Handel braucht Nachhilfe bei KI

Nur jeder zweite Handelskonzern operiert mit Künstlicher Intelligenz. [...]

Der stationäre Handel kann durch Kundenkarten schon heute auf einen riesigen Datenschatz zugreifen. (c) NTT DATA

Der Handel nutzt die Chancen der Künstlichen Intelligenz nur ungenügend. Gerade dort, wo repetitive Aufgaben stark von KI profitieren könnten, liegen große Potenziale brach. Nur jedes zweite Handelsunternehmen versucht derzeit, seine Prozesse durch intelligente Algorithmen zu optimieren. Das geht aus einer Befragung der Top-Handelskonzerne hervor, die in den vergangenen Monaten von der Managementberatung Horváth & Partners durchgeführt wurde.

Trotz der Diversität der Stichprobe zeigt sich über alle Wertschöpfungsstufen hinweg ein sehr ähnliches Bild. Branchenübergreifend operiert derzeit nur etwas mehr als die Hälfte der Handelsunternehmen mit KI-Anwendungen. Gerade der Bereich Organisation und Verwaltung, der durch viele repetitive Aufgaben von Künstlicher Intelligenz profitieren könnte, ist dabei ziemlich säumig. Auf diesem Aktionsfeld versuchen erst 46 Prozent der Handelskonzerne, ihre Prozesse durch selbstlernende Algorithmen zu verbessern. Am stärksten finden sich KI-Anwendungen aktuell im Bereich Produktion und Operations (77 Prozent).

Kaninchen vor der Schlange

Die Studienergebnisse machen deutlich, dass sich der Handel nach wie vor in einer Art Schockzustand befindet, weil Alibaba, Amazon & Co. wie ein Tsunami über die europäischen Märkte fegen. „Viele Handelsunternehmen verhalten sich wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange, sie haben schlichtweg Angst, Fehler zu machen“, erläutert Michael Buttkus, Partner und Leiter des Beratungsbereichs Retail & Consumer Goods bei Horváth & Partners. „Dabei gibt es längst maßgeschneiderte intelligente Algorithmen auch für kleine und mittelständische Unternehmen. KI ist nicht nur ein Thema des Onlinehandels.“

Buttkus fordert den Handel auf, aus seiner Beobachterrolle herauszutreten und das Spielfeld nicht mehr länger den Early Adopters und Global Players zu überlassen – die Gefahr der unaufhaltsamen Substitution durch intelligente und flinke Plattformen ist groß, die Schonfrist vorbei. Entscheidungsträger im Handel sollten sich jetzt sofort mit den Möglichkeiten befassen, die KI ihnen bietet, warnt der Managementberater. Und die sind gewaltig – vom Einkauf, Personalwesen, der Organisation und Verwaltung über die Logistik bis zum Kundenservice, Vertrieb und Marketing.

Oder: Schlangen im Datenlabor

Die neue Horváth-Studie gewährt Einblick in Potenzialanwendungen entlang der Wertschöpfungskette und schließt die Wissenslücken mit einer Fülle von praktischen Erkenntnissen und Best-Practice-Beispielen. Die Retail-Profis von Horváth & Partners begleiten ihre Kunden beim Einstieg in die KI-Thematik, mit Know-how aus zahlreichen Projekten, aber auch durch ihre Kooperationen mit Partnerunternehmen, Forschungseinrichtungen und ihrem Steering Lab, dem unternehmenseigenen Data-Science-Labor in München. „Hier können ganze Datenschlangen gerechnet, Projektschritte und Ergebnisse simuliert werden“, sagt Buttkus. „Jetzt geht es darum, von den Besten zu lernen und die möglichen Potenziale zu identifizieren.“

Wo KI den größten Nutzen stiftet

Der stationäre Handel kann durch Kundenkarten schon heute auf einen riesigen Datenschatz zugreifen. Ist der nötige Digitalisierungsgrad im Backoffice erreicht (eine Voraussetzung), können umgehend Pilotprojekte aufgesetzt werden. Die Erfahrung zeigt, dass sich der Start mit kleineren Teilprojekten lohnt, während vergleichsweise unternehmensweite Hauruck-Aktionen oft schiefgehen. Dabei müssen jedenfalls die betroffenen Mitarbeiter mitgenommen werden: Gutes Changemanagement ist der Schlüssel zur erfolgreichen Unternehmenstransformation. Die größten Hebeleffekte liegen im Mindset und in den Ausbildungsangeboten für Mitarbeiter.

Warum KI-Absenz zum Risiko wird

Der große Datenschatz im Handel ist nicht zuletzt so wertvoll, da sich durch die Vielzahl an Kundeninteraktionen nahezu unermessliche Daten zur Optimierung von Unternehmensaktionen und -prozessen gewinnen lassen. Diese nicht zu nutzen, wäre geradezu sträflich, so Buttkus. Denn die Entwicklung zeigt die Risiken klar auf: Die Kunden ändern ihr Kaufverhalten und informieren sich lieber selbst und untereinander, während Hersteller die Rolle des Handels gleich mit übernehmen und neue Anbieter den Konkurrenzdruck erhöhen. Durch individuelle KI-Lösungen ist es möglich, kreative Antworten zu finden und den Markt aktiv mitzugestalten. Hier gilt die Devise: KI verändert den Handel, aber der Handel kann auch KI verändern.


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