Google Glass löst „Goldrausch“ aus

Es wird noch etliche Monate dauern, bis sich gewöhnliche Technik-Liebhaber die Datenbrille Google Glass kaufen können. Unter den Entwicklern sorgt die Cyberbrille jedoch schon jetzt für Goldgräber-Stimmung wie einst am Klondike River. [...]

Bisher tragen nur einige hundert Software-Entwickler und Computer-Experten die futuristische Google-Datenbrille Glass auf der Nase. Doch in der Umgebung des Moscone-Konferenzzentrums in San Francisco kann man in diesen Tagen erahnen, wie die Zukunft mit Google Glass aussehen könnte. Quasi jeder stolze Besitzer einer Cyberbrille auf diesem Planeten hatte sich in dieser Woche zum Entwicklerkongress Google I/O eingefunden, um den 1.500 Dollar teuren Prototypen mit einem Dauerlächeln im Gesicht der Öffentlichkeit vorzuführen.

Bei einem Kurztest zeigt sich schnell, was die Faszination von Glass ausmachen kann: Noch unmittelbarer als beim Smartphone soll dem Träger einer Google Glass das Wissen aus dem Netz ständig zur Verfügung stehen, ohne dass er dafür ein Smartphone aus der Tasche ziehen muss. Bisher kann die Brille zwar nur E-Mails vorlesen und schreiben, Fotos und Kurzvideos aufnehmen, Navigations-Anweisungen geben und eine Google-Suche vornehmen. Doch auf der Entwicklerkonferenz stellten Medienhäuser, Netzwerke wie Twitter, Facebook und Tumblr sowie App-Entwickler wie Evernote ihre Konzepte vor, die den Funktionsumfang von Glass erweitern sollen.

So wollen beispielsweise die „New York Times“ und CNN den Anwendern von Glass „Breaking News“ einblenden. Der User kann zuvor bestimmen, für welche Bereiche er sich interessiert und beispielsweise den Nachrichtenstrom auf einige wichtige Sportergebnisse beschränken. Über den digitalen Notizenspeicher Evernote könnte man beispielsweise eine Einkaufsliste am Computer vorbereiten und an Glass schicken, damit man dann im Supermarkt die Dinge zum Einkaufen im wahrsten Sinne des Wortes vor Augen hat.

Obwohl die Brille mit dem eingebauten Akku und Funkmodem wuchtig aussieht, fühlt sie sich subjektiv sehr leicht an. Das Kunststoffprisma, das die Inhalte ins Auge projiziert, sitzt nicht direkt vor dem Auge, sondern auf Höhe der Augenbrauen. Die Inhalte auf dem Display erscheinen erstaunlich scharf – kein Vergleich zu dem matschig wirkenden Testbild der allerersten Prototypen, die Google-Mitbegründer Sergey Brin vor einem Jahr einigen wenigen Technologie-Reportern zum Ausprobieren auf die Nase setzte. Trotz der für heutige Verhältnisse geringen Auflösung von 640 mal 360 Pixeln soll die Wahrnehmung wie bei einem Display mit einer Bildschirmdiagonalen von 63 Zentimetern sein, das man sich aus rund 2,50 Meter Entfernung anschaut.

Die Bedienung der Brille ist jedoch noch immer gewöhnungsbedürftig. Mit einer Kopfbewegung in den Nacken wird Google Glass aus dem Schlaf erweckt. Auf dem Brillenbügel kann man mit einem Knopfdruck die Fotofunktion der Kamera aktivieren und mit Wischbewegungen mit dem Finger auf dem Bügel durch die einfache Menü-Struktur navigieren. Bestimmte Informationen wie Wettervorhersagen oder Navigationsanweisungen werden dem Anwender ins Ohr geflüstert – genauer gesagt, über den Schädelknochen übertragen.

Um Strom zu sparen, legt sich Glass dann aber auch schnell wieder schlafen. Die Horrorvision einiger Datenschützer, das von Google gesteuerte Cyborgs nun künftig rund um die Uhr ihre Umgebung mit endlosen Video-Aufnahmen bespitzeln, kann derzeit schon wegen der beschränkten Akku-Laufzeit nicht Wirklichkeit werden. Außerdem kann Glass bisher nur Kurzvideos von einigen wenigen Sekunden aufzeichnen. Einflussreiche US-Abgeordnete wollen von Google aber in einem Brief bereits wissen, ob der Konzern den Einsatz von Gesichtserkennungs-Software plane, und wie die Privatsphäre der Menschen um einen Glass-Träger herum geschützt werden solle.

Die technischen Mängel von Google Glass werden schon bald überwunden sein, waren sich die meisten Entwickler auf der Google I/O sicher. Sie ließen sich auch nur mäßig von den Bedenken beeindrucken, die Datenschützer im Zusammenhang mit Google Glass geäußert hatten. „Opfer“ von unerwünschten Foto- und Videoaufnahmen seien derzeit vor allem die Besitzer einer Cyberbrille, die in der Regel ungefragt von neugierigen Smartphone-Usern auf offener Straße oder in der U-Bahn fotografiert und gefilmt würden, hieß es auf dem Kongress.

Die Entwickler wollen sich jedenfalls nicht die Goldgräber-Stimmung verderben lassen, die nicht nur im kalifornischen Silicon Valley ausgebrochen ist. Keiner will das „nächste große Ding“ verpassen – und Google Glass könnte „the next big thing“ sein. (apa)


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