesamt moderat aus: 71 Prozent der Frauen und 69 Prozent der Männer bewerten die Diversity-Programme ihrer Unternehmen als „gut“ oder „sehr gut“. Allerdings zeigen die Daten, dass Frauen diese Programme etwas kritischer beurteilen – 10 Prozent halten sie für unzureichend, gegenüber 7 Prozent der Männer.

Im Hinblick auf konkrete Verbesserungsmaßnahmen legen Frauen größeren Wert auf transparente Beförderungs- und Vergütungsstrukturen sowie auf gezielte Programme zur Förderung weiblicher Führungskräfte. Männer setzen eher auf Elternzeitregelungen und flexible Arbeitsmodelle, die allen zugutekommen.

Unterstützung durch männliche Kollegen

Ein weiterer Aspekt der Studie betrifft die Frage, wie Männer ihre Kolleginnen am besten unterstützen können. 43 Prozent der Frauen wünschen sich vor allem aktive Fürsprache durch Männer – also Advocacy, nicht nur Mentoring. Nur 17 Prozent bevorzugen klassische Mentorenbeziehungen. Männer hingegen schätzen Mentorship höher ein: 23 Prozent sehen darin eine geeignete Unterstützungsmöglichkeit, während 35 Prozent Advocacy als hilfreich betrachten.

Zugleich engagieren sich sowohl Männer als auch Frauen zunehmend aktiv für die Förderung weiblicher Fachkräfte. Lediglich 14 Prozent der Frauen und 13 Prozent der Männer gaben an, keinerlei Mentoring- oder Unterstützungsmaßnahmen zu bieten.

Regionale und strukturelle Unterschiede

Die Befragung umfasst 666 Teilnehmende aus acht Ländern – den USA, Großbritannien, der Schweiz, Deutschland, Spanien, Italien, Singapur und Japan. Der Männeranteil lag mit 71 Prozent deutlich über dem der Frauen (29 Prozent) und spiegelt damit die aktuelle Geschlechterverteilung in der globalen IT-Branche wider. Laut Weltwirtschaftsforum sind nur rund 28 Prozent der Beschäftigten im Technologiesektor weiblich.

Diese ungleiche Ausgangsbasis verdeutlicht, dass die Unterschiede in Wahrnehmung und Erfahrung nicht nur auf individueller, sondern auch auf struktureller Ebene bestehen. Acronis betont in der Studie, dass Unternehmen aktiv Maßnahmen ergreifen sollten, um Barrieren abzubauen und weibliche Talente gezielt zu fördern.

Ein schmaler Grat zwischen Gleichstellung und Realität

Der Bericht legt nahe, dass Männer die Herausforderungen, denen Frauen im IT-Bereich begegnen, oftmals unterschätzen. So sehen viele Männer Diskriminierung eher als Einzelfälle, während Frauen von systematischen Benachteiligungen berichten. Dennoch ist ein gemeinsamer Wille zur Verbesserung erkennbar: Beide Gruppen erkennen an, dass Vielfalt und inklusive Strukturen der gesamten Branche zugutekommen.

Die Studie verweist auch auf eine zunehmende Sensibilisierung bei Männern, was Themen wie Arbeitszeiten, Familienpflichten und Gleichberechtigung betrifft. Doch solange Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert bleiben, wird sich die Kluft in der Wahrnehmung nur schwer schließen lassen.

Das Fazit der ITWelt-Redaktion

Die Acronis-Studie zeigt klar, dass Gleichstellung in der IT-Branche noch immer nicht erreicht ist – weder in Zahlen noch in Wahrnehmungen. Frauen erleben strukturelle und kulturelle Hürden deutlich stärker als Männer annehmen. Themen wie Work-Life-Balance, Geschlechterstereotype und fehlende Sichtbarkeit weiblicher Vorbilder prägen weiterhin das Karriereumfeld.

Zwar zeigen sich Fortschritte bei Diversitätsprogrammen und einer wachsenden Bewusstseinsbildung, doch bleiben deutliche Unterschiede in der Einschätzung von Chancen und Barrieren bestehen. Unternehmen könnten von der Studie profitieren, indem sie gezielt Maßnahmen ergreifen, um weibliche Karrierepfade sichtbarer zu machen und bestehende Bias-Strukturen abzubauen.


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