„Gesellschaftliche Normen gelten auch für Roboter“

Wie kann die Kommunikation zwischen Mensch und Roboter funk­tionieren? Die KI-Expertin Elisabeth André gibt Antworten. [...]

Foto: Universität Augsburg

Moderne Roboter mit Künstlicher Intelligenz sollen unser (Arbeits-)Leben deutlich einfacher machen. Doch wie kann die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine funktionieren? Und wie schlau und menschenähnlich dürfen Roboter eigentlich sein?

Darüber unterhält sich com! professional mit Elisabeth André vom Lehrstuhl für Menschzentrierte Künstliche Intelligenz an der Universität Augsburg.

com! professional: Frau Professor André, bereits heute gibt es zahlreiche Roboter, die menschenähnlich aussehen und agieren. Aber kann man im Verhältnis von Mensch und Maschine überhaupt von wirklicher Kommunikation sprechen?

Elisabeth André: Wirkliche Kommunikation erfordert nicht nur ein Verständnis über das Gesagte und den Zweck der Kommunikation. Benötigt werden vor allem auch ein Gespür für das Gegenüber und ein Einfühlen in die Gesprächssituation.

Einerseits erwarten viele Menschen auch von Maschinen, dass gewisse gesellschaftliche Normen eingehalten werden – etwa, dass man sich für Verzögerungen entschuldigt. Andererseits gilt es, eine unplausible Anteilnahme zu vermeiden.

com! professional: Können Sie ein Beispiel nennen?

André: In einer Konversation mit einem Chatbot fand ich es unpassend, als mir der Chatbot weismachen wollte, dass er wie ich an einer Allergie leide. Die Illusion einer einfühlsamen Maschine wird zerstört, wenn der Mensch merkt, dass die Maschine nur nachplappert, was ein Mensch in einer ähnlichen Situation sagen würde.

Wir haben es somit mit einer Gratwanderung bei der Simulation von Merkmalen zwischenmenschlicher Kommunikation zu tun.

com! professional: Viele Menschen empfinden ein Gespräch mit einem Roboter als „künstlich“. Wie viel und welches Feedback brauchen wir denn, um einen Roboter nicht mehr nur als Maschine wahrzunehmen?

André: Zahlreiche soziologische und psychologische Studien haben gezeigt, dass bereits minimale Hinweise genügen, damit eine Maschine als soziales Wesen wahrgenommen wird.

Die Firma Naver Labs hat beispielsweise einen Service-Roboter auf den Markt gebracht, dessen „Gesicht“ lediglich aus einer Zeile animierter Punkte und Striche besteht. Schaut man ihn an, hat man dennoch das Gefühl, dass er durch die animierte „Gesichtsmimik“ emotional auf sein Gegenüber reagiert.

Naver Labs Rookie: Das „Gesicht“ des Roboters zeigt Punkte und Striche – und vermittelt doch Emotionen.
(Quelle: Naver Labs)

com! professional: Roboter dürfen doch auch nicht zu menschlich aussehen, oder? Eine Kiste, die Gesichtsausdrücke des Menschen nachahmt, ist zwar beeindruckend, aber für viele sicher auch verstörend.

André: Ein hoher Grad an Realismus erzeugt beim Gegenüber auch Erwartungen, die, wenn sie nicht erfüllt werden, zu Enttäuschung führen. Sieht ein Roboter einem Menschen täuschend ähnlich, wird man zumindest irritiert sein, wenn dieser zum Beispiel nicht auf Sprache reagiert.

Noch gravierender ist, dass eine allzu große, aber dennoch nicht perfekte Ähnlichkeit zu lebenden Kreaturen bei vielen Menschen Unbehagen auslöst.

Dieser auch als Uncanny Valley bezeichnete Effekt stellt sich ein, wenn Unstimmigkeiten in der Gestaltung von Robotern vorliegen – etwa wenn das Blickverhalten eines ansonsten hochrealistischen Roboters mechanisch wirkt. Solche Unstimmigkeiten in den Griff zu bekommen, ist eine große Herausforderung für das Design von Robotern.

com! professional: Wie verändert denn Künstliche Intelligenz die Kommunikation mit der Maschine?

André: Die jüngsten Entwicklungen in der Sprachtechnologie werden es uns ermöglichen, mit Maschinen auf eine natürliche und intuitive Weise zu interagieren – man sagt einfach, was man möchte. Damit werden auch Alltagsnutzerinnen und -nutzer von neuen Technologien profitieren.

com! professional: Moderne KI-Techniken wie die von Chat­GPT eröffnen ja ganz neue Möglichkeiten …

André: Die speziell bei ChatGPT eingesetzten Techniken werden sich im Alltag vieler Menschen als Formulierungshilfen für geschriebenen Text etablieren, etwa beim Verfassen von Briefen oder Berichten, ebenso wie heute Rechtschreibkorrekturen von Textverarbeitungsprogrammen übernommen werden.

„Auf vielen Gebieten sind Roboter den Menschen bereits jetzt überlegen.“

ChatGPT leistet natürlich einer weiteren Automatisierung von Kommunikationsabläufen Vorschub. Schon heute nutzen viele Unternehmen Werkzeuge zur automatischen Einordnung und Beantwortung von E-Mail-Anfragen.

Mit ChatGPT besteht schon die Gefahr, dass auch die Privatkorrespondenz zwischen Menschen aus reiner Bequemlichkeit zunehmend automatisiert wird, man denke nur an Glückwunsch- oder Kondolenzschreiben.

Interessant ist auch die Frage, wie sich natürliche Sprache insgesamt weiterentwickeln wird, wenn Programme wie ChatGPT nicht nur wie bisher mit von Menschen verfassten Texten trainiert werden, sondern auch von solchen, deren Urheber selbst Maschinen sind. Es ist gut möglich, dass die von Maschinen generierten Formulierungen in der Mensch-zu-Mensch-Kommunikation aufgegriffen werden.

com! professional: Endet die Intelligenz des Roboters nicht bei der seines menschlichen Vaters oder seiner menschlichen Mutter?

André: Auf vielen Gebieten sind Roboter den Menschen bereits jetzt überlegen – etwa bei der Auswertung medizinischer Bilder oder der Genomsequenzierung. Das heißt, es ist den Menschen gelungen, Maschinen zu bauen, die in einigen Anwendungsfeldern besser sind als sie selbst.

Dies liegt vor allem an den zum Einsatz kommenden lernfähigen KI-Algorithmen und deren Fähigkeit, sich selbstständig weiterentwickeln – etwa anhand von positiven oder negativen Rückmeldungen aus der Umgebung.

Bisher sind Roboter noch hochspezialisiert und übertreffen Menschen allenfalls in ihren Spezialgebieten. An der technischen Realisierung einer sogenannten Künstlichen allgemeinen Intelligenz (Artifical General Intelligence) wird jedoch aktiv geforscht und es besteht kein Zweifel, dass gerade lernfähige Roboter den Umfang ihrer Fähigkeiten kontinuierlich werden erweitern können.

com! professional: Roboter sind der Traum jedes Arbeitgebers: Sie brauchen kein Gehalt, Arbeitszeitgesetze sind hinfällig… Wird die Arbeitswelt irgendwann zu einem großen Teil aus Robotern bestehen?

André: Das ist zu erwarten und angesichts des Fachkräftemangels auch durchaus wünschenswert. Eine Arbeitsgruppe der Plattform Lernende Systeme (PLS) hat zusammen mit Expertinnen und Experten aus Arbeits- und Sozialwissenschaften sowie Sozialverbänden und Gewerkschaften Kriterien für eine menschengerechte Gestaltung in der Arbeitswelt aufgestellt.

Essenziell ist eine austarierte Arbeitsteilung zwischen Menschen und Maschinen, die den Menschen neue Handlungsräume für eine sinnstiftende Arbeit gibt.

com! professional: Wenn man an Roboter denkt, dann meist an die in der Autoindustrie. Wenn wir aber menschenähnliche Roboter vor Augen haben – was meinen Sie, wie lange wird es dauern, bis im Friseursalon nur noch der Roboter meine Haare schneidet?

André: Komplett werden Roboter den Menschen bei diesen Aufgaben nicht ersetzen können. Haarschneidemaschinen gibt es ja schon heute. Auch wenn künftig im Friseursalon Roboter möglicherweise typische Handlanger- und Aufräumarbeiten wie das Anreichen von Handtüchern oder das Anrühren von Pflegeprodukten übernehmen, bin ich mir sicher, dass Menschen dennoch gerne die Dienste von Frisörinnen und Frisören in Anspruch nehmen werden.

com! professional: Welche Branchen und Sektoren kommen Ihrer Meinung nach infrage, um Menschen durch Roboter zu ersetzen?

André: Kurz gesagt, überall dort, wo Menschen körperliche Arbeit verrichten. Ich möchte nur wenige Beispiele aufzählen, um das enorme Anwendungspotenzial zu verdeutlichen: In der Landwirtschaft helfen Roboter bei der Aussaat oder der Unkrautbekämpfung.

Unterwasserroboter tragen zur Bekämpfung von Plastikmüll in Ozeanen bei. Drohnen erkunden selbstständig für den Menschen schwer zugängliche Gebiete – etwa um vermisste Personen zu finden. In der Logistik übernehmen Roboter wesentliche Aufgaben bei der Lagerung, dem Transport und dem Versand.

Und als Exoskelette unterstützen Roboter Menschen in der Reha – etwa nach einem Schlaganfall.

Bei Robotern, die gehen können, ist das US-amerikanische Unternehmen Boston Dynamics derzeit führend.
(Quelle: Boston Dynamics)

com! professional: Was werden die Erfolgsfaktoren sein, damit Roboter im Alltag ankommen?

André: Damit Roboter im Alltag Akzeptanz finden, ist es erforderlich, alle Betroffenen frühzeitig in die Gestaltung von Technologien und die Integration in deren Berufs- und Privatalltag miteinzubeziehen. Bei nicht technikaffinen Alltagsnutzerinnen und -nutzern ergibt es Sinn, sich an der zwischenmenschlichen Interaktion zu orientieren.

In anderen Bereichen, etwa der Produktion, kommt es darauf an, dass Mensch und Roboter Hand in Hand zusammenarbeiten. Hier sind nicht unbedingt Roboter mit einem menschlichen Verhalten gefragt. Aber Roboter sollten über die Fähigkeit verfügen, sich an den Menschen ständig anzupassen, etwa im Arbeitstempo.

com! professional: Auch das Thema Arbeitssicherheit ist hier ein wichtiger Apsekt.

André: Wie sollten sich Roboter und Mensch untereinander verständigen und koordinieren, wenn ein Arbeitsprozess nicht wie geplant vonstattengeht? Das ist eine Frage, mit der wir uns derzeit im KI-Produktionsnetzwerk an der Universität Augsburg befassen.

com! professional: Welche Chancen sehen Sie in diesem Bereich für kleine und mittelgroße Firmen?

André: Während heute die Programmierung von Robotern noch Spezialisten erfordert, werden Roboter künftiger Generationen ohne Programmierung auskommen, da sie Arbeitsabläufe durch Abschauen erlernen oder anhand einer sprachlichen Beschreibung erschließen können, was sie tun sollen. Dies wird die Handhabung von Robotern und deren Anpassung an die in unterschiedlichsten Branchen jeweils vorliegenden Arbeitsprozesse wesentlich erleichtern.

com! professional: Blicken wir in die Zukunft: Wo stehen wir in Sachen Roboter in 20 Jahren?

André: In Zukunft werden Roboter in der Lage sein, das, was sie gelernt haben, auf unvorhergesehene Situationen zu übertragen und sich an neue Gegebenheiten anzupassen. Stellen Sie sich eine KI-gesteuerte Haushaltshilfe vor, die für Sie alle möglichen Dinge im Alltag verrichtet.

Wenn Sie krank im Bett liegen, fallen für die KI andere Dinge an als im Normalbetrieb. Ebenso wenn Sie Besuch bekommen. Sind Sie auf Reisen, wird der Roboter Sie begleiten und auch in Umgebungen unterstützen, mit denen er nicht vertraut ist.

Wir werden auch in der Lage sein, Robotern komplexere Aufgaben zu übertragen, auf die diese nicht programmiert sind. Zum Beispiel wenn wir Besuch erwarten, können wir die Roboter einfach beauftragen, sich um die Vorbereitung eines gemeinsamen Mahls zu kümmern anstatt im Detail anzugeben, welche Lebensmittel zu beschaffen und wie sie zuzubereiten sind.

Wie viel wir letztendlich an den Roboter delegieren, ist wie beim Menschen eine Frage des Vertrauens. Aber auch hierauf wird sich der Roboter einstellen und lernen, welcher Grad an autonomem Verhalten von seiner Seite gewünscht ist. Das sind aber – wie gesagt – noch Zukunftsvisionen.

Zur Person

Prof. Dr. Elisabeth André ist Inhaberin des Lehrstuhls für Menschzen­trierte Künstliche Intelligenz an der Universität Augsburg. Ihr Spezialgebiet ist die Interaktion und Kommunikation zwischen Menschen und Robotern. Die Informatikerin zählt zu den weltweit renommiertesten Expertinnen auf diesem Gebiet und wurde 2019 von der Gesellschaft für Informatik als einer der zehn prägenden Köpfe der deutschen KI-Geschichte geehrt. Zudem ist André Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

*Konstantin Pfliegl ist Redakteur bei der Zeitschrift com! professional. Er verfügt über mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung als Journalist für verschiedene Print- und Online-Medien.


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