Google I/O fokussiert auf Glass

Die Konferenz Google I/O ist das wichtigste jährliche Event im Universum des Internet-Giganten. Überraschungen sind hier an der Tagesordnung, doch diesmal scheint schon lange vor dem Start am kommenden Mittwoch klar, welches Gadget im Rampenlicht stehen wird: Die Computer-Brille Google Glass, die Informationen direkt vor das rechte Auge des Nutzers einblenden kann. [...]

Das futuristische Gerät soll die Internet-Nutzung unterwegs noch natürlicher als beim heutigen Smartphone machen und als Prototyp für eine neue Geräteklasse Google einen Vorsprung bei tragbaren Mini-Computern der Zukunft gewähren. Schon vergangenes Jahr bescherte Google-Mitgründer Sergey Brin der Computerbrille einen fulminanten ersten Auftritt, der kaum zu überbieten sein dürfte. Eine Gruppe von Fallschirmspringern raste mit eingeschalteten Kameras ihrer Datenbrillen zur Erde, die Bilder wurden live zum Auftritt von Brin auf der Google I/O übertragen. Die spektakuläre Demonstration zeigte eine der zentralen Funktionen von Google Glass: Die Möglichkeit, jederzeit und mühelos Fotos und Videos aufzunehmen. Es reichen Gesten oder Sprachkommandos, nachdem man das Gerät mit „Okay, Glass“ angesprochen hat.

Außerdem kann die Brille Ergebnisse von Internet-Suchen oder Navigationsanweisungen anzeigen und bei Bedarf auch vorlesen. Der Trend, dem Nutzer Informationen auf natürlichere Weise zu vermitteln – etwa wenn sie heute im Auto auf die Windschutzscheibe projiziert werden – könnte den Alltag von vielen Menschen verändern. Irgendwann werde man sich darüber wundern, dass es einmal üblich war, in der Tasche nach einem Computer wie etwa einem Smartphone zu suchen, sagte jüngst Google-Chef Larry Page. „Wir sind erst bei einem Prozent davon, was möglich ist.“

DRAMATISCHER WANDEL
Abgesehen von der technischen Meisterleistung, Kamera, Sensoren und einen Computer mit 16 Gigabyte Speicher in ein nur leicht ausladendes Brillengestell gepackt zu haben – Google Glass könnte der Vorbote eines dramatischen sozialen Wandels sein. Über Auswirkungen auf die Privatsphäre wird heftig diskutiert. Schon heute werden mit Smartphones überall Fotos und Videos aufgenommen. Aber ist es zumindest noch halbwegs zu erkennen, wenn der Anwender ein Foto schießt oder ein Video dreht. Mit einer Google-Brille auf der Nase hingegen ginge das viel unauffälliger.

Zudem läuft Google Glass mit dem offenen mobilen Betriebssystem Android und wurde bereits gehackt. Heißt das, in Zukunft könnten sachkundige Nutzer auch eine Gesichtserkennungs-App in ihre Google-Gläser aufspielen? In mehreren Restaurant und Kasinos ist die Zukunftsbrille jedenfalls bereits unerwünscht.

Das Privileg, zu den ersten Anwendern einer neuen Computer-Ära zu gehören, hatte seinen Preis. Anwärter sollten in einem Wettbewerb beschreiben, warum sie die Daten-Brille unbedingt haben wollen – und die Auserwählten mussten 1.500 Dollar (1.154,91 Euro) hinblättern. Verkaufen darf man die Erstausgabe Explorer Edition nicht: Geräte, die ihren Besitzer wechseln, würden ferngesteuert deaktiviert, warnte Google.

Seit ein paar Wochen werden die Geräte der ersten Serie in den USA ausgeliefert und auf den Straßen tauchen immer mehr Leute mit Google-Brille auf der Nase auf. Der leicht zu begeisternde Startup-Blogger Robert Scoble ließ sich sogar unter der Dusche mit Google Glass fotografieren. Mittlerweile gibt es sogar schon Foto-Sammlungen wie auf http://whitemenwearinggoogleglass.tumblr.com/ die bekannte und unbekannte Personen mit der smarten Brille auf der Nase zeigen.

ERSTE MÄNGEL TAUCHEN AUF
Nach den ersten „Wow!“-Rufen wurde der Ton in der Tech-Community inzwischen etwas nüchterner. Die Batterien hielten nur drei bis dreieinhalb Stunden, das Display sei bei Sonnenlicht nicht hell genug, die Spracherkennung zeige Schwächen, für die Verbindung zum Internet sei die Brille auf Hilfe vom Smartphone angewiesen und beim Autofahren nicht nutzbar, mäkelten diverse Technik-Journalisten.

Zudem entwickle Google Glass beim Tragen eine Schlagseite nach rechts – die Seite, auf der die ganze Technik sitzt, stellte etwa das Blog „Engadget“ fest. Alles allerdings Probleme, die man beheben kann. Und die Serien-Version dürfte ohnehin noch etwa ein Jahr entfernt sein, erklärte Google-Verwaltungsratschef Eric Schmidt.

Weitere Neuheiten der diesjährigen Google I/O könnten laut Berichten in amerikanischen Tech-Blogs ein Spitzen-Smartphone mit der Projekt-Bezeichnung X Phone und ein Spiele-Dienst für die Android-Download-Plattform Google Play werden. Möglich auch: Eine neue Android-Version, ein Messaging-Dienst und ein neues Tablet.

Aber nicht allem, was in den vergangenen Jahren groß auf der Google I/O präsentiert wurde, war Erfolg beschert: So floppte der neuartige Kommunikationsdienst Google Wave trotz erster Begeisterung der Internet-Community, weil einfachen Nutzern die Verbindung von Live-Kommunikation und E-Mail zu kompliziert war. Und die im vergangenen Jahr präsentierte Wohnzimmer-Box Nexus Q verschwand schon wenige Wochen nach der Vorstellung zurück in der Entwicklerwerkstatt, nachdem sie als zu teuer kritisiert wurde. (apa/rnf)


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