Getsafe will zu Beginn des nächsten Jahres nach Österreich kommen und Versicherungen per Smartphone-App anzubieten. Was Getsafe ist und mit welchen Services man in Österreich starten will, darüber hat die Computerwelt mit Marius Blaesing, CTO von Getsafe, gesprochen. [...]
Werden Sie dasselbe Angebot, das Getsafe derzeit in Deutschland offeriert, nach Österreich bringen?
Nein, zumindest nicht gleich. Analog zu der in Deutschland vorhandenen Hausratversicherung werden wir in Österreich mit einer Haushaltsversicherung starten und erst später werden die anderen Produkte nachziehen. Das liegt daran, dass jeder Versicherungsmarkt ein bisschen anders funktioniert. In Deutschland ist eine der ersten Versicherungen, die man abschließt, die Haftpflichtversicherung. Das ist aber von Land zu Land unterschiedlich. Es wird auch kein 1:1-Abklatsch des deutschen Produkts sein. Das funktioniert bei Versicherungen nicht, weil sich die Vertragsbedingungen von Land zu Land unterscheiden.
Wie lange sind Sie schon in Deutschland mit Ihren Produkten auf dem Markt und wie sind die Erfahrungen? Was erwarten Sie von den Kunden in Österreich?
In Deutschland gibt es uns mit diesem Geschäftsmodell seit Ende 2017. Davor sind wir bereits 2015 mit einem anderen Ansatz gestartet und waren digitaler Versicherungsmanager. Die Kunden hatten eine App und konnten in dieser App ihre bestehenden Verträge bei anderen Versicherern verwalten, Schäden melden – alles digital. Das war für Kunden natürlich kostenlos, für uns als Anbieter hatte es den großen Nachteil, dass wir noch darauf angewiesen waren, mit den Versicherern zusammenzuarbeiten – und die hatten keine digitalen Prozesse! So hatten wir dann 30 Leute, die Dokumente eingescannt, Sachen ausgedruckt und zu den alten Versicherern gefaxt haben, danach kam das in Papierform wieder zurück, wir mussten es wieder einscannen und digitalisieren. Das hat ewig gedauert und entsprach überhaupt nicht unseren Vorstellungen. Zwar hatte der Kunde alles digital, aber die Prozesse waren längst nicht so schnell, wie wir uns das erhofft hatten, weil einfach der Verwaltungsapparat der traditionellen Versicherer zu stark aus den 1980er, 1990er stammt und größtenteils papierbasiert war. Somit war klar: Wir müssen es eben selbst machen und eigene Produkte entwickeln, die von Anfang an digital und fürs Smartphone konzipiert sind. Im Dezember 2017 sind wir dann mit der Haftpflicht in Deutschland gestartet.
Mittlerweile haben wir über 80.000 Polizzen in 1,5 Jahren – für ein Start-Up ist das viel, aus Sicht der Allianz oder der AXA ist es natürlich wenig. Aber für diese Produkte und in der Zielgruppe funktioniert dieser Mobile-first-Ansatz extrem gut. Das ist auch unser Ziel – eben nicht Leute mit bestehenden Verträgen davon zu überzeugen, dass sie jetzt unbedingt alles digital machen müssen, auch wenn sie das nicht wollen. Das Angebot richtet sich ganz gezielt an Leute, die sich zum ersten Mal versichern und von Anfang an eine digitale Lösung suchen und sich erst gar nicht mit Papierprozessen beschäftigen wollen. Diese Menschen gibt es in Deutschland natürlich genauso wie in Österreich.
Leute, die nicht unbedingt einen völlig digitalisierten Dienst wollen, betreuen Sie auch oder verweisen Sie diese Menschen an die bisherigen klassischen Versicherer?
Wir schließen keinen Kunden aus, aber wir hatten jetzt zwei oder drei Mal den Fall, dass es Kunden gab, die gerne persönlich vorbeikommen und ihre Rechnung bar bezahlen wollten. Diese Kunden sind bei uns falsch, das ist nicht unser Ansatz. Den größten Vorteil hat man dann, wenn man unsere App nutzt, um einen Schaden zu melden und seine Daten aktualisieren zu können, um mitversicherte Personen hinzuzufügen, um den Versicherungsschutz wieder zu kündigen und dergleichen mehr. Wer das nicht mit dem Handy machen möchte, sondern lieber papierbasiert, der wird bei uns nicht glücklich werden, weil es bei uns tatsächlich keinen Brief mehr gibt.
Die App gibt es für Android und auch für Apple IOS?
Ja.
Kann man per Desktop-Computer, also über Windows oder MacOS, ebenfalls die Dienste nutzen?
Kunden können online abschließen, doch wir haben noch keine webbasierte Version für alle Dienste. Aber natürlich haben wir einen Kundenservice, den Kunden ganz normal anrufen können oder eine E-Mail schreiben. Sie müssen die App nicht notwendigerweise nutzen.
Das klingt schon sehr nach einer sehr jungen Zielgruppe, denn „ältere“ Menschen, die digitale Angebote nutzen, greifen doch lieber zum PC, nicht wahr?
Ja, das Durchschnittsalter der Kunden, das wir in Deutschland haben ist 29, das ist schon sehr jung. Die meisten Kunden sind zwischen 25 und 26 Jahren, das sind genau jene, die sich zum ersten Mal versichern, weil sie aus der Versicherungspolizze der Eltern herausfallen und ihr Studium oder die Ausbildung beendet haben. Natürlich gibt es auch 60-Jährige, die sich bei uns versichern. Aber das Angebot richtet sich an eine techaffine Zielgruppe – unabhängig vom Alter.
Das heißt, derzeit bauen Sie noch auf nicht allzu finanzstarke Kunden, die aber in Zukunft natürlich mehr Geld zu Verfügung haben werden. Sehe ich das so richtig?
Ja, das ist die Logik dahinter, dass wir mit dem Kunden das Produktportfolio erweitern. Nächstes Jahr soll für Deutschland eine Lebensversicherung kommen und es soll mittelfristig eine Berufsunfähigkeitsversicherung geben. Das sind Produkte, die margenreicher sind und mit denen man mehr Geld verdient als mit einer Haftpflicht- oder Hausrat- bzw. Haushaltsversicherung. Wir sehen, dass die traditionellen Versicherer gar nicht mehr den Zugang zu der jungen Zielgruppe haben. Sie misstrauen Maklern und Finanzdienstleistern. Ihnen ist auch eine persönliche Beratung nicht mehr so wichtig. Gerade austauschbare, einfache Produkte, wie Sachversicherungen werden jungen Kunden gut angenommen, denn die wollen die Produkte von unterwegs oder zu Hause vom Sofa aus in drei Minuten abschließen, ohne Papierdokumente auszudrucken, so wie man das ja auch bei Banken kennt, die Girokonten in drei Minuten anbieten.
Sie verwenden auch künstliche Intelligenz. Verwenden Sie diese mehr für interne Prozessen, um diese zu optimieren oder mehr für die Verbesserung des externen Kundenerlebnisses?
Das geht bei uns stark Hand in Hand. Momentan ist das ein sehr ausgeklügelter, aber noch regelbasierter Prozess, das ist noch nicht künstliche Intelligenz im Sinne eines komplett selbstständig lernenden Systems. Diese Modelle werden derzeit entwickelt, trainiert und getestet. Wir nutzen KI einerseits intern, um Prozesse effizienter und schlanker zu machen. Andererseits wollen wir das Kundenerlebnis verbessern und beispielsweise Kunden den besten Versicherungsschutz für ihre gegenwärtige Situation empfehlen. Wir wollen Versicherungsbetrug durch smarte Algorithmen reduzieren. Diesbezüglich werten wir schon jetzt Daten aus. Wir wissen zum Beispiel, dass jemand, der die Versicherung in unter sechs Minuten abschließt, tendenziell ein höheres Schadensrisiko hat, als jemand, der sich in Ruhe die Information durchliest und sich damit beschäftigt. Auch andere Verhaltensweisen eines Kunden während des Kaufprozesses spiegeln sich im Schadensrisiko wider. Und wir wissen, ob das eingereichte Schadensbild zu dem Gerät passt, mit dem der Kunde die App nutzt, oder ob es ein Foto ist, das vielleicht aus dem Internet heruntergeladen wurde. Es gibt viele Indikatoren, die natürlich kein Beweis dafür sind, ob jemand ein Versicherungsbetrüger ist oder nicht. Aber es sind Anhaltspunkte, die es uns erlauben, in der manuellen Prüfung auf die relevanten Fälle zu fokussieren.
Woher bekommen Sie die Daten, um Ihre KI damit zu trainieren?
Gegenwärtig sind das ausschließlich unsere Daten, wir kaufen nichts von Drittanbietern zu. Wir haben jetzt 80.000 Policen. Dadurch, dass unsere Kunden die App nutzen und wir keinen Makler dazwischen geschaltet haben, haben wir einen ganz guten Datenschatz. In Zukunft möchten wir natürlich gerne weitere Informationen über unsere Kunden sammeln, um ihnen noch personalisiertere Angebot unterbreiten zu können.
Ein klein bisschen Überwachung der Kunden ist hier wohl auch dabei, oder?
Wir haben seit einigen Wochen einen Head of Data. Eines seiner ersten Projekte ist das Thema Transparenz im Umgang mit Daten. Es gilt ja europaweit die Datenschutzgrundverordnung. Wir sind hier völlig konform und trotzdem ist es uns wichtig zu sagen, welche Daten wir nutzen und welche nicht. Transparenz ist uns wichtig. Das gilt auch bei der Auswahl unserer Kunden. Bei vielen Versicherern entscheidet das der Makler und der sucht sich im Idealfall Kunden aus, von denen er glaubt, dass sie ein geringes Risiko haben. Dabei orientiert er sich auch an Kriterien wie Geschlecht oder Herkunft. Unser Ansatz ist, das verhaltensbezogen zu machen, wie das auch bei manchen KFZ-Versicherungen der Fall ist, wo es diese Telematiktarife gibt, die aufgrund des Fahrverhaltens den Preis ermitteln. Um ein Beispiel zu nennen: Manche Versicherer geben Beamten einen günstigeren KfZ-Tarif, weil diese als konservative und vorsichtige Fahrer gelten. Doch es gibt auch Raser unter den Beamten und sehr vorsichtige Fahrer unter den Zwanzigjährigen. Weil man da keine besseren Daten hat, liegen oft Kriterien zugrunde, die unfair sind.
Wie viele Mitarbeiter beschäftigen Sie in Heidelberg und wie viele davon sind in der Technik tätig?
Wir sind 70 Mitarbeiter, davon sind 10 Entwickler. Mit den Designern, Produktmanagern und Datenspezialisten sind es knapp 30 Leute. Fast alle unsere Abteilungen sind jedoch stark tech- und datengetrieben.
Der Kundenservice, also die direkte Betreuung der Kunden, wenn sie denn doch nötig sein sollte, ist nicht ausgelagert, sondern wird von Ihnen selbst übernommen?
Ja, genau. Das ist alles hier bei uns in Heidelberg angesiedelt.
Wann genau soll der Start in Österreich sein und wie viele User erwarten Sie sich im ersten Jahr?
Geplant ist der Start zu Beginn des neuen Jahres. Was das Marktpotential angeht, kann ich hier keine konkreten Angaben machen. Ich kann Ihnen aber sagen, dass der Markt – wenn auch sehr viel kleiner als Deutschland – insofern sehr spannend für uns ist, als es kaum digitale Wettbewerber gibt. Hinzu kommt eine große Akzeptanz gegenüber Versicherungen – verbunden mit einer guten Quote zwischen Schadensauszahlungen plus Kosten und Prämieneinnahmen.
Zum Unternehmen Getsafe
Das Insurtech-Startup Getsafe wurde im Mai 2015 von Christian Wiens (CEO) und Marius Blaesing (CTO) zunächst als digitaler Versicherungsmakler gegründet. 2017 fiel die Entscheidung, sich auf den Aufbau einer eigenen digitalen Versicherung zu konzentrieren. Im September 2018 wurde das Maklergeschäft an Verivox verkauft. Getsafes Versicherungsprodukte sind seit 1. Dezember 2017 verfügbar. Das Angebot umfasst eine Haftpflicht-, Hausrat-, Fahrrad-, Rechtsschutz- und Zahnzusatzversicherung und wird stetig erweitert. Mitte 2020 will Getsafe mit der ersten digitalen Lebensversicherung starten. Der Umsatz von Getsafe liegt im einstelligen Millionenbereich. Derzeit ist man ausschließlich in Deutschland tätig, der Markteintritt in Österreich und Großbritannien ist für Anfang 2020 geplant, andere europäische Länder wie Italien, Spanien und Frankreich sollen folgen.
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