Große Erwartungen an HR & Recruiting

Die Personal-Abteilungen sind zum Schlüsselfaktor für den Unternehmenserfolg geworden. Sie müssen sich wandeln und neue Aufgaben wahrnehmen. [...]

„Mitarbeiterbindung ist nicht allein Aufgabe der Personalabteilung“

Ileana Honigblum, Vice President Sales & Managing Director DACH beim Software-Unternehmen Pegasystems, erklärt im Interview, was für neue Herausforderungen auf HR zukommen und wie man Fach­kräftemangel und Mitarbeiterfluktuation entgegenwirken kann.

com! professional: Welche Herausforderungen stellen sich für HR?

(Quelle: Pegasystems)Ileana Honigblum: Das Anwerben, die Bindung und die Motivation von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wobei die Bindung wahrscheinlich die größte Herausforderung darstellt. Das ist natürlich nicht nur die Aufgabe der Personalabteilung.

Sie kann aber maßgeschneiderte Programme für die Mitarbeitenden entwickeln. Solche Programme sind heutzutage der Schlüssel für eine erfolgreiche Mitarbeiterbindung.

com! professional: Wie wichtig sind soziale Medien im Bewerbungsprozess?

Honigblum: Sie spielen heute bereits eine zentrale Rolle. Karrierenetzwerke wie Linkedin und Xing ermöglichen es Unternehmen, besser zu verstehen, wer ihre Bewerber und Kandidaten sind, und dadurch gezielter auf sie einzugehen.

Außerdem gestalten diese Netzwerke die Suche nach geeigneten Kandidaten effizienter, kostengünstiger und intuitiver. Unternehmen können dort mit einem breiten und vielfältigen Publikum in Verbindung treten und dadurch leichter qualifizierte Kandidaten finden.

Soziale Medien bieten den Unternehmen aber auch die Möglichkeit, sich selbst bei Talenten als attraktiver Arbeitgeber zu präsentieren. Sie können sich dort als engagierte Organisation mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern positionieren, die sich wirklich für die Arbeit des Unternehmens einsetzen und für seine Werte und Grundsätze stehen.

Die jungen Generationen suchen nicht einfach nur einen Job, sondern eine sinnhafte Tätigkeit. Sie wollen mit ihrer Arbeit etwas bewegen und bewirken. Dass sie dazu alle Möglichkeiten und Freiheiten haben, lässt sich in den sozialen Medien authentisch vermitteln.

com! professional: Eine hohe Fluktuationsrate ist ein Albtraum für HR. Wie lässt sich dem entgegenwirken?

Honigblum: Die Personalabteilung kann vor allem dabei helfen, he­rausfinden, was die häufigsten Gründe für das Ausscheiden von Mitarbeitenden sind. Dadurch kann sie maßgeblich dazu beitragen, Strategien zu ihrer Bindung zu entwickeln.

Die Mitarbeiterbindung ist aber nicht alleinige Aufgabe der HR. Es handelt sich vielmehr um eine Teamleistung des gesamten Unternehmens. Wir bei Pegasystems in DACH beispielsweise haben ein funktionsübergreifendes Team dafür.

Es konzentriert sich auf vier zentrale Bereiche des Mitarbeiterengagements: Kommunikation, Anerkennung, Personalentwicklung und Teamarbeit.

„Die jungen Generationen suchen nicht einfach nur einen Job, sondern eine sinnhafte Tätigkeit.“

Ileana Honigblum – VP Sales &  Managing Director Pegasystems

Die gesamte Organisation sollte um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kreisen. Jede Führungskraft ist gefordert, ihren Mitarbeitenden individuell maßgeschneiderte Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit sie sich optimal entwickeln und produktiv und erfolgreich sein können.

Zudem müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Vertrauen spüren und sich dazu ermächtigt fühlen, selbst zu entscheiden, wie sie ihre Arbeit erledigen. Und sie sollten das Gefühl haben, über ihre Funktion hinaus Teil eines größeren, umfassenden Ziels zu sein.

com! professional: Was zeichnet ein zeitgemäßes People-Management aus?

Honigblum: Empathie und Vertrauen. In der heutigen hybriden Arbeitswelt braucht es einen unterstützenden Führungsstil. Führungskräfte müssen aktiv zuhören, für das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Sorge tragen und ihre Privatsphäre respektieren.

Bei moderner Führung geht es um Vertrauen und Förderung von Autonomie. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen die Freiheit spüren, sich ihre Zeit selbst einteilen zu können und zu arbeiten, wo und wann sie möchten. Dafür braucht es eine klare Kommunikation, realistische Leistungserwartungen und kontinuierliches Feedback.

com! professional: Wie können digitale Tools helfen, den Prozess vom Sichten der Bewerbungen bis hin zum Vertragsabschluss zu verkürzen?

Honigblum: Sie können diesen Prozess vor allem durch die Automatisierung anspruchsloser Aufgaben wie etwa das Ausfüllen von Unter­lagen straffen.

Die HR-Abteilungen erhalten auf diese Weise mehr Freiraum für wichtigere und qualifiziertere Tätigkeiten – zum Beispiel, sich kreativ um die Gewinnung neuer Talente zu kümmern.

„Klare Kommunikation, realistische Leistungserwartungen und kontinuierliches Feedback.“

Ileana Honigblum – VP Sales &  Managing Director Pegasystems

com! professional: Was halten Sie vom Modewort Upskilling? Entwickelt sich das wirklich zu einem zentralen HR-Trend?

Honigblum: Upskilling wird von Tag zu Tag relevanter. Es ist ein nachhaltiger Ansatz zur Personalentwicklung und trägt dazu bei, die Arbeitsmoral zu befeuern und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker an das Unternehmen zu binden. Indirekt kann Upskilling auch die Kosten für Recruiting und Onboarding senken.

com! professional: Was muss ein Recruiter von morgen können?

Honigblum: Er muss das Geschäft seines Unternehmens verstehen. Er muss wissen, was das Unternehmen tut und wie es das tut. Nur dann kann er Bewerbern den Unternehmenszweck und damit auch den Sinn ihrer Arbeit vermitteln. Recruiter dürfen nicht nur Vorstellungsgespräche organisieren, sondern sollten motivieren, ermutigen und antreiben.

Beim Einstellen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sollten sich Recruiterinnen und Recruiter stärker auf Potenziale als auf Fähigkeiten und Erfahrungen konzentrieren. Dieser Ansatz trägt dazu bei, eine diversere und langfristig engagiertere und motiviertere Belegschaft zu entwickeln.

Ein Mentalitätswandel in diese Richtung findet bereits statt, aber Unternehmen sollten ihre Recruiter noch viel besser in die Lage versetzen, zu verstehen, was die Organisation und jede einzelne Geschäftseinheit benötigen. Sonst bleiben ihnen als Entscheidungskriterien weiterhin nur Fähigkeiten und Erfahrungen – und dadurch vergeben sie große Chancen.

Digitale Tools und Diversität

Digitale Tools für effizientere Prozesse

Kein Wunder, dass vor diesem Hintergrund viele Unternehmen sich vom Einsatz digitaler Tools mehr Effizienz in den HR-Prozessen versprechen. Ziel: den Workflow so reibungslos und medienbruchfrei wie möglich zu gestalten. Wieland Volkert hat dazu einen klaren Standpunkt:

„Am besten ist es, wenn die HR-Prozesse durch KI-Tools oder Robot Process Automation (RPA) unterstützt werden. So lässt sich zum Beispiel der gesamte Prozess vom Eingang der Bewerbung bis hin zur Ablage des Arbeitsvertrags automatisieren – mit Ausnahme des Bewerbungsgesprächs natürlich.“

Höchst kritisch sieht dagegen Christian Diestelkamp den Einsatz KI-gestützter Tools bei der Vorauswahl. Insbesondere bei Systemen, die mit Vergangenheitsdaten trainiert werden, drohe die Gefahr einer Zementierung bestehender Muster. Ein ordentliches Bewerbermanagement-System reiche völlig aus. Bei der Sichtung von Kandidaten für ein Team sollten die Personen dieses Teams mit einbezogen werden.

Anders Kristina Gerwert. Sie plädiert dafür, Bewerbungen im ersten Schritt mit KI-Lösungen automatisch zu analysieren. Das reduziere Beurteilungsfehler und sorge für mehr Effizienz im Recruiting. Aufwendige manuelle Arbeiten seien so schneller erledigt und es würden Kapazitäten frei, etwa für den persönlichen Austausch mit Bewerberinnen und Bewerbern.

„Upskilling wird von Tag zu Tag relevanter.“

Ileana Honigblum – VP Sales &  Managing Director Pegasystems

Das führt direkt zum Thema Automatisierung. HR-Software kann heutzutage wiederkehrende Aufgaben im Personalbereich übernehmen – etwa administrative Tätigkeiten wie die Erfassung von Arbeitszeiten oder die Urlaubsverwaltung.

Beides lässt sich problemlos digitalisieren. Das ist besonders in flexiblen, hybriden Arbeitszeitmodellen relevant. Diestelkamp sieht hingegen für Automatisierung keine Daseinsberechtigung in der HR. „Es sei denn, die Überführung von Personaldaten von Papier in eine digitale Form gilt schon als Automatisierung.“

Upskilling als HR-Trend

Zu einem wichtigen Werkzeug der Mitarbeiterentwicklung hat sich ein „Upskilling“ genannter Ansatz entwickelt. Upskilling bedeutet, Kompetenzen weiterzuentwickeln und die Mitarbeiter durch Weiter- und Höherqualifizierung in die neuen Arbeitswelten mitzunehmen, kontinuierlich und mit konkreten Zielen.

Eine solche Qualifizierung zielt auf neue Aufgaben und Tätigkeitsschwerpunkte in bestehenden Rollen ab, die aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung an Bedeutung gewinnen. Upskilling-Initiativen helfen, Mitarbeiter zu halten, die Arbeitsmoral zu steigern und indirekt die Kosten für Recruiting und On­boarding zu senken. (Siehe auch Interview im auf zweitletzter Seite, Teil 3.)

„Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist Upskilling einer der großen Trends in der HR.“

Wieland Volkert – Country Manager Central Europe & Netherlands bei UKG

Für Diestelkamp braucht ein erfolgreiches Upskilling Führungspersonal mit der Fähigkeit, zu erkennen, dass Wissen, Können oder Technik fehlen.

„Dazu kommen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bereit sein müssen, diese neuen Notwendigkeiten zu akzeptieren, ohne Angst vor Job- oder Bedeutungsverlust zu haben. Und schließlich Personalverantwortliche, die aktiv auf diese latenten Ängste eingehen, sie ernst nehmen und Szenarien entwerfen und kommunizieren, in denen das neue Wissen, das Können oder die neue Technik einen positiven Einfluss auf alle Betroffenen haben.“

„Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist Upskilling einer der großen Trends in der HR“, ist auch Wieland Volkert überzeugt. Schon jetzt kümmern sich seiner Beobachtung nach die Unternehmen in zunehmendem Maß darum, die eigenen Mitarbeiter besser weiterzubilden – und der Trend werde sich weiter verstärken. Grundsätzlich gehöre in diesen Bereich auch die Überlegung, ob man für jede Position einen Hochschulabschluss benötigt: „Wir haben auf allen Ebenen hervorragend ausgebildete Menschen. Lassen wir sie zum Zug kommen.“   

HR-Themen, die Entscheider für wichtig halten
(Quelle: Hays/Institut für Beschäftigung und Employability)

Auf dem Weg zur Diversität

Zu den besonderen Herausforderungen im Recruiting dieser Tage tragen auch zwei Themen bei, die in den letzten Jahren auf der gesellschaftlichen Agenda weit nach oben gerückt sind: die Forderung nach Diversität in der Belegschaft und nach einer Unternehmensphilosophie, die Wert legt auf Nachhaltigkeit.

In Unternehmensleitbildern ist das oft leichter formuliert als in der Praxis umgesetzt, aber es sind durchaus Konzepte und Maßnahmen bekannt, die erfolgversprechend sind. Vorsichtig optimistisch ist Wieland Volkert von UKG. Er betont: „Die Unternehmen verstehen so langsam, dass diverse Teams erfolgreicher sind.“

Unternehmen, die zu einer diverseren Belegschaft kommen wollen, sollten sich zuallerst ihre Einstellungsprozesse ansehen. Diversitäts-Sourcing, „blinde“ Einstellungsprozesse und KI-gestütztes Kandidaten-Screening sind zum Beispiel Rekrutierungstechniken, die es der HR erleichtern, diverse Teams aufzubauen.

Doch zu Diversität gehören nicht nur geschlechtliche und ethnische Vielfalt, sondern auch Themen wie Inklusion oder Gerechtigkeit, etwa in puncto Gehälter oder innerbetrieblicher Aufstiegschancen, betont Volkert. Er fordert von Unternehmen deshalb vor allem, eine Inklusions-Agenda zu entwickeln, die die Richtung verbindlich vorgebe.

Und in diesem Punkt beobachtet Volkert durchaus Fortschritte: „Es gibt schon erste Unternehmen, in deren Vorstand ein Chief Diversity und Equity Officer diese Themen vorantreibt.“

Einer neuen Einstellungsstrategie bedarf es nicht, findet dagegen Abat-Manager Diestelkamp. „Viel wichtiger ist, Diversität nicht aktiv oder passiv zu verhindern – etwa indem man auf die Nutzung von Systemen zur Bewerberauswahl verzichtet, die mit Vergangenheitsdaten trainierten worden sind.“

Recruiter von morgen

Recruiter müssen sich den neuen Herausforderungen stellen und zunehmend in die Rolle von Vertrieblern schlüpfen. Nur wenn es gelingt, interessante Kandidaten auf allen verfügbaren Kanälen zu erreichen, steigen die Chancen auf eine zügige Besetzung der offenen Stellen.

Online gilt es, Foren, soziale Medien und Portale zu durchforsten, um potenzielle Bewerber aktiv anzusprechen. Darüber hinaus werden über Stellenbörsen oder Business-Netzwerke verfügbare Datenbank-Tools immer wichtiger, um das Portfolio potenzieller Kandidaten zu erweitern. Auch die Besetzung von Vakanzen mit Quereinsteigern stellt eine sinnvolle Option dar.

„Netzwerke im digitalen Raum aufbauen und pflegen, sich mit Analytics auskennen und verstehen, für welche Argumente neue Mitarbeitende empfänglich sind“, so fasst es Volkert zusammen.

„Neben ausgeprägten Kommunikationsfähigkeiten werden zunehmend das Know-how über Content-Marketing, Social Selling und kommunikative Distributionsmechanismen eine Rolle spielen.“ 

Diestelkamp formuliert es so:

„Der Recruiter von morgen muss wie bisher auf Menschen eingehen können, ihre persönlichen Werte erkennen, die Vorteile des angebotenen Jobs transparent und authentisch kommunizieren können und – ganz wichtig – die Unsinnigkeit von angeblich sinnvollen Vorauswahl-Systemen erkennen und darauf verzichten.“

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KenjoKenjoKomplettlösung für HR-Aufgaben wie Onboarding und Talentmanagement, Urlaubs- und Abwesenheitsmanagement, Zeiterfassung und Leistungsbeurteilungen
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RecruiteeRecruiteeRecruiting & Bewerbermanagement, große Reichweite bei der Suche nach neuen Mitarbeitern
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SAPSAP SuccessFactorsMitarbeiter-Lebenszyklus über die Cloud verwalten; Gehaltsabrechnung, Urlaubsverwaltung, 360-Grad-Feedback und Personalbeschaffung
SoftgardenTalent Acquisition SuiteE-Recruiting,  Bewerbermanagement, soziale Medien
WorkdayWorkday SuiteCloudbasierte Lösung für Finanzmanagement, Unternehmensplanung und Personalwesen
Anbieter von HR-Software (Auswahl)

*Andreas Dumont schreibt seit 2001 für die com!: zunächst für die „HomeP@ge“-Beilage, ein Überbleibsel des „HomeP@ge-Magazins“. Das war die Zeit, als jeder eine private Homepage basteln wollte. In der Periode, als das Heft unter com! online firmierte, stand das Thema Internet im Mittelpunkt. Die Jahre bei com! – Das Computer-Magazin waren geprägt von Windows-Themen in allen Facetten, angereichert mit Open Source. In com! professional ist er hauptsächlich für die Ressorts Software und Sicherheits zuständig. In seiner freien Zeit spielt er gerne Schach, läuft Halbmarathons, programmiert in Delphi oder bastelt an einem Arduino-Projekt – sofern er nicht gerade auf Reisen ist.


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